Der Fluch der Götter

Frankreich Emmanuel Macron ist im Beliebtheitstief, Minister laufen ihm weg. Schwächer als er ist nur die Opposition
Ausgabe 39/2018
Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in seiner Bewegung La République en Marche (LRM) sinkt Macrons Ansehen
Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in seiner Bewegung La République en Marche (LRM) sinkt Macrons Ansehen

Foto: Ludovic Marin/Pool/AFP

Das Ansehen Emmanuel Macrons nähert sich dem seines Vorgängers François Hollande, als dessen Präsidentschaft der Agonie verfiel. 71 Prozent der Franzosen beurteilen seine Amtsführung „negativ“, nur 29 Prozent halten ihn für einen „guten Präsidenten“. Überraschend ist das nicht, in der Sommerpause verabschiedeten sich gleich drei Minister aus der Regierung. Umweltminister Nicolas Hulot – charismatischer Star der ökologischen Bewegung – resignierte, weil er im Kampf gegen die Atomlobby in einer aussichtslosen Position war und von Macron keinen Beistand erhielt. Sportministerin Laura Flessel kündigte ebenfalls, und Innenminister Gérard Collomb erklärte, im Mai 2019 in Lyon wieder als Bürgermeister kandidieren zu wollen. Seine Ankündigung per Interview verpackte er in eine verklausulierte Mitteilung an den „Monarchen“ im republikanischen Kostüm. Der ehemalige Gymnasiallehrer für Latein und Griechisch beklagte einen „Mangel an Demut“ und ließ wissen, im Griechischen gäbe es das Wort „Hybris“. „Das ist die Verfluchung der Götter, wenn jemand sich selbst und seiner Sache zu sicher wird.“

Am 13. Juni erheiterte Macron die Besserverdienenden mit der Aussage, man stecke „einen Haufen Zaster“ in die Sozialhilfe, aber die Zahl der Armen wachse. Drei Monate später – unter dem Eindruck des dramatischen Schwunds seiner Beliebtheit – ging er auf Distanz zu sich selbst und seinem Effizienz-Credo: Wer behaupte, der Staat stecke zu viel Geld in die Sozialsysteme, „vergiftet den Zusammenhalt der Nation“. Nur noch Berufsmacronisten wie der Autor Philippe Besson, der Macron eine Eloge unter dem Titel Un personnage de roman („Eine Romanfigur“) widmete und mit einem Diplomatenposten in den USA entschädigt wurde, werten die wechselnde Sichtweise als Zeichen gewachsener Einsicht. Der Rest sieht in Macrons „sozialer Wende“ ein opportunistisches Manöver, das sein Image polieren soll. Ob dabei ein auf vier Jahre verteiltes Acht-Milliarden-Euro-Programm zum Kampf gegen die Armut reicht, ist fraglich.

Selbst die vier Ökonomen, die Macrons Wahlprogramm mitformulierten, bedauern jetzt, dass sich der Staatschef zu wenig um „soziale Fragen“ kümmert, und verlangen mehr „soziale Ausbalancierung“. Längst hat sich Macrons Ruf als „Präsident der Reichen“ verfestigt, nach einer Steuerreform zugunsten der Besserverdienenden und einer Arbeitsrechtsreform auf Kosten von Arbeitern und Angestellten. Die propagierte „République contractuelle“ (Sozialvertrags-Republik) blieb eine Schimäre: Ganze 364 Verträge zwischen Patron und Mitarbeitern in Betrieben unter 20 Beschäftigten wurden seither geschlossen. In größeren Unternehmen gab es 50 Verträge zwischen Direktion und Gewerkschaften.

Ernüchterung statt Aufbruch

Die Übernahme eines Teils der Schulden der Staatsbahn SNCF durch den Staat steht vorerst nur auf dem Papier, während die Aufweichung des Eisenbahnerstatuts auf Kosten künftiger Bahnbeschäftigter durchgezogen wird. Erfolgreich war Macron mit „Reformen“, die für medialen Wirbel sorgten, aber nichts kosteten, wie die Tilgung des Worts „Rasse“ in der Verfassung. Der so ehrgeizige wie teure Plan zur Rekonstruktion der maroden Infrastrukturen in den Banlieues der Metropolen verschwand dagegen sang- und klanglos – wie alle seine Vorgänger – in Schubladen des Elysée.

Aber nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in seiner Bewegung La République en Marche (LRM) sinkt Macrons Ansehen. Die Fraktion ist gespalten in „Vertikalisten“ (Anhänger des Präsidenten) und „Horizontalisten“, die mehr Demokratie wollen. Der von Macron geförderte Fraktionschef Richard Ferrand, gegen den die Justiz ermittelt, wurde neuer Parlamentspräsident gegen nicht weniger als zehn Bewerber aus den eigenen Reihen und erhielt 100 Stimmen weniger, als seine Fraktion über Sitze verfügt. Offenbar ist bei LRM der Euphorie des Aufbruchs vor einem Jahr Ernüchterung gewichen. Von den einst etwa 400.000 Anhängern ist nur noch ein Fünftel aktiv, in der Stadt Nantes mit etwa 10.000 LRM-Mitgliedern schrumpfte die Zahl der Aktiven auf unter 100. Abgeordnete bescheinigen einer abgehobenen Führung, „amateurhaft“ zu agieren. Im Moment wird Macrons Schwäche nur noch von jener der Opposition übertroffen.

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