Der Kalte Krieg wird heiß

Konsole Kommt alles wieder: In dem wenig innovativen Computerspiel „Call of Duty: Modern Warfare 2“ sind die Russen böse. Und die amerikanische Zivilbevölkerung wird geschont

Die Staubwolken verwehen, kurz spielt das Auge einen Streich. Die Bilder sehen so realistisch aus, dass man meint, auf eine afghanische Berglandschaft zu blicken. Nur einen Moment lang, dann ist die Computerspielwelt wieder erkennbar. Auf zur letzten Runde; eine Verfolgungsjagd per Boot über einen wilden Gebirgsbach und einen Hubschrauberabsturz später kommt es zum Finale. Etwa sechs Stunden kämpft der Spieler als Mitglied von Spezialeinheiten darum, das Treiben eines russischen Ultranationalisten zu beenden.

Das ist der Plot von Call of Duty: Modern Warfare 2. Technologisch gesehen ist das kürzlich erschienene Spiel makellos. Es setzt auf eine ähnliche Dramaturgie wie der aktuelle Katastrophenfilm 2012 von Roland Emmerich: Bei Emmerich entgehen die Helden immer knapp dem weltweiten Untergang, bei Modern Warfare 2 rennt der Spieler durch pompös inszenierte Schießbuden rund um den Erdball; unter anderem kämpft er sich durch eine brasilianische Favela und einen sibirischen Gulag.

Offensichtlich wird mit dem Spiel aber vor allem auf das US-Publikum gezielt. Denn diesmal erleben die Russen ein Comeback als Feindbild – im ersten Teil musste der Islamismus dafür herhalten, und die Chinesen hebt man sich womöglich für den dritten Teil auf. So darf mit einiger Verspätung der Albtraum des Kalten Krieges wahr werden: Russische Truppen marschieren im Schatten des Capitol auf und springen in Scharen aus Flugzeugen über dem Mittleren Westen ab.

Besonders viel Aufregung gab es in der Öffentlichkeit bei Call of Duty: Modern Warfare 2 über ein Spiellevel, in dem der Spieler an einem Terroranschlag auf einen russischen Flughafen mitwirken kann, aber nicht muss. Spielentwickler Infinity Ward und dessen Verlagshaus Activision haben diese Provokation offenbar kalkuliert: Man habe die Spieler „nahe an das Grausame“ bringen wollen, sagt der Autor der Spielgeschichte, Jesse Stern. Die enormen Reaktionen auf die Flughafenszene seien faszinierend, „weil wir alle etwas machen wollten, das erschüttert, verstört, aber auch nachvollziehbar ist“.

Mittlerweile hat sich Activision nach Protesten aus Russland entschieden, das Spiel dort ohne besagtes Level zu vertreiben. Aber der russische Markt ist wohl ohnehin irrelevant, und der „Coup“ hat im Kampf um Aufmerksamkeit gut funktioniert. Was dagegen nicht funktioniert: amerikanische Zivilisten im Spiel zu töten. Anders als bei den Szenen etwa in Brasilien sind die Level, die in den USA spielen, sorgfältig entvölkert. Die Produzenten wissen also genau, wie weit eine Fantasie reichen darf, die alle Verkaufsrekorde brechen und schon am ersten Tag fast fünf Millionen Exemplare verkaufen soll. So werden Angriffe auf Regierungsgebäude und Wohnstätten von US-Amerikanern inzwischen gezeigt – Bilder, die unmittelbar nach dem 11. September unvorstellbar gewesen wären. Diese Form der ästhetischen Zerstörung ruft mittlerweile ein Gefühl hervor wie das Abfummeln von Schorf einer verheilenden Wunde: einen seltsam kitzelnden Schmerz.

Marketingtechnisch funktioniert das Produkt Modern Warfare 2 exzellent. Spieltechnisch bedient es das Bedürfnis nach Krieg als Pop, vor allem im Mehrspielermodus. Innovativ ist das nicht: Die Chance, das enorme Entwicklungsbudget für eine anspruchsvolle Fortentwicklung des Genres zu nutzen, wurde vertan zugunsten eines Konsensprodukts des immer Gleichen in neuer Aufmachung.

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