Der Kesselheizer der Revolution

Legende Drei bewaffnete Aufstände im Vogtland und im mitteldeutschen Industrierevier führte Max Hoelz in den zwanziger Jahren an. Vor 75 Jahren starb er unter ungeklärten Umständen in der Sowjetunion

Filmreife Szenen aus dem Leben eines kommunistischen Rebellen aus den Anfängen der Weimarer Republik: Max Hoelz beschlagnahmt an der Spitze bewaffneter Arbeitertrupps Lebensmittel und verteilt sie an die Armen. Von der Staatsmacht verfolgt, spricht er wenige Tage später in Verkleidung auf einer Massenversammlung und gibt sich am Ende unter dem Jubel der Menge zu erkennen. Schließlich gelingt ihm, von Polizisten umringt, gegen jede Wahrscheinlichkeit die Flucht: Er droht, eine Handgranate zu zünden, obwohl er nur seinen Schlüsselbund in der geschlossenen Faust hält.

Szenen, aus denen Legenden werden. Und so nannten ihn seine Anhänger teils einen Robin Hood der Arbeiter, teils betrachteten sie ihn als ihren Roten General. Für seine Feinde hingegen war er nichts als ein Verbrecher und Terrorist. Er selbst verstand sich als "Kesselheizer der Revolution" und sah seine Aufgabe darin, nicht nur die Erhebung der verelendeten Massen, sondern auch die in seinen Augen verkalkten Bürokraten der Linken einschließlich der KPD voranzutreiben.

Am 14. Oktober 1889 als Kind bitterarmer Landarbeiter in der Nähe von Riesa geboren, trat der junge Hoelz eher als religiöser Schwärmer denn als politischer Mensch ins Erwachsenenleben. Freiwillig marschierte er in den Ersten Weltkrieg - und kehrte desillusioniert und radikalisiert zurück, entschlossen, den Kapitalismus, in dem er die Ursache für das gigantische Völkermorden sah, umzustürzen und wie in Russland auf seinen Trümmern den Sozialismus zu bauen.

Drei wilde Jahre

Innerhalb von drei kurzen Jahren erwirbt sich Hoelz den Ruf als Mann der revolutionären Tat. Zunächst Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratie, begründet er Ende 1918 den Arbeiter- und Soldatenrat im vogtländischen Falkenstein. Wenige Wochen später ist er bereits in der KPD und Vorsitzender des Arbeitslosenrates der Stadt. Er übt dort faktisch die Macht aus, ordnet etwa die Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung und der Zuwendungen für die Kriegerwitwen an und lässt in den Wäldern des Adels Holz einschlagen, damit die Armen Feuer in die Öfen bekommen. Sein Mittel gegen die Besitzenden ist die Androhung von Gewalt. Die Bürgerwehr wird kurzerhand entwaffnet. Als Angehörige des Arbeitslosenrates verhaftet werden, nimmt er den Bürgermeister und andere Honoratioren als Geiseln und erzwingt so die Freilassung seiner Genossen. Mehrmals versuchen die Behörden vergeblich, ihre Ordnung wiederherzustellen und insbesondere des Hauptaufrührers habhaft zu werden. Der taucht in die Illegalität ab, um nur wenige Monate später - Kapp hat gerade geputscht - wieder auf den Plan zu treten.

Unter seinem Kommando formiert sich im März 1920 in Falkenstein eine Rote Garde, die bei Überfällen auf die Gendarmerie Waffen erbeutet und sich Feuergefechte mit Sicherheitspolizei und Reichswehr liefert, die mehr oder weniger offensichtlich auf der Seite der Putschisten stehen. Die Finanzierung der Roten Garde haben die Kapitalisten zu übernehmen. An einen von ihnen schreibt er: "Ich fordere Sie auf, bis Sonnabend den Betrag von 150.000 Mark im Schloss Falkenstein in bar als eine einmalige Beihilfe zur Finanzierung der roten Armee abzugeben, bis spätestens sechs Uhr abends. Im Weigerungsfalle werde ich meiner Forderung Nachdruck zu verleihen wissen." Unterzeichnet: Max Hoelz. Die Firma zahlt mit Hilfe der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt, Filiale Klingenthal. Insgesamt soll Hoelz auf diese Weise eine Million eingetrieben haben. Dem Bürgermeister von Markneukirchen setzt er eine "Frist von zehn Minuten, sämtliche Waffen abzuliefern." Im Falle der Weigerung droht er, "sofort mit 3.500 Mann in die Stadt" einzurücken, über die er nicht verfügt. Der Bluff gelingt, wie viele andere auch.

Während der Kapp-Putsch bereits am 17. März 1920 am Generalstreik der Gewerkschaften scheitert und die SPD zur Wiederaufnahme der Arbeit aufruft, geht der Kampf im Vogtland bis in den April hinein weiter. Auch auf einen Appell der KPD zum Rückzug reagiert Hoelz nicht. Parteidisziplin ist nicht Sache des Rebellen. Es hofft darauf, den Kampf zusammen mit der Roten Ruhrarmee bis zum Sozialismus fortsetzen zu können - vergeblich. Der Übermacht weichend, flieht er schließlich in die Tschechoslowakei.

Sechs Gefechte in zehn Tagen

Ein drittes Mal geht er 1921 auf die Barrikade, diesmal nicht im Vogtland, sondern im Mansfeld, am Rande des mitteldeutschen Industriegebiets, in dem der Stimmanteil der KPD bei den preußischen Landtagswahlen bei über 40 Prozent liegt. Als die Regierung im Frühjahr in den Bezirk Merseburg Polizeieinheiten entsendet, um die kommunistische Hochburg ein für allemal zu schleifen, folgen zwei Drittel der Arbeiter dem Streikaufruf der KPD. Seit dem 21. März arbeitet Max Hoelz fieberhaft am Aufbau einer Sturmkompanie, die den Kern einer Arbeitertruppe bilden soll. Bereits zwei Tage später liefert sie sich in Eisleben das erste Gefecht mit der Sicherheitspolizei. In den nächsten Tagen folgen bewaffnete Kämpfe in Hettstedt, abermals Eisleben, Sangerhausen, Ammendorf und Beesensteck. Obwohl sich an den Kämpfen diesmal an die 4.000 Arbeiter beteiligen, wird bald klar, dass sie gegen die Truppen des Staates keine Chance haben.

Ohnmächtig flüchtet sich Hoelz in blutrünstige Drohungen und dekretiert: "Hörsing (der Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen/UB) lässt in Mitteldeutschland Arbeiter, Frauen und Kinder erschießen, nur deshalb, weil sie Arbeiter sind und um ihr Brot und ihre Freiheit kämpfen. Wir haben sofort als Gegenmaßnahme das proletarische Standrecht verhängt. Wir schlachten die Bourgeoisie ab, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, wir sprengen ihre Villen in die Luft und nehmen ihnen des geraubte Geld ab, dass sie den Arbeitern durch Ausbeutung und Wucher zuerst geraubt hat."

Es bleibt nicht bei Worten. Natürlich wird wieder requiriert, so auf dem Schloss des Rittmeisters Nette in Beesensteck, wo acht Mann vier Stunden an Schinken, Speckseiten, Würsten und so weiter zu tragen haben, die an die kämpfenden Arbeiter und die arbeitende Ortsbevölkerung verteilt werden. Auch gehen einige Villen in die Luft, Hoelz zündet die Sprengladungen persönlich. Nur abgeschlachtet wird niemand. Hoelz legt im Gegenteil größten Wert darauf, dass Gefangene anständig behandelt werden - während von der Gegenseite an den Kämpfen Beteiligte wie Unbeteiligte wahllos misshandelt und erschossen werden.

Wie absehbar, bricht auch diese bewaffnete Erhebung zusammen. Sondergerichte, die rechtsextreme (so genannte "weiße") Täter gerne milde behandeln, verhängen drakonische Strafen gegen die Aufständischen. Max Hoelz kann zunächst entkommen, wird aber am 17. April durch einen Spitzel verraten und in Berlin verhaftet.

Der proletarische Löwe in Ketten: An diesem Schauspiel wollte sich das Bürgertum, das er in Angst und Schrecken versetzt hatte, laben. Aber es kam nicht auf seine Kosten, obwohl die Anklage ihn nicht nur des Hochverrats und der Rädelsführerschaft zieh, sondern ihm gleich noch einen Mord anhängte, den er nicht begangen hatte.

Der Angeklagte klagt an

Im Juni 1921 stand er vor dem Tribunal. Seine Verteidigung bestand im Angriff auf Staatsanwälte, Richter und die ganze bürgerliche Gesellschaft. Er fühle sich nicht schuldig, "am allerwenigsten vor einem bürgerlichen Gericht, das ich nicht anerkenne. Die herrschende Klasse ist es, die zuerst Gewalt angewendet hat. Die weißen Mörder stehen unter dem Schutz Ihrer korrupten Justiz. Tausende von Arbeitern hat man in den beiden letzten Jahren widerrechtlich getötet. Dieser Prozess hat bewiesen, dass nicht ich der Angeklagte bin, sondern der bürgerliche Staatsanwalt. Ich erkenne die Ausführungen des Staatsanwalts, ich erkenne das Urteil des Gerichts nicht an."

Diese Rede machte ihn, der schließlich zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, zum vielleicht prominentesten Gefangenen und populärsten Kommunisten der Weimarer Republik. Der dritte Weltkongress der Kommunistischen Internationale solidarisierte sich mit ihm, ohne seine Kampfmethoden zu teilen. Gesinnungsgenossen versuchten mehrfach vergeblich, ihn aus dem Gefängnis zu befreien. Die KPD, zu der er sich während der Haft erneut bekannte, organisierte Massenkampagnen, führende Intellektuelle, unter ihnen Thomas Mann und Albert Einstein, forderten seine Freilassung im Rahmen einer Amnestie. Doch bis 1928 unterlag er Haftbedingungen, die - der Staat nahm Rache - nur als unmenschlich bezeichnet werden konnten.

Dann wurde unter dem öffentlichen Druck der Vollzug seiner Strafe endlich ausgesetzt. Max Hoelz kam frei, vor dem Gefängnis empfangen von einer unübersehbaren Menschenmenge. Eine Weile wirkte er als Redner für die Partei, deren Disziplin zu halten er nun versprach. 1929 überstand er schwerverletzt ein Nazi-Attentat. Im selben Jahr wurde er in die Sowjetunion entsandt, wo er mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seinem Ende lebte.

Kein Ort für Rebellen

Anfang der dreißiger Jahre hatte sich Stalin bereits weitgehend in der russischen kommunistischen Partei durchgesetzt. Die Vorstellung vom Sozialismus in einem Land beherrschte die Theorie, der beschleunigte Aufbau der Industrie und die Kollektivierung der Landwirtschaft die Praxis in der Sowjetunion. Ein Ort für Max Hoelz? Zunächst schien es so. Er wurde von Stalin und anderen Parteigrößen empfangen, war glühender Verfechter der "Generallinie" und warb für sie unermüdlich, insbesondere unter den ausländischen Arbeitern, die als Spezialisten in der Industrie helfen sollten.

Aber er hatte Augen zu sehen. Und so registrierte er Misswirtschaft, Korruption und Ungerechtigkeit, mischte sich ein und überwarf sich mit führenden Persönlichkeiten in Staat und Partei. Schließlich wollte er den Kampf in Deutschland wieder aufnehmen, doch man ließ ihn nicht zurück. In den letzten Monaten vor seinem Tod scheint Verzweiflung sein Handeln diktiert zu haben. Er verbarrikadierte sich zeitweise bewaffnet in seinem Hotelzimmer, begab sich nach Hitlers Machtübernahme gar in die Moskauer deutsche Botschaft, ersuchte dort um Hilfe bei der Rückkehr nach Deutschland - um diesen schweren Fehler am Tag darauf bei den sowjetischen Behörden selbst anzuzeigen. Wurde der einst unbeugsame Rebell in der Sowjetunion am Ende von der Panik geschüttelt, Opfer der GPU zu werden? So sieht es aus.

Am 16. September fand man seine Leiche in einem Fluss nahe der Stadt Gorki, wo er seine letzten Wochen verbracht hatte. Offiziell hieß es, er sei ertrunken. Seltsam nur, dass sich seine Frau dem Leichnam nicht nähern durfte, aber aus der Distanz feststellte, dass der Hinterkopf mit einem Tuch abgedeckt war. Sehr viel später, in den neunziger Jahren, erklärte die Witwe, der GPU-Chef von Gorki habe sich des Mordes an Max Hoelz gerühmt. Hoelz sei von GPU-Leuten in einem Boot mit Pistolenknäufen bewusstlos geschlagen und dann in den Fluss gekippt worden.

Sicher ist, dass er nach seinem Tod, allen offiziellen Trauerfeiern und Ehrungen zum Trotz, von Stalins Geheimpolizei mittels grotesker Fälschungen zum Oberhaupt einer antisowjetischen Verschwörung erklärt wurde. In den Inquisitionsverfahren der Jahre 1936/37 wurden viele, deren ganzes Verbrechen darin bestand, potenzielle Kritiker an Stalins Kurs zu sein, der Mitgliedschaft beschuldigt und erschossen.

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