Der französische Präsident François Hollande und sein Premier Jean-Marc Ayrault genießen den zweifelhaften Ruf, hin und her zu schwanken zwischen überstürzten Ankündigungen und zögerlichem Abwarten. So unterlief Ayrault der Faux-pas, eine Entscheidung des Verfassungsrates über Sozialwohnungen öffentlich bekannt zu geben, bevor sich das Gremium selbst zu Wort meldete. Das wirkte etwa so, als würde Bundeskanzlerin Angela Merkel vorzeitig über ein noch nicht gefälltes Urteil der Karlsruher Richter reden.
Und Präsident Hollande? Der erklärte beispielsweise am Rande einer Gipfelkonferenz afrikanischer Staaten in Dakar, er wolle die Politik der Franceafrique durch Partnerschaft ersetzen. Franceafrique steht für eine M
2;r eine Mischung aus konservierter kolonialer Abhängigkeit, Protektion und Korruption bis hin zum Einsatz von Elitetruppen und Fremdenlegionären. Der Verbund sorgte dafür, dass im einstigen Kolonialimperium der Einfluss Frankreichs so gut wie keinen Schaden nahm. Man denke nur an die Ereignisse in der Elfenbeinküste vom März 2011, als französische Fallschirmjäger in den Machtkampf zwischen dem abgewählten Präsidenten Gbagbo und Herausforderer Ouattara eingriffen. Der uneinsichtige Staatschef wurde kurzerhand abserviert. Es ist sicher höchste Zeit, sich von Franceafrique zu verabschieden. Bleibt nur die Frage, was sich an der Afrikapolitik des Elysée wirklich ändert, wenn gleichzeitig Hollande und Außenminister Laurent Fabius offensiv für eine Militärintervention in Mali (s. Seite 9) werben.Hohe Militärs in Paris halten den Einsatz eigener Kampfeinheiten allerdings für zu riskant und möchten lieber eingreifenden Verbänden der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECoWAS) logistisch unter die Arme greifen. Was Frankreich an der Mission dennoch reizt, das ist die Chance, die Kampfkraft seiner Drohnen unter Kriegsbedingungen zu testen und anschließend im internationalen Waffenhandel anbieten zu können.Die Mischung aus Avancen und Zaudern kennzeichnet nicht minder Hollandes Innenpolitik und beschert derzeit einbrechende Umfragewerte. Konnte er sich im Mai noch über 60 Prozent Zustimmung freuen, bleiben ihm augenblicklich noch 40 Prozent. Den Spar- und Fiskalpakt brachte er trotz aller öffentlichen Proteste der Linkspartei, der Kommunisten und der Gewerkschaften durch beide Kammern. Um so mehr wächst jetzt das Unbehagen in der Bevölkerung. Hollandes Versprechen, er bringe die Idee einer „solidarischen Integration“ – genauer: der Vergemeinschaftung von Schulden durch Eurobonds – in den Fiskalpakt ein, wurde in Berlin und anderswo einfach „überhört“ oder sarkastisch kommentiert.Die Arbeitslosigkeit liegt bei über zehn Prozent, die Wirtschaft schrumpft, viele Betriebe schließen. Es gibt ländliche Regionen, in denen eine Arbeitslosigkeit von 40 Prozent die Menschen quält, was die Stimmung in der Sozialistischen Partei nicht eben hebt. Auch Harlem Désir bekam das zu spüren. Er wurde am 18. Oktober von den Mitgliedern des PS mit 72,5 Prozent der Stimmen zum Ersten Sekretär gewählt – bei 50 Prozent Wahlbeteiligung, das heißt 85.000 der 170.000 Mitglieder votierten mit. Ein ordentliches Resultat, aber keines, das auf dem Parteitag am Wochenende in Toulouse Euphorie auslöste – egal, welche Verdienste Désir vorweisen kann. Er saß lange im Europa-Parlament und hat SOS-Racisme gegründet.Vor dem Kongress hatten die Parteiflügel wie üblich ihre Plattformen präsentiert. Diejenige des Ersten Sekretärs und des Präsidenten verbuchte eine Zustimmung von 68,2 Prozent – die der Parteilinken kam auf eine Quote von 13,3 und ein Papier von Stéphane Hessel, dem großen alten Mann der Partei, auf den Wert 11,8 Prozent. Viele Delegierte beklagten eine geradezu entmutigende Lethargie in der Partei, die viel mit einem unentschlossenen Präsidenten zu tun habe.Deals mit HollandeDas Treffen von Toulouse stand unter dem Motto Rassemblement et Combat (Sammlung und Kampf). Aber mehr als über die kämpferischen Ziele wurde über die Zweifel an der Autorität von Premier Ayrault debattiert. Hintergrund war die mediale Aufregung über Erziehungsminister Vincent, der jüngst im Alleingang die Freigabe von Haschisch verlangte und von Ayrault nur halblaut zurückgepfiffen wurde. Er solle sich an „die Regeln halten, die innerhalb der Regierung gelten“, bekam Vincent zu hören, mehr nicht. Die konservative Opposition spricht seither vom „Amateurismus“ und kolportiert die Legende, die Minister heckten am Premier vorbei Deals mit Hollande aus.Martine Aubry hielt auf dem Parteitag eine viel beachtete Abschiedsrede als Erste Sekretärin. Sie rügte Unternehmer, die nichts gegen die Rezession täten, aber der Regierung mit Ultimaten gegen Steuererhöhungen kämen. Für viele Beobachter klang das verdächtig nach einer Bewerbung für das Amt des Premiers, falls Ayrault weiter durch Blässe besticht.Einen Tag vor dem Parteitag verkündete Präsident Hollande, der in Toulouse nicht auftrat, um seine Unabhängigkeit von der Partei zu demonstrieren, dass es eine Schocktherapie zugunsten von mehr Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft nicht geben werde. Das wurde über die Fraktionsgrenzen hinweg mit Zustimmung quittiert. Die Spitzenleute der verschiedenen Parteiflügel konnte denn auch die Sitzverteilung im künftigen Parteirat (Conseil National) mit seinen 143 Mandaten nicht mehr entzweien. 82 davon wurden den „Hollandisten“ zugestanden. Mehr eine Pflichtveranstaltung „ohne Glanz in einer schwierigen Lage“ sei der Parteitag gewesen, befand Finanzminister Pierre Moscovici und fuhr zurück nach Paris.