Der ganz normale Alltags-Wahnsinn

Ausstellung Aus Marie Marcks Karikaturen sprechen die Konflikte der alten Bundesrepublik. In Frankfurt sind sie gesammelt zu sehen

In über einem halben Jahrhundert künstlerischer Arbeit kommt viel zusammen. So ist die Schau anlässlich des 90. Geburtstags der Karikaturistin Marie Marcks mit 370 Werken die bislang größte Ausstellung des Museums für Komische Kunst in Frankfurt am Main. Das Werk von Marie Marcks umfasst Tausende Zeichnungen für Zeitungen und Zeitschriften, aber auch über 30 Bücher, die vor allem im Antje Kunstmann Verlag erschienen sind. Ihre Arbeit dokumentiert die gesellschaftspolitische Entwicklung der Bundesrepublik, angefangen von der Debatte um die friedliche Nutzung der Atomenergie, bis hin zum Alltag, frei nach dem Motto „Das Private ist das Politische“. Inspiration war schlicht ihr Leben als Mutter und Gattin: Bildungsreform, Erziehungsfragen und Geschlechterkämpfe wurden ihr frei Haus geliefert. Sie brauchte nur genau hinzusehen – und zu zeichnen.

Zur Eröffnung im Caricatura Museum – Marie Marcks war umringt von ihren Kindern und Enkeln in bester Stimmung zugegen – hob Museumsleiter Achim Frenz hervor, dass sie „immer Stellung bezogen hat.“ Frenz zitierte auch die Bewunderung des Karikaturisten Hans Traxler für Marie Marcks gezeichnete Autobiografie Marie, es brennt!: „Sie ist authentisch, komisch, glaubwürdig und wie aus einem Guss.“ Auch Originalzeichnungen dieser Biografie liegen in den Museumsvitrinen aus. Marie Marcks hat sie doch noch rausgerückt. „Das ist übrigens mein Lieblingsbuch und das Original gebe ich auch nicht heraus“, hatte sie noch zwei Wochen zuvor in einem Gespräch in ihrem Haus in Heidelberg-Handschuhsheim erklärt, wo die gebürtige Berlinerin spät sesshaft geworden ist. Nach der Trennung von ihrem zweiten Mann war Marcks alleinerziehende Mutter von fünf Kindern. Diese Erfahrung spiegelt sich in ihrer Arbeit und den ausgestellten Werken. Den ganz gewöhnlichen Wahnsinn des Alltags erfasst Marie Marcks weniger durch satirische Überzeichnung denn durch schlichte Dokumentation.

Beißende Aussagen

Auch ihre ersten politischen Zeichnungen, die Auseinandersetzung mit der Atomenergie zur friedlichen Nutzung, kommen beinahe heiter daher. Da bläst ein Atomwissenschaftler von einer Pusteblume kleine Atomkraftzeichen in die Landschaft – Marie Marcks zeichnet diese himmelschreiende Sorglosigkeit. Auf dieselbe Weise entlarvt sie auch das Geschlechterverhältnis. Bestes Beispiel sind die beiden Zeichnungen über den kreativen Arbeitsprozess einer Frau und eines Mannes, die nebenbei auch Leben und Arbeit von Marie Marcks selbst charakterisieren. Das Caricatura Museum präsentiert sie in schöner Eintracht nebeneinander: Man hat einen Auftrag zu erledigen – und wie das so ist, scharwenzelt man erst mal ewig um den Schreibtisch herum, bevor das Werk endlich entsteht. Die kreative Mutter erledigt derweil tausend Hausarbeiten, repariert selbst den Abfluss unter dem Waschbecken, bevor sie endlich die Karikatur zeichnet. Ganz anders der Mann. Der füllt die kreative Warteschleife mit Großtaten wie dem Fällen des Apfelbaumes aus. So heiter gezeichnet, so treffend und beißend in der Aussage.

Das Caricatura Museum zeigt auch die frühen Plakate für den Jazz-Club Cave, die das Lebensgefühl der aufblühenden Bundesrepublik spiegeln. Insgesamt bietet die Ausstellung einen Querschnitt über drei Jahrzehnte Arbeit als Karikaturistin für die Süddeutsche Zeitung sowie für die Zeit, den Vorwärts, Titanic und andere Zeitschriften. Einzig ihre Arbeit als Buchzeichnerin kommt etwas zu kurz.

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