Der historische Kompromiss steht auf der Kippe

China Die Regierung in Peking hat ein 450-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm abgesegnet. Doch in der Krise kann auch sie keinen immerwährenden Wohlstand garantieren

Wie und wann wir aus der jetzigen Rezession herauskommen, weiß niemand. Nur soviel steht fest: Die Zukunft des kapitalistischen Weltsystems entscheidet sich nicht in den USA, sondern in Asien. Über das Schicksal des Dollar wird schon lange nicht mehr in Washington befunden. Was in Peking geschieht, ist für die US-Währung mindestens ebenso wichtig. Doch China – seit einem Jahrzehnt die Lokomotive der Weltkonjunktur – steckt nun selbst in der Krise.

Noch im Herbst 2008 wurde spekuliert, die Volksrepublik könne sich von erodierenden Märkten abkoppeln. Doch derzeit wird die chinesische Exportindustrie, konzentriert in den Regionen des südöstlichen Sonnengürtels, schwer geprüft. Tausenden Firmen droht die Insolvenz. Sollte das Wirtschaftswachstum im Reich der Mitte von den gewohnten zehn Prozent auf Werte um fünf bis sechs Prozent absacken, würde das bedeuten, dass ein Drittel aller den Außenhandel produzierenden Fabriken schwer zu kämpfen hätten. Die neue wie die alte Klasse der Industriearbeiter in China fühlt sich getroffen. Es gibt ein Aufbegehren von Ladeninhabern und Aktienbesitzern, den Opfern der Börsencrashs der zurückliegenden Monate.

Auf Touren bringen

Von den sechs Millionen chinesischen Universitätsabsolventen des Jahrgangs 2009 wird mehr als ein Viertel zunächst kaum einen Job finden. Was passiert, wenn die Krisenopfer aus dem bäuerlichen Milieu und den städtischen Mittelschichten mit den arbeitslosen Akademikern zusammen kommen? Werden sich die Ereignisse vom Frühjahr 1989 wiederholen?

Die KP-Führung agiert in dieser Lage schnell und geschickt, anders als die Provinzpolitiker in Deutschland haben die chinesischen Kommunisten begriffen, was es heißt, einen Wirtschaftsriesen zu regieren, der zugleich eine regionale Vormacht verkörpert. Um ihr Modell der gelenkten Kapitalakkumulation sowie der beschleunigten Industrialisierung nicht aufgeben zu müssen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als die Jobmaschine auf Touren zu bringen. Die Regierung hat in Rekordzeit ein 450 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogrammen aufgelegt und industrielle Großprojekte abgesegnet, Mindestlöhne eingeführt beziehungsweise erhöht und die Zinsen radikal gesenkt, so dass der Ökonomie Milliardenkredite zu Hilfe kommen.

Bei alldem steht der historische Kompromiss, der vor 20 Jahren nach dem Ende der Demokratisierungsbewegung gefunden wurde, auf dem Spiel. Die Parteiführung kann immerwährende Prosperität und Wohlstand umso weniger garantieren, je mehr sie sich von den Konjunkturen des Weltmarkts abhängig gemacht hat. Was bislang den Erfolg ihrer Wachstumsstrategie garantierte – Dumpinglöhne, eine wachsende Kluft zwischen Stadt und Land, grenzenlose Freiheiten für den Transfer von ausländischem Kapital – das kann sich jetzt gegen sie kehren.

Eine andere Weltwirtschaft

Westliche Firmen in China reagieren auf die Krise mit der immer gleichen Strategie – Sparen, Kürzen, Streichen. Die KP hat die Macht, es anders zu handhaben. Vieles deutet darauf hin: Sie versucht, sich aus der Abhängigkeit vom Export in die Industrieländer zu befreien. Dazu ist ein radikaler Strukturwandel der chinesischen Volkswirtschaft vonnöten, der sowohl die regionalen als auch sektoralen Disparitäten vermindert. Dabei sind weder die ausländischen Investoren noch die gigantischen Dollarreserven der chinesischen Zentralbank besonders hilfreich. Damit sich China als der mit Abstand größte Gläubiger der USA aus seiner Abhängigkeit vom Dollar befreien kann, ist nicht weniger notwendig als eine andere Weltwirtschaft. Darauf zu warten, hilft wenig, den notwendigen Strukturwandel der chinesischen Volkswirtschaft voranzutreiben, dagegen viel. Jetzt hat die KP die Chance, dem eigenen Volk zu demonstrieren, was es mit der „sozialistischen Marktwirtschaft“ auf sich hat. Wenn ihr das nicht rasch gelingt, wird die Woge der Revolten anschwellen. In China steht nicht die eine oder andere Regierungskoalition auf dem Spiel, sondern ein ganzes Reformwerk aus drei Jahrzehnten, sprich: der kapitalistische Weg zum Marktsozialismus. Wirtschaftsdemokratie wäre eine Alternative. Allerdings eine, die ohne eine Demokratisierung des Staates nicht zu haben ist.

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