„Wir müssen die Tiere lieben, die wir essen“, sagt Franz Keller und macht es vor
Foto: Schmott Photographers für der Freitag
Satte grüne Wiesen, mächtige Bäume, schmale sandige Wege, Holzzäune. Ruhe. Ein paar Hühner laufen über den Hof, die Rinder stehen auf der Weide, zwischen Ställen und Haus thront ein alter Bauwagen, grün gestrichen, rotes Dach. So stellt man sich einen Bauernhof vor. Doch Höfe wie diesen gibt es kaum noch.
Landwirtschaft in Deutschland, das sind heute hochgerüstete Betriebe mit riesigen Flächen und Massen an Tieren, Betriebe, die wie Fabriken funktionieren. Effizient, günstig, schnell: So wird dort Fleisch produziert. Und das in der Europäischen Union geltende Prinzip der Flächensubventionen, demzufolge ein Landwirt mit besonders viel Ländereien auch am meisten Zuschüsse kassiert, sorgt dafür, dass immer meh
immer mehr Inhaber von kleinen und mittelgroßen Bauernhöfen das Handtuch werfen. Eine Handvoll erfolgreicher Biobetriebe produziert für einen Nischenmarkt. Der Bauernhof, so wie er in den Kinderbüchern bis heute gezeichnet wird, verkommt zum Relikt.Franz Keller, der lange zu den bekanntesten Spitzenköchen in Deutschland zählte, macht das wütend. Darum ist er hier, in der Einsamkeit des Obertaunus, auf dem Falkenhof im hessischen Rheingau, zum Bauern geworden. Er hat sich den Frust über das, was mit unserer Ernährung schiefläuft, in der Lebensmittelindustrie, in den Gourmetrestaurants, in den Küchen zu Hause, von der Seele geschrieben – und traf einen Nerv: Mehr als 30.000-mal wurde sein Buch Vom Einfachsten das Beste, das im vergangenen Jahr erschienen ist, bis heute verkauft. „Kein anderer Koch in Deutschland hat solche Verkaufszahlen“, sagt er stolz.Keller trägt eine kurze hellgrüne Hose, Gummistiefel, eine klassische Barbour-Jacke, einen langen Stock in der Hand. Er läuft voran, zu den Ställen mit den Kaninchen, schnappt sich eines der Tiere mit schwarzem Fell und Schlappohren, hält es sich an die Brust, streichelt es. „Die sind zum Kuscheln, aber natürlich werden sie auch gegessen“, sagt er und schwärmt vom gesunden, mageren Fleisch der Tiere. „Kaninchen, das war früher das Schwein der Arbeiterschaft.“ Dann zieht er weiter auf eine Wiese, zu Olympus. Elf Jahre ist der Bulle mittlerweile alt, ein imposanter, mit seiner Statur auch angsteinflößender Koloss. Keller geht auf ihn zu, klopft ihm mit der Hand auf das Fell, schmiegt sich an ihn.„Wir müssen die Tiere lieben, die wir essen“: Das ist sein Motto. „Wir haben heute keine Bauernhöfe mehr, sondern Lebensmittelfabriken“, sagt er. Mit dem Falkenhof will er gegensteuern, er will vorleben, dass es auch anders laufen kann.Die Familie, aus der Franz Keller stammt, hat viel dafür getan, die feine Esskultur ins Nachkriegsdeutschland zu bringen. „Schwarzer Adler“ heißt das Restaurant der Kellers in Oberbergen am Kaiserstuhl, den badischen Singsang hat der Koch bis heute nicht abgelegt. Ursprünglich war der „Adler“ eine einfache Gaststube für Wanderer.Seit ab Mitte der fünfziger Jahre immer mehr Franzosen aus dem nahen Elsass dort vorbeischauten, wuchsen die Erwartungen der Gäste. Irma, Kellers Mutter, stellte ein erstes Vier-Gänge-Menü zusammen: Leberknödelsuppe, Weinbergschnecken, Lammeintopf, Kaiserstühler Sauerkirschen mit Kirschwasser als Dessert. Ihr Mann Franz schmuggelte französische Weine über die Grenze. Bald sprach sich herum, wie außergewöhnlich man in der kleinen Gastwirtschaft nahe Freiburg speisen konnte. 1969 wurde Irma Keller Deutschlands erste Sterneköchin.Der Vater von Franz Keller war ein Patriarch, die Berufe seiner Söhne bestimmte er eigenmächtig. Franz, der Erstgeborene, Jahrgang 1950, sollte Koch werden. Sein jüngerer Bruder Fritz, der heute über das Restaurantimperium der Kellers in Oberbergen herrscht, sollte den Winzerberuf erlernen. Widerspruch wurde nicht geduldet. Erst murrend, dann schnell begeistert ging Franz Keller bei Hans Beck auf der „Zähringer Burg“ in Freiburg in die Kochlehre. Es folgten Stationen in Frankreich, zuletzt bei Paul Bocuse, dem großen Zampano und Erneuerer der französischen Küche. „Wie bei der Fremdenlegion“ sei es beim Küchengott zugegangen, die Ansprüche seien enorm gewesen, die Schichten furchtbar lang. Eine harte Schule. Doch Franz Keller sagt, er verdanke dem Meisterkoch unendlich viel. Bocuse habe immer gepredigt, dass es wichtig sei, sich als Koch zu vermarkten, um wahrgenommen zu werden. „Du musst den Leuten auch sagen, dass du dir den Arsch aufreißt: Das habe ich von Bocuse gelernt.“In Köln machte Keller 1979, gemeinsam mit einem Werber, sein erstes eigenes Restaurant auf. Und verschuldete sich dafür maßlos. 35.000 D-Mark gaben sie allein dafür aus, um die Wände zu vergolden. Nebenan eröffnete Keller gleich noch ein Bistro. Trotz des großen Erfolgs, weder auf Gäste noch auf den Michelin-Stern musste er lange warten, rutschte Keller immer weiter ins finanzielle Abseits. Erst ein Angebot des Unternehmers Max Grundig, der in Baden-Baden ein Luxushotel eröffnen wollte, rettete ihn aus dem Fiasko. In der „Bühlerhöhe“ wurde Keller „der bestbezahlte Koch Deutschlands“, mit einem Jahresgehalt von einer halben Million Mark. Eigentlich hatte Grundig den Chefposten an Eckart Witzigmann vergeben wollen – aber der hatte sich beim Gehaltspoker verzockt.Bunte BentheimerSo entschied sich der Unternehmer für den zweitbekanntesten Vertreter der deutschen „Nouvelle Cuisine“. Mit dem, was er in Baden-Baden einnahm, bediente Keller die Forderungen der Kölner Banken. Nach knapp zwei Jahren kam es zum Bruch mit Grundig. Das renommierte Hattenheimer „Kronenschlösschen“ engagierte Keller als Chefkoch – so kam er in den Rheingau.An dem Gatter, hinter dem die Schweine in der Sonne faulenzen, liegt ein Sack mit alten Äpfeln. „Die bringt ein Freund vorbei, damit ich die Tiere damit füttere“, erklärt Keller. Nach und nach klaubt er die Früchte hervor, dann schüttet er den Rest über den Zaun. „Kommt her, ich habe euch hier Äpfel hingemacht“, brüllt er in Richtung der Schweine.Bunte Bentheimer wird die Rasse genannt, die Tiere haben schwarze Flecken überall auf dem Körper verteilt – und einen hohen Fettanteil. Lange waren sie vom Aussterben bedroht, mittlerweile setzen wieder mehr Ökobauern auf die seltene, alte Rasse. Für die Lebensmittelindustrie sind die Bunten Bentheimer uninteressant. Gefragt ist heute mageres Schweinefleisch – daraufhin werden die Tiere gezüchtet. „Das ist pervers“, sagt Keller. „Ein Schwein, das nicht fett werden darf, ist eine arme Sau.“ In den Mastfabriken werden die Ferkel in gerade einmal fünf bis sechs Monaten auf ein Gewicht bis neunzig Kilo gefüttert, dann kommen sie unters Messer. Platz, um sich zu bewegen, haben sie in ihren Ställen nicht. „Die Tiere stehen in ihren eigenen Exkrementen“, klagt Keller.Er erzählt, dass diese hochgezüchteten Schweine gar nicht mehr in der Lage seien, auf der freien Wiese zu leben. Ihre Körper seien so schwach, dass sie sich, wenn die Sonne scheint, sofort einen Sonnenbrand holen und bei nasskaltem Wetter sofort krank werden würden. Seine Schweine dagegen leben durchgehend im Freien. Und sie werden auch nicht nur höchstens ein halbes, sondern mindestens zwei Jahre alt, bevor sie geschlachtet werden.Placeholder infobox-1Überhaupt macht Keller auf seinem Hof vieles anders. Seine Kühe werden nicht gemolken, ihre Milch ist allein für die Kälber. Die Rinder lässt er mindestens drei Jahre leben. Geschlachtet wird bei einem Biobetrieb, der nur ein paar Kilometer entfernt liegt, besser noch auf dem Hof selbst – damit die Tiere am Ende ihrer Tage nicht noch Hunderte Kilometer in einem engen Hänger über die Autobahn gefahren werden müssen. Ein „gutes Leben“ sollen seine Tiere führen können. Wenn Keller von seiner Tierliebe spricht, vom Respekt gegenüber den Schweinen, Rindern, Hühnern, dann fragt man sich manchmal, warum er nicht längst zum Vegetarier geworden ist. „Das ist mir zu extrem“, antwortet er knapp.Schon in seinen Zeiten als Spitzenkoch war er oft frustriert über die Produkte, mit denen er es in seiner Küche zu tun hatte. Da schuf er feine Teller, zehn, elf, zwölf Gänge, schuftete Tag und Nacht, doch die Qualität des Fleisches stimmte für ihn schon lange nicht mehr. In der Gourmetküche steckte schon immer viel Schein, Protz und Blenderei – Anfang der neunziger Jahre hatte Keller genug. Er quittierte den Dienst im „Kronenschlösschen“, mietete sich um die Ecke eine einfache Dorfkneipe und schrieb den Machern vom Michelin-Guide, dass er keine Lust mehr habe auf die Sternejagd. Er kaufte den Falkenhof, begann mit der Aufzucht von Rindern – einer Kreuzung aus Charolais und Limousin –, Schweinen und Hühnern. „Krank.“ „Scheiße.“ „Das ist doch für den Arsch.“ In seiner Wortwahl ist Keller nicht zimperlich. Mit Verve wettert er gegen die Lebensmittelindustrie, die Mastbetriebe – und die Politiker, die diese Unternehmen mit hohen Zuschüssen hofieren. „Bei uns wird der letzte Dreck subventioniert.“ Es brauche eine Rebellion, damit sich etwas ändert, nicht nur bei der Tierhaltung und in den Küchen, sondern im Umweltschutz und in der Klimapolitik. „Wir fahren gerade mit ziemlich viel Karacho gegen die Wand, und trotzdem denkt jeder: Ist doch alles nicht so schlimm.“Weil Keller dafür plädiert, dass Fleisch spürbar teurer und zum Luxusgut werden soll, wird ihm vorgeworfen, sein Denken sei unsozial. Ihn ärgert das. „In den fünfziger Jahren kam der Gedanke auf, dass jeder sich Fleisch leisten können soll“, holt er aus. „Das war ein super Ansatz, nur leider haben wir ihn völlig pervertiert. In Deutschland ist alles immer teurer geworden, bis auf das Fleisch, das wurde Jahr für Jahr billiger. Dabei haben wir verlernt, dass zu viel Fleisch krank macht.“ Die Menschen müssten wieder lernen, mit Gemüsen zu kochen, zu schmecken, zu experimentieren, glaubt Keller. Sie müssten sich wieder mehr Zeit nehmen fürs Kochen und fürs gemeinsame Essen. „Es gibt doch nichts Schöneres.“ Die „Adler Wirtschaft“, Kellers Restaurant in Hattenheim, führt mittlerweile sein Sohn.Bauernbrot und QuarkEr selbst steht auch noch hinterm Herd, wird als Koch für private Feiern gebucht, bietet Menüs auf seinem Hof an. Er hat sich eine Art Showküche bauen lassen. Mit viel Edelstahl, einem Feuerofen, die Regale voller Kräuter, Brände, Soßen. Keller schneidet ein paar Scheiben Bauernbrot auf, belegt sie mit dünn geschnittenem Schweinebraten und Rauke, schmiert etwas Senf darauf.Er setzt sich an den großen Tisch vor der gläsernen Fensterfront, öffnet einen Müller-Thurgau vom Weingut seines Bruders. Er erzählt von den Märkten in Indien, Mexiko oder Nordafrika, die er so gerne besucht, zetert über „den Schrott“ – die labberigen Brötchen und überteuerten Limonaden –, den die Menschen an Autobahnraststätten für viel Geld kaufen, redet darüber, warum sich Länderküchen ohne Migration nicht weiterentwickeln würden. Gerade arbeite er an seinem nächsten Buch, es soll eine Art Küchenhilfe für jedermann werden. Und er würde gerne noch eine Schule für Köche und Kellner ins Leben rufen – „damit diese Berufe, die ich so liebe, nicht aussterben“. Aber jetzt muss er wieder an den Herd. Am nächsten Tag kommen Gäste, das Tomatensugo ist noch nicht fertig und er muss die grüne Soße anrühren. Mit ordentlichem Quark, nicht mit diesem mageren Zeug.
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