Zur Charakterisierung politischer Lager taugen die Begriffe rechts und links schon lange nicht mehr, heißt es. Stimmt aber nicht. Mindestens in einer Hinsicht sind die beiden Seiten, klar wie zwei Himmelsrichtungen, immer noch genau zu unterscheiden: Die Rechten mögen sich zu sehr, die Linken mögen sich zu wenig. Natürlich, beide Lager sind korrumpierbar, beide verfallen in altgediente Reaktionsmuster, je nachdem, ob sie auf Oppositions- oder auf Regierungsbänken sitzen, beide Lager verkaufen jeweils ihre Pillen als die besten, natürlich. Doch typisch links ist Hader mit sich selbst und mit den anderen, typisch rechts ist eine robuste Kultur der Selbstzufriedenheit, die - je weiter die Couleur ins Eindeutige tendiert - auch schon mal bei dem endet, was die Psy
Psychoanalyse als "Abspaltung" und "Projektion" bezeichnet. Das wäre der Fall Schill: die anderen nehmen Kokain, nicht wir. Dass dieser Wahlkampf nicht in Gang kommt, dass er sein Thema nicht gefunden habe, beklagen die politischen Kommentatoren seit Wochen. Eines aber fällt zusätzlich auf: die Linke hält einen gespenstischen Abgesang auf die amtierende Regierung. Sei es in Zeitungen, sei es in privaten Diskussionszirkeln, überall sind von eingefleischten SPD-, PDS- oder Grün-Wählern Tiraden zu hören, die Wort für Wort aus dem Drehbuch einer CDU-Wahlkampagne stammen könnten. Eigenartig. Das immer wiederkehrende Argument dabei lautet, Schröder sei von Stoiber nicht zu unterscheiden. Da sind die Militäreinsätze, die zur deutschen Alltäglichkeit zu werden scheinen, das verpatzte Bündnis für Arbeit, die hochgejubelte Hartz-Kommission, da ist die unbedingte Solidarität mit den USA, die Schere zwischen Reich und Arm, acht entlassene Minister und ein Kanzler, dessen technokratischer Regierungsstil nicht mehr an Sozialdemokratie erinnern will. Da ist, last not least, der kleine Koalitionspartner, ein Umfaller vor dem Herrn. Ergo, sagen die Kritiker: S. ist S. Doch während diese Gleichung wohl wenig CDU-Anhänger davon abhalten wird, ihr Kreuzchen - dennoch - bei Stoiber zu machen, scheint sie eine breitere linke Front daran zu hindern - dennoch - auf Schröder zu zählen. Die einmal so enttäuschte Linke kann nicht wollen, dass sie wollen könnte, dass diese Regierung am Ruder bliebe. Das ist sie sich selbst und ihrem Anspruch an Kritik schuldig. Die vermissten Unterschiede aber finden sich. Nur anderswo, an den Rändern, in den Fugen der kalkulierten Entscheidungen, in dem, was viele gar nicht im harten Sinne "das Politische" nennen würden. Denken wir zurück, aus welcher vermufften sechzehnjährigen Regentschaft Rot-Grün befreite. Die zu lange währende erst west- dann gesamtdeutsche CDU/FDP-Regierung war zum Schluss in ihrem Denken so weit hinter der Lebenswirklichkeit zurück geblieben, dass der Start von Rot-Grün wie katapultbetrieben losging und selbst Utopisten schwindlig machte. Steuerreform, doppelte Staatsbürgerschaft, Ausstieg aus der Atomenergie waren die ersten Themen. Rasch stolperte die Regierung über ihre eigenen Füße und über eine Opposition, die, wir erinnern uns, eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft lancierte. Als sei es unerträglich und einfach nicht auszudenken, dass ein Mensch mehr als eine einzige nationale Identität haben sollte. Von den wunderbaren innovativen Träumen ist - natürlich - nicht viel geblieben, wenn heute 20 Prozent der angedachten Reformprojekte verwirklicht sind, dann ist das viel. Dennoch, auch diese Aufrechnungen kennen wir mittlerweile, Grüne in der Bundesregierung, ein Zuwanderungsgesetz, die Homo-Ehe, Ökosteuer, Umbau der Landwirtschaft, es sind Ideen im Umlauf, die vor vier Jahren als überhaupt nicht denkbar, geschweige denn realisierbar galten. Die Parteien unterscheiden sich, bei aller verwechselbaren Realpolitik, erheblich in ihrem weltanschaulichen Hintergrund, im geistigen Klima, das sie produzieren. Der Umstand, dass eine Politikerin, nennen wir sie Katherina Reiche, unverheiratet mit einem Mann zusammen lebt, wäre in den meisten Parteien überhaupt kein Thema. In der CDU/CSU schon. Wer hier keinen - politischen - Unterschied sieht, der mag auch Schröder für einen Stoiber halten. Die Linke mag sich nicht, das liegt in der Natur der Sache, denn ihr Wesen ist Protest. Sie hält die bestehende nicht für die beste aller Welten, und sich selbst erträgt sie nur im mehr oder minder moderaten Modus des Dagegen-Seins. Das ist ihr Pfund, sie sollte es auch nicht verspielen. Nichts ist schlimmer als grün-weichgekochter Realo-Affirmismus oder rot-regierende Kader-Starre. Über die Schwierigkeit, nein zu sagen, hat der Berliner Religionsphilosoph Klaus Heinrich vor langer Zeit geschrieben, er fragte, wie es möglich sei, ein "Ja im Nein" zu halten, ohne den Anspruch der Kritik zu verraten. Ohne nass zu werden, könne man sich nicht waschen, sagt das Sprichwort und benennt den verdammten Zwiespalt idealistischer Wasserscheu: dass Rot-Grün schon jetzt zugunsten Stoibers abdankt, kann man nicht wirklich wollen, sich mit gutem Gewissen zur bestehenden Regierung bekennen, geht auch nicht. Dann tun wir´s halt mit schlechtem. Keine Regierung wird uns die Wolken vom Himmel holen, Politik ist Dienstleistung auf Erden. Neue Debatten aber brauchen wir, und sie werden (diese Utopie sei uns erlaubt) beginnen, wo die eigentliche Opposition sitzt: in der Gesellschaft und an ihren Rändern.
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