Der europäische Film spielt auch in Moskau

Competition Das 20. Filmfestival in Cottbus hatte etwas von seinem Charme verloren, bot aber eine erfrischend subjektive Auswahl an Filmen aus Osteuropa

An ein 20. Jubiläum hatten die Festivalgründer noch nicht gedacht. Sie kamen aus den Filmklubs der DDR und wollten der Dominanz Hollywoods in den Kinos des untergegangenen Landes etwas entgegensetzen. Filme aus Osteuropa waren mit der „Wende“ aus den Spielplänen verschwunden, wo sie bisher einen festen Anteil hatten.

An diese Tradition anknüpfen sollte das Festival in Cottbus, das ausschließlich den osteuropäischen Kinematografien gewidmet war. Bald wurde die Metropole der Lausitz zu einer ersten Adresse für Filmemacher aus dem ehemaligen „Ostblock“, die hier Partner für Coproduktionen finden und ihre Arbeiten mit der Hoffnung auf einen Verleih zum ersten Mal in Deutschland präsentieren können. Eine Erfolgsgeschichte mit wachsendem Publikumsinteresse und trotz häufigem Wechsel der Spielstätten und des Personals. Dabei ging leider auch die familiäre Atmosphäre der Aufbruchsjahre verloren, kompensiert durch die Adelung im führenden Branchenblatt Variety, das in einem Ranking der 50 wichtigsten Filmfestivals Cottbus als einziges deutsches neben der Berlinale platzierte.

Damit blieb es freilich auch nicht von der Gigantomanie verschont. 147 Beiträge aus 44 Ländern waren diesmal im Programm, zehn im Wettbewerb langer Spielfilme, die anderen in eigenen Sektionen. Neu war dabei „globalEast“, das die internationalen Einflüsse Osteuropas fokussierte, wodurch auch Produtionen aus Frankreich, Indien, den Niederlanden und Israel eingemeindet wurden. Osteuropa spielte dabei durch Protagonisten und Themen eine Rolle, etwa in der realistischen französischen Rekonstruktion eines Spionagefalles aus dem Moskau des Kalten Krieges, L’affaire Farewell von Christian Carion. Umgekehrt zeigen sich stilistische Einflüsse namentlich aus Hollywood auf das osteuropäische Kino in einer Fokussierung auf Action und Brutalität. Bei Petr Jákls mit einer penetranten Musiksoße übergossenem Thriller Kajinek über den populärsten tschechischen Kriminellen und seine erotisch aufgeladene Beziehung zu einer jungen Anwältin zahlte sich das an der Kinokasse aus. An die Anfänge von Cottbus als „Osteuropäisches Nachwuchs- und Experimentalfilmfestival“ erinnerten Püha Tonu Kiusamine (Die Versuchung de Hl. Tony) von Veiko Öunpuu aus Estland, ein surrealer schwarz/weißer Bilderbogen mit Anklängen von Hieronymus Bosch, und Obratnoye Dvizhenie von Andrej Stempkovsky, ein fast wortloser, kammerspielartig lakonischer Antikriegsfilm.

Den Hauptpreis erhielt Oleg Novović für seine vor dem tristen Hintergrund einer heruntergekommenen serbischen Bergbaustadt spielende opernhafte Liebesgeschichte Beli, beli svet. Gleich dreifach ausgezeichnet wurde Drugoye Nebo von Dimitry Mamulia: Ein Schafhirte und sein Sohn aus Zentralasien auf der Suche nach der jetzt in Moskau lebenden Frau und Mutter in einer Odyssee durch eine kalte Metropole, wo sie auf ausgebeutete Landsleute treffen – eine Realität, die auch andere russische Filme problematisieren. Auch drei Preise verdiente sich die Ungarin Àgnes Kocsis mit Pál Adrienne: Eine mollige Krankenschwester in den Dreißigern forscht vergebens nach dem Verbleiben einer idealisierten Schulkameradin, mit der sie glaubt, einst glücklichere Tage verlebt zu haben. Eine berührende Reflexion über Einsamkeit, Erinnerung und Vergangenheit. Als Cottbusser Bilanz bleibt immer noch die Frage, warum Osteuropa in unserem Kinoalltag nur als weißer Fleck vorkommt. Heinz Kersten

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