Buchkultur Die Lieblingslektüre der Deutschen im Dritten Reich befasste sich nicht nur mit Blutromantik. Zwei neue Studien zur Literatur unter Hitler zeigt überraschende Ergebnisse
Trotz Bücherverbrennungen, rabiat gesäuberter Bibliotheken und schwarzer Listen hatten es die Nazis mit den Büchern. Ja, die obsessive Verfolgung zeigt, wie sehr sie es damit hatten. Viele der Nazi-Führer hielten sich für Autoren. Sie wollten allesamt vom Buchmarkt profitieren. Nicht nur Hitler, der bis 1945 immerhin 15 Millionen Reichsmark Honorar auf dem Konto verbuchte, und nicht nur Goebbels, der für seine – damals nicht publizierten – Tagebücher einen horrenden Vorschuss erhielt, nicht nur Alfred Rosenberg, dessen Mythus des 20. Jahrhunderts vor 1933 gerade mal eine Rezension erhielt (und die stammte von ihm selbst), aber bis 1942 eine Million Exemplare ins Volk absetzte. Am 24. Juni 1940 hielt Rosenberg, inzwischen „Beauftragter de
uftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“, in Leipzig eine große Rede, als man 500 Jahre Buchdruck durch Gutenberg feierte und das Deutsche Buchmuseum eröffnete. Rosenberg rühmte Gutenbergs Anteil an der „Volkwerdung Deutschlands“, rühmte dann aber auch den Bruch mit der Tradition der Buch-Nation: „Wir sind der Überzeugung, dass der Rundfunk heute schon die größten Revolutionen des Denkens und Fühlens in der Menschheit hervorruft, da das unmittelbar gehörte gesprochene Wort über alle Völker und Staaten hinweg, verkündet in allen Sprachen des Erdballes, Möglichkeiten in sich birgt für derart eruptive Erfolge, dass wir uns heute vermutlich über die letzten Konsequenzen dieser Erfindung noch keine Rechenschaft ablegen mögen.“Das war ein Bekenntnis zum Dritten Reich als Mediendiktatur: Diktatur über die Medien, durch die Medien, aber eben auch schon der Medien; Rundfunk und Film – so spinnefeind sie untereinander waren – standen in der Gunst der Nazis allem voran. Umso mehr bekannte man sich propagandistisch zum ‚guten Buch’ als Ausdruck deutscher Kulturnation – auch wenn erst Oktober 1934 eine eigene Abteilung Schrifttum im Propaganda-Ministerium eingerichtet wurde. Nach und nach wurden mehr als 100 periodische Literaturpreise, unzählige Preisauschreiben, ein dichtes Netz von Autorenlesungen eingerichtet, ein hybrides Empfehlungs- und Förderungswesen, dazu repräsentative Großveranstaltungen wie die Weimarer Dichtertag oder die Woche des deutschen Buches. „Mit dem Buch ins Volk“ lautete eine der Parolen. An der Literaturproduktion zeigten sich die Machtkonkurrenzen und ideologischen Rivalitäten deutlicher als in Rundfunk, Film und Presse. Jan-Pieter Barbian hat das gerade konzentriert und profund in einem Update seines lange vergriffenen Standardwerks: Literaturpolitik im NS-Staat. Von der ‚Gleichschaltung’ bis zum Ruin.Aber die Buchpolitik – ein Wechselbalg zwischen ideologischer Beeinflussung, persönlichem Machtstreben und vor allem Finanzinteressen und Wirtschaftsförderung – war das eine, das andere blieb, was tatsächlich gelesen wurde. Von Hitler und Göring ist verbürgt, dass sie am liebsten Karl May lasen, Himmler verirrte sich schon mal zu Thomas Mann und Goebbels war auch in der Lektüre promiskuitiv. Was aber ließen sie die Volksgenossen lesen, was sollten sie lesen, was lasen die jubelnden, ergebenen oder (am Ende) zähneknirschenden Untertanen tatsächlich? Das Ergebnis erscheint zunächst verwirrend. Die Nazis, die Erste-Weltkriegsbücher noch und noch förderten, wovon Leute wie Beumelburg, Ettighoffer oder Zöberlein mit Bestsellern in Auflagen von mehreren Hunderttausend profitierten, ließen 1937 den Roman einer gewissen Polly Maria Höfler erscheinen, André und Ursula, eine rührende Geschichte deutsch-französischer Aussöhnung im Zeichen künftigen Friedens, mit dem Hitler es, so die beseelte Deutsche, „heilig ernst“ meine. Das mochte vor dem Krieg propagandistisch bestens passen. Erstaunlich ist aber, dass Höflers Buch weiter aufgelegt wurde – zum Kriegsende waren es 400.000 – während U-Boot-Kapitän Prien von Mein Weg nach Scapa Flow oder der Kriegsbuchprofi Fritz Otto Busch mit Narvik: Vom Heldenkampf deutscher Zerstörer gleichzeitig Hunderttausende Exemplare zum aktuellen Krieg verkauften.Prototyp des GimmickbuchsFrauen galten als besonders lesefreudig. Sie lasen nicht nur Johanna Haarers Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, das mit seinen strammen Nazissen-Ratschlägen bis 1943 die halbe Million erreicht hatte und ohne das „Deutsche“ im Titel bis in die achtziger Jahre weit über eine Million; sie lasen 200.000 Exemplare von Dinah Nelkens Roman Ich an Dich, mit Brigitte Horney verfilmt. Viele bekamen das Buch zumindest geschenkt, denn mit seiner Text-Bild-Collage aus Briefen, Zetteln, Fahrkarten, Kinobilletts war es ein Hingucker, schreibt Christian Adam in seiner rundum gelungenen Darstellung Lesen unter Hitler, ein Prototyp „jener Batterien von Geschenk- oder Gimmick-Büchern, die heute die Regale der Buchhandlungen füllen“. Sie kauften oder bekamen von ihren Männern (nicht ganz uneigennützig) geschenkt auch Elly Beinhorns Glamour-Geschichte Mein Mann, der Rennfahrer über den spektakulär verunglückten Bernd Rosemeyer. Dazu Reinhold Conrad Muschlers schmalzige Novelle über Die Unbekannte mit einer halben Million unter den 50 meistverkauften Büchern in NS-Deutschland. Gerne auch Ina Seidels Das Wunschkind, „Blutromantik“, nannte es Victor Klemperer. Deren 400.000 wurden jedoch von Kuni Tremel-Eggerts Barb getoppt. Eine dreiviertel Million setzte dieser Roman einer Heimat- und Mutterschaftssucherin ab, der einzige echte Blut-und-Boden-Titel unter den Bestsellern.Doch nicht nur Heimisches, ob Kitsch, Kunscht oder Konfirmation, wurde gelesen. Unter den Bestsellern der NS-Zeit finden sich auch bemerkenswerte ausländische Titel, der Schweizer John Knittel mit Via Mala oder El Hakim, der Schotte A. J. Cronin mit Die Zitadelle, Trygve Gulbranssens Und ewig singen die Wälder, sogar Saint-Exupéry mit Wind, Sand und Sterne. Vor allem jedoch Margaret Mitchells unverwüstliches Bürgerkriegsmelodram Vom Winde verweht, in dem der Völkische Beobachter eine „großartige und leidenschaftliche Schilderung amerikanischer Geschichte“, sah. Dreihunderttausend mal seit 1937 verkauft, war 1941 Schluss: Im Krieg mit den USA galten Scarlett und Rhett nun als Propagandafiguren des „Dollarimperialismus“, den der Arzt Eduard Ahlswede in seinem Buch In Gottes eigenem Land 1942 geißelte, was ihm eine Auflage von 1,1 Millionen eintrug. Vom Winde verweht lasen auch Männer. Während Victor Klemperer sich in seinem Tagebuch hin und weg zeigte, war zwar auch Cheflektor und Buchzensor Bernhard Payr sichtlich beeindruckt, dadurch aber um so mehr alarmiert über den Kapitalistengeist. Seine Analyse in der Wochenzeitung Das Reich lässt erkennen, dass er nicht fähig war, Fiktionales als Fiktionales zu lesen.Vielleicht nicht nur ein Nazi-, sondern ein Männerproblem? Männer lasen ja mit Vorliebe gerne Sachbücher, die man damals als „Tatsachenromane“ bezeichnete. Der Hitlerjunge-Quex-Erfinder Alois Schenzinger brachte es mit Anilin, einer Geschichte der IG Farben, auf knapp eine Million, Anton Zischka schrieb im bequemeren Mallorca für den Goldmann-Verlag über drohende Energie-, Raum- und Nahrungsnot einen Bestseller nach dem anderen. Darüber hinaus las man Humoriges – zusammen, darf man vermuten. Allen voran Heinrich Spoerl, dessen Bestseller zugleich Kino-Hits wurden: Der Gasmann, Die Feuerzangenbowle, Der Maulkorb. Die Sammlung Man kann ruhig darüber sprechen brachte es allein auf fast eine Million. Ehm Welks Die Heiden von Kummerow nicht zu vergessen: knapp eine Dreiviertelmillion. Und die Gedichtbändchen von Eugen Roth, zusammen über eine Million.Uneinholbar in dem Genre allerdings Darüber lache ich noch heute, heitere Erlebnisse angeblich von Soldaten erzählt, brachte es als Feldpostausgabe des Völkischen Beobachters in 2 Jahren auf über 2, 5 Millionen. Karl May, des Führers Lieblingslektüre, sowieso, auch Ludwig Ganghofers Berg-Schmonzetten und Hans Dominiks skurrile Zukunftsromane findet man in den rekonstruierten Bestsellerlisten ganz oben. Fast alles darin – und das ist die eigentliche Pointe von Christian Adams ebenso unterhaltsamer wie nachdenkenswerter Studie über Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich – erlebte in den wirtschaftswundersamen Nachkriegsjahren (und nicht nur im Westen) Fortsetzung und Revival. Man las auch hinterher fast alles, was man vorher gelesen hatte. Heute ist das zwar Geschichte, aber was sie lehrt, ob es auf die Lektüre vielleicht doch gar nicht so ankam, oder ob sich da Mentalitäten über politische Systeme hinweg durchhielten, das ist nicht so eindeutig auszumachen.
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