Der kämmende Aufstand

Kino „We want Sex“ von Nigel Cole erzählt ein Stück Arbeiterinnen- und Emanzipationsgeschichte vom Ende der sechziger Jahre, das ein wenig zu adrett daherkommt

Um Sex geht es in We want Sex nicht wirklich. Vielmehr bezieht sich der Satz auf eine Anekdote, die im Film erzählt wird: „We want Sex Equality“, haben die Kämpferinnen für Lohngleichheit auf ein Plakat geschrieben, im Eifer des Demonstrierens aber vergessen, es ganz auszurollen. Erst als die Reaktionen der Passanten allzu anzüglich ausfallen, bemerken sie ihren Fehler. Der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens hat der witzige Vorfall, der sich wie der gesamte Film auf eine wahre Begebenheit bezieht, nicht geschadet. Was man vom Anliegen des Films nicht sagen kann. Besser noch als der Originaltitel Made in Dagenham (etwa: „Made in Wolfsburg“) bringt der internationale Verleihtitel das Konzept von We want Sex auf den Punkt: Geschichte wird auf Anekdoten verkürzt. Was angesichts des aktuellen Zustands von Labour, ja der ganzen Linken, mehr als symptomatisch erscheint.

Dabei geht es um nichts weniger als ein wesentliches Stück Arbeiter- und Emanzipationsgeschichte. 1968 sollen die 187 Näherinnen im Ford-Werk in Dagenham – in dem außer ihnen über 50.000 Männer arbeiten – auf den Lohn von ungelernten Arbeiterinnen herabgestuft werden. Angeleitet von Gewerkschaftsfunktionären beginnen sie, sich zu wehren, und drohen mit Streik. Als die Firmenleitung mit der Gewerkschaft den üblichen Kompromiss aushandeln will, verlieren die Frauen die Geduld, erweitern ihre Forderungen auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit und machen die Streikwarnung wahr. Die Firmenleitung lässt verkünden, die Wirtschaft würde zusammenbrechen, wenn man Frauen den gleichen Lohn zahle. In den Medien finden die Aktionen ein unerwartetes Echo. Und in London, wo zum ersten Mal eine Frau Arbeitsministerin wurde, kommen Dinge in Gang, die so niemand erwartet hätte.

Gefällige Stimmung

Vielleicht liegt es an den Oberflächenreizen, die ein Film, der Ende der sechziger Jahre spielt, mit sich bringt. Die Mode mit ihren Miniröcken, die kuriosen Automodelle und dazu die beste Erinnerungen weckende Musik – das erzeugt eine Stimmung so gefällig wie eine Frühlingsbrise. Mit den Etappen des Arbeiterkampfes verfährt der Film wie mit dem Gefühlsparcours des Hollywooddramas: erste Triumphe, große Solidarität, zwei, drei Krisen und schließlich deren Überwindung. Und Sally Hawkins verleiht in einer Haufrauen-Reprise ihrer Happy-Go-Lucky-Figur dem Ganzen den spontanen Charme, den es braucht, um Aktionen wie Streik von Ideologie fernzuhalten. „Sie hat mit den Kommunisten nichts am Hut“, bestärken die öligen Chefs sich und den Zuschauer.

Mit der Ministerin findet Sally Hawkins‘ Figur schnell eine gemeinsame Ebene in punkto Frauensolidarität: „Haben Sie Ihr Kleid auch bei C gekauft?“ So macht Arbeitergeschichte Spaß. Selbst die miesen Bedingungen, unter denen die Näherinnen bei Ford schuften, gerinnen in We want Sex zur putzigen Begebenheit: Wegen der hohen Temperaturen in der nicht-klimatisierten Werkshalle entledigen sich die Frauen meist ihrer Schürzen und sitzen im Büstenhalter vor den Maschinen. Von Zeit zu Zeit hallt der Warnruf „Mann!“ durch die Halle und alle ziehen sich hektisch an – wie der Film uns glauben machen will, natürlich stets ein wenig kokett zu spät.

Im Abspann sieht man ein paar der „originalen“ Mitstreiterinnen. Ihre lebendigen Temperamente und die alten Fotografien, die kurz zu sehen sind, lassen aufblitzen, was für ein spannender Film We want Sex hätte werden können.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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