Der Einäugige unter den Blinden

Kommentar Was die SPD noch lernen könnte

Dieser Tage herrscht ein Streit zwischen CDU und CSU, der sichtbar macht, wo die neuen Fronten im Kampf um den Sozialstaat verlaufen - und wer der Einäugige unter den Blinden auf der politischen Bühne ist.

Auf der einen Seite stehen die Arbeitgeberverbände, die marktwirtschaftlich orientierten Arbeitnehmer (wie die CDA, die sich mit Merkel arrangiert hat) sowie die christdemokratischen Traditionalisten und Nationalkonservativen, die es als den natürlichen Lauf der Dinge ansehen, dass ihre Partei das Land regiert. Und derzeit glaubt diese Klientel, dass dies eben mit Merkel am wahrscheinlichsten ist. Deshalb folgen sie ihr. Auf der anderen Seite steht die Elite einer bayerisch-gemütlichen Folklorepartei, die seit vier Jahrzehnten die Geschicke einer der reichsten Regionen der Welt in Händen hält: die CSU.

Während Angela Merkel das Ziel verfolgt, die Bundesrepublik endgültig von einem Sozialstaat in einen reinen marktliberalisierten Wettbewerbsstandort zu verwandeln, stemmt sich ihr Gegner Edmund Stoiber gegen diesen Kurs - wenn auch nicht aufgrund seiner Gerechtigkeitsüberzeugung. Der Grund für den Widerstand des Bayernfürsten liegt in seiner Partei. Sollte die CDU/CSU nämlich irgendwann die Verantwortung in Deutschland übernehmen und Merkel ihr Herzog-Konzept verwirklichen, dann drohten auch den Wählern zwischen Hof und Freilassing jähe Einschnitte. Die Minister und potenziellen Nachfolger von Stoiber, wie Günther Beckstein, Erwin Huber und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier fürchten dann für die Politik auf Bundesebene abgestraft zu werden. Die 2/3-Partei CSU könnte schnell die absolute Mehrheit einbüßen. Also muss die kleinere Union der großen Schwester schon frühzeitig eine Absage erteilen und grundsätzlich am Solidarsystem festhalten. Sollte Merkel jedoch stur bleiben, droht der Union eine tiefe Spaltung. Schon zitieren viele Christsoziale den großen FJS und warnt die CDU vor den Geistern von Kreuth. Die tiefe gesellschaftliche Verankerung in Bayern hat eben auch zur Folge, dass ein untrügliches Gespür für soziale Veränderungen in der Partei existiert.

In der Sozialdemokratie scheint dies nicht mehr der Fall zu sein. Sie bewertet den Streit nur unter taktischen Gesichtspunkten. Die neue Front, die sich zwischen den Christenpolitikern aufgebaut hat, nutzt die SPD, um ihre eigenen Konzepte umzusetzen. Nach dem Motto: "Wir tun Euch zwar weh, aber die anderen reißen Euch den Kopf ab." Mit dieser Haltung verhandelt sie ja auch dieser Tage mit der Union im Vermittlungsausschuss und verspricht den Bürgern einen baldigen Aufschwung. Tatsächlich jedoch legen die Sozialdemokraten mit ihrer Politik die Grundlage für weitere Privatisierungen von gesellschaftlichen Risiken und damit den Boden für die Radikalideen eines Roman Herzog. Am Ende wird die CSU wieder mal als der Einäugige unter den Blinden erscheinen, weil sie wenigstens darauf verweisen kann, immer schon gegen Brachialreformen gewesen zu sein.


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