Der Klang des Geldes

Gastkommentar Kuba entdeckt den sozialistischen Realismus

46 Jahre nach seiner Proklamation hat Kubas Sozialismus offenbar ein neues Verständnis vom Wert des Geldes als Instrument des sozialen Ausgleichs gefunden. Nach einem halben Jahrhundert der Appelle an die Moral und der materiellen Anreize, die nie sehr anregend waren, öffnet die neue Regierung von Raúl Castro mehr Raum für einen sozialistischen Realismus. Bisher wurde vom Menschen erwartet, dass er arbeitet, weil ihn die Arbeit zum sozialen Wesen macht, jetzt gibt es Aussicht darauf, dass ein Mensch, der mehr und besser arbeitet, auch mehr verdient. Dass die höchsten politischen Schaltstellen auf der Insel, von General Raúl Castro geführt, so realistisch geworden sind, Produktivität und Qualität der körperlichen und geistigen Arbeit als wichtigsten Maßstab zu betrachten, beweist eine fortschreitende Annäherung des politischen Diskurses an das reale Leben.

Die Wirtschaftskrise Ende der neunziger Jahre - offiziell, als "Spezialperiode zu Friedenszeiten" weich gezeichnet - hatte Kuba die volle Dramatik von Ressourcenmangel, technologischem Rückstand und desorganisiertem Unternehmertum erleben lassen. Die Rhetorik der Aufopferung wurde dennoch fortgesetzt. Da sich aber der Mensch von Rhetorik nicht ernähren kann, ließ das viele Arbeitskräfte in lukrativere Branchen wie Handel und Tourismus, in Firmen mit ausländischem Kapitalanteil oder in die Selbstständigkeit abwandern, während das Bildungswesen ausgehöhlt wurde.

Seit 2006 hat die Regierung mehrfach eingestanden, die Gehälter der Staatsangestellten seien unzureichend - allein davon könnten sie nicht leben. Gleichsam wurde darüber gesprochen, die mannigfaltigen Subventionen (etwa bei Lebensmitteln) abzubauen und Steuersätze für alle Einkommen einzuführen (bisher werden Steuern nur bei Selbstständigen, Privatfirmen und Joint Ventures erhoben).

Ein dramatisches Exempel für die außergewöhnliche ökonomische Motorik, die Arbeitsplätze und Menschen auf Kuba jetzt erfasst, ist den Busfahrern widerfahren. Für Jahre war dieser Beruf eine Quelle zusätzlichen Einkommens, weil die Einnahmen aus dem Verkauf von Tickets fast vollständig in die Taschen der Angestellten flossen. Als Anfang 2008 die "Kamele" - so nannte man die alten Busse - durch neue Fahrzeuge mit Automaten ersetzt wurden, wollten viele Fahrer den Job wechseln, weil täglich keine 100 Pesos extra mehr möglich waren. Nur ein Beispiel für eine verbreitete Praxis in der Realwirtschaft.

Mit den neuen Gesetzen, die den Arbeitern - je nach Produktivität - höhere Löhne zugestehen und die Möglichkeit einräumen, mehrere Arbeitsverträge pro Person zu haben, beginnt der kubanische Staat eine energische Kampagne gegen die verklärt umschriebene "Abzweigung von Ressourcen", die schlicht und einfach Raub ist. Abfalltonnen werden entwendet, um die Räder für den Bau von Leiterwagen zu verwenden. Baumaterialien verschwinden, um auf dem Schwarzen Markt wieder aufzutauchen. Dank dieser "Abzweigung von Ressourcen" finden viele Kubaner eine "Lösung" für ihr Einkommensproblem. Die Regierung hat daher drei essentielle Forderungen formuliert: Arbeit, Sparsamkeit und Disziplin. Raúl Castro weiß um den Wert dieser Heiligen Dreieinigkeit, die dem System Stabilität und Nachhaltigkeit bringt. Auch wenn sich viele Dinge noch nicht geändert haben - das Verhältnis zwischen Diskurs und Realität hat sich verändert! Ein gewaltiger Ruck für ein Land, das unter Druck steht, wieder Nägel mit Köpfen zu machen. Jedenfalls hat das Geld wieder einen Klang bekommen im sozialistischen Kuba.

Leonardo Padura Fuentes ist Kubanischer Schriftsteller und Journalist

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