Er ist das erste Opfer eines politisch motivierten Anschlags in den Niederlanden, die Pim Fortuyn, seit er sich als Politiker in Szene setzte, so polarisiert hat, wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Land galt stets als Aushängeschild einer multikulturellen, ausgleichenden Gesellschaft - der Soziologe und Unternehmer Fortuyn musste nur aussprechen, warum dieses Credo längst Etikettenschwindel war, und schon sah er sich auf einer Woge der Zustimmung. Ihm wurden daher gute Chancen eingeräumt, bei den Wahlen am 15. Mai einen eben solchen Überraschungscoup zu landen wie bei der Abstimmung über das Kommunalparlament von Rotterdam Anfang März. Aus dem Stand errang er dort ein Drittel der Stimmen und attackierte eine Hochburg der Sozialisten.
Doch Ro
Doch Rotterdam blieb kein Einzelfall, auch in der Philips-Stadt Eindhoven zog eine Bewegung gegen die Altparteien ins Rathaus. Leefbaar Eindhoven warbmit dem Slogan "Mehr Lebensqualität!" und katapultierte sich von null auf zwanzig Prozent. Wobei Lebensqualität vorzugsweise als Sicherheit vor einer vermeintlich ausufernden Kriminalität der "Fremden" verstanden wurde. Denen gegenüber werde das "Prinzip Nulltoleranz" gelten, sobald er sich mehr politischen Einfluss verschafft habe, versprach der ehemalige Soziologie-Professor Fortuyn vieldeutig. Asylbewerber wolle er nur noch aus den unmittelbaren Nachbarländern einreisen lassen, den UNO-Flüchtlingsvertrag ebenso wie das Schengener Abkommen kündigen. 16 Millionen Niederländer seien genug - deshalb müsse man am 15. Mai für die Liste Pim Fortuyn stimmen. Die wachsende Resonanz, die er damit fand, sorgte immerhin dafür, den bereits in Richtung Ruhestand driftenden Premier Wim Kok in den Wahlkampf zurückzuholen. Warum aber war das politische Klima in den Niederlanden für Rechtspopulisten der Spezies Fortuyn zuletzt so günstig? Hatte nicht der Sozialdemokrat Kok eine durchaus respektable Wirtschaftsbilanz vorzuweisen? Die Niederlande rangieren mit einer Erwerbslosenquote von 3,2 Prozent im Spitzenfeld der EU-Staaten knapp hinter Luxemburg. Das Polderland der Neuen Mitte präsentiert sich nach acht Jahren Großer Koalition von Sozialisten und Liberalen flexibel und weltoffen - allerdings ohne belastbare soziale und politische Balance. Paradoxerweise köchelt die Fremdenfeindlichkeit besonders in Regionen, in denen so gut wie kein Ausländer lebt. Im Unterschied zu Deutschland sind in den Niederlanden die meisten Zuwanderer außerdem eingebürgert, wahlberechtigt und mit Abgeordneten in Rathäusern wie im nationalen Parlament präsent - also voll und ganz eingegliedert. Fortuyn fing denn auch weniger den Ausländerfrust der Stammtische auf, sondern fand seine Klientel sowohl unter Einheimischen als auch den etablierten "Fremden". Die "Nummer Zwei" auf seiner aktuellen Kandidatenliste war der aus Westafrika stammende Jungunternehmer Joao Varela. Wie aber konnte ein gebürtiger Afrikaner in Holland glaubhaft für einen Einwanderungsstop von Fremden plädieren, mochte man sich fragen. Ganz pragmatisch, in bester niederländischer Tradition, lautete die Antwort. Varela zeigte einerseits, wie multikulturell die Niederlande tatsächlich sind und ein Bürger seiner Statur vollauf integriert sein kann. Andererseits machte er für sich geltend, über "sinnvolle Einwanderungspolitik" nachdenken und die gleichen Schlüsse wie Fortuyn ziehen zu dürfen: Augenblicklich sei das Boot eben voll, darum müsse man die Grenzen schließen, um den kollektiven Lebensstandard zu sichern. Demnach galt der eine Fremde nicht länger als Fremder und durfte sich gegen den anderen Fremde wenden. Für einen stupiden Blut-und-Boden-Rassismus undenkbar - für den rechtskonservativen Kulturpatriotismus eines Pim Fortuyn kein Problem. Nun ließe sich Varela als bloßer Vorzeigekandidat des cleveren Populisten abtun, hätte der nicht selbst als divenhafter Homosexueller den gängigen Klischees vom grobkörnigen Kraftmenschen der Rechtsaußen-Fraktion widersprochen. Fortuyn verkündete niederländische Liberalität und den Willen, diesen Wert gegen "Andere" zu verteidigen. Als vor wenigen Wochen in Rotterdam der Imam El-Moumni Homosexualität als "schädliche Krankheit für die Gesellschaft" angegriffen hatte, gab es wenig später gewaltsame Übergriffe marokkanischer Jugendlicher auf Schwule. Als homosexuelle Galionsfigur trat Fortuyn daraufhin sofort vor die Kameras, um deutlich zu sagen: Wer selbst nicht tolerant sei, könne keine Toleranz erwarten. Gerade für den kulturell aufgeklärten Wähler schien das plausibel, wäre da nicht Fortuyns Streitschrift Gegen eine Islamisierung unserer Kultur gewesen - ein Pamphlet der Intoleranz, in der vom clash of civilisations zwischen bigotten Muslimen und aufgeklärten Niederländern die Rede war. Kulturelle Hegemonie im Blick bediente Fortuyn damit ein rigides Freund-Feind-Muster und empfahl sich als "Sohn des Vaterlands", wie er sein erstes Buch mit dem Titel An das niederländische Volk unterschrieben hatte. Ein Kulturpatriot eben, der die Spreu vom Weizen trennen wollte, indem er eine "geglückte" von einer "missglückten" Integration unterschied. Rechtspopulismus als Schutz des guten und Stigmatisierung des schlechten Fremden, kein tumbes "Ausländer raus!". Diese Ambivalenz wollte die bürgerliche Mitte nicht schrecken.