Der Hölle entkommen

Stille Post Zu den Fällen Natascha Kampus und Murat Kurnaz

Für zwei Menschen endete in der vergangenen Woche ein Martyrium, dessen Ausgang ein "normales" Leben sein soll, aber wohl nie eines werden wird: Natascha Kampus und Murat Kurnaz, beide über lange Zeit gefangen in absoluter Isolation. Das 18-jährige Mädchen aus Österreich floh aus der Haft eines verrückten "Gebieters", der es acht Jahre lang in einem Garagenverlies gefangen hielt. Der 24-jährige Deutsche türkischer Herkunft - in Pakistan 2001 auf einer Pilgerreise als vermeintlicher Talibankämpfer festgenommen und dann dem US-Militär übergeben - entkam nach fast fünf Jahren der Folterhölle Guantanamo.

Die beiden verbindet, dass sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren. Eine Floskel, die den dünnen Boden menschlicher Zivilisation beschreibt. Denn ihre Entführer und Peiniger glaubten sich durchaus im richtigen Moment am richtigen Ort. Wolfgang Priklopil, der Sadist mit dem kafkaesken Nachnamen, hatte seine Entführungstat minutiös über Jahre vorbereitet, sein Opfer vorher genauestens ausgesucht und ausgespäht. Beim Verdunkeln der Tat halfen ihm seine absolute Unauffälligkeit und bürgerliche Normalität in einer Wiener Vorstadtsiedlung. Die US-Fahnder glaubten ihrerseits richtig und rechtmäßig zu handeln. Nach dem Schock vom 9. September 2001 schien alles erlaubt. Und so vegetieren bis auf den heutigen Tag, außerhalb jeglichen Rechts, ohne Aussicht auf einen Prozess oder ein Freikommen, die "bösen Kämpfer" in Käfigen.

Natascha Kampusch und Murat Kurnaz sind aus dem Leben Gerissene - entsprechend mühsam wird ihr Weg zurück. Beide haben bis auf weiteres jeglichen Kontakt zu jeglichen Medien gemieden. Kurnaz hat sich in den Schutz seiner Famlie begeben, Kampusch lebt, abgeschirmt durch Polizei und Psychologen, in einem unbekannten Hotel. Eine schöne Herausforderung für Rechercheure von Revolverblättern, diese selbstgewählte Anonymität zu durchbrechen. Ihre Leser haben zwar Mitgefühl mit den Opfern, wollen aber natürlich dennoch wissen, was geschah und geschieht.

Licht auf Guantanamo zu werfen scheint tatsächlich dringend geboten. Dieses Lager durfte von UN-Mitarbeitern zwar betreten werden, Gespräche mit Gefangenen allerdings blieben strikt untersagt. Ob Murat Kurnaz reden wird? Wer in den Nachkriegsjahren aus sowjetischen Zwangslagern entlassen wurde, dem gab man als Abschiedsgeschenk die Warnung mit, kein Wort über das dort Geschehene und Gesehene zu verlieren. Weder privat noch öffentlich. Diejenigen, die in Ostdeutschland blieben, hielten sich an das Verbot. Sie wussten, warum.

Natascha Kampusch soll in ihrer drei mal vier Meter kleinen und 1,60 Meter hohen Zelle, in der sich ein Fernseher und einige Bücher befanden, Tagebuch geschrieben haben. Priklopil war sich seiner Sache offenbar sicher. Schreiben durfte Kurnaz, soweit bekannt ist, nicht. Er verbrachte die gesamte Haftzeit tags wie nachts unter dem grellen Licht von Scheinwerfern. Auch Natascha Kampusch hat das Tageslicht nur bei den sehr seltenen Ausflügen an der Hand ihres Entführers gesehen. Beide Gefangene rochen und fühlten nicht den Wechsel der Jahreszeiten. Murat Kurnaz, nachdem ihm in Deutschland Hand- und Fußfesseln gelöst und das Klebeband von den Augen genommen worden war, bat seinen Rechtsanwalt anzuhalten. Er stieg aus dem Auto und blickte minutenlang in den Sternenhimmel.

Folter ist ein variables Mittel - diese Erkenntnis ist der gemeinsame Besitz von beiden, die den größten Teil ihres Lebens noch vor sich haben. Ob sie sich jemals daraus befreien, ist ein schwieriger Weg mit offenem Ausgang. In Jenseits von Gut und Böse hat Friedrich Nietzsche von Menschen geschrieben, die "in fernen entsetzlichen Welten einmal zu Hause" gewesen seien, von denen "ihr nichts wißt". Sie hätten alle Formen der Verkleidung nötig, "um sich vor der Berührung mit zudringlichen und mitleidigen Händen und überhaupt vor allem, was nicht Seinesgleichen im Schmerz ist, zu schützen". Natascha Kampusch hatte eine Decke über dem Kopf, als sich die Kameras auf sie richteten.

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