Der kleine Unterschied von Theater und Polittheater
Florian Havemann Einst inkompatibel diesseits und jenseits der Mauer, soll der Dissidentensohn und Brandenburger Verfassungsrichter nun für die PDS in den Bundestag
Der Kandidat" heißt sein Theaterstück, das er mit lebendiger Mimik und Gestik vorträgt. Nein, nicht etwa in eigener Sache, wie man vermuten könnte. Jetzt, da er für die PDS in den Bundestag soll, ist es geschrieben. Das Stück unterscheide sich überhaupt von seinen bisherigen Arbeiten, lässt er seine Zuhörer im Berlin-Pankower Klub vorab wissen. Die haben weniger zu grübeln als zu feixen. Über ein kabarettähnliches Stück Realsatire auf einen Kandidaten namens Stoffel, der sich in aussichtsloser Wahlkampflage opfert. Auch ein Streber aus Bayern spielt eine Rolle. Stoffel wird schließlich Opfer des eigenen Abziehbildes und bricht als Menschenhasser zusammen. Florian Havemann schreibt unverdrossen Stücke, er hat als Bra
als Brandenburger Verfassungsrichter geschrieben, er schreibt als Kandidat auf Platz zwei der sächsischen PDS-Landesliste für den Bundestag. In seiner Arbeitswohnung am Rande Kreuzbergs zu Neukölln ist die Bühne allgegenwärtig. Das Allerheiligste ist das Zimmer mit den Bühnenentwürfen für das Albert-Speer-Stück, über dem er seit 20 Jahren brütet. Havemann deutet nur an, dass ihn mit dem "Architekten des Führers" mehr verbinden könnte als ein Faible für die Baukunst. Das Gefühl, "nur" der zweite - verstoßene - Sohn zu sein? Die hohe, aber ziellose Begabung, die nach einem Auftraggeber suche, wie ein Zeitung schrieb? Die Wohnung wirkt mit viel Wand, den alten Kachelöfen, wenig Möbeln wie eine Galerie. Havemannsche Malerei zeigt einsame Menschen in kalter, an Metropolis erinnernde Umgebung. "Ich bin nicht einsam, ich bin verheiratet", dementiert er Vermutungen. Eine Etage höher sitzen die Kinder Gabriele und Caroline mit beschmierten Mündern am Küchentisch. Fehlt nur Ingrid, die Neunjährige. Mutter Agnés stammt aus Frankreich, die Kinder wachsen selbstverständlich zweisprachig auf. Mindestens den Sommerurlaub verbringt die Familie jedes Jahr in Frankreich. Auch in dieser Wohn-Wohnung viel Raum, einfache, aber stilvolle Möblierung, Bilder, Architekturfotos, Relikte der DDR-Heimelektronik aus dem Hause Ziphona. Soweit so glücklich. Aber das Theater, die konstanteste Leidenschaft seines Lebens, hat Havemann junior nicht glücklich gemacht. Mit den Jugendfreunden Thomas Brasch und Einar Schleef gab es hochfliegende Pläne. Vor allem in den Siebzigern, also bereits nach Florians Flucht 1971 in den Westen "mit seiner derzeit Festen", wie Wolf Biermann über den vermeintlichen Verräter spottete. Die damals "Feste" hieß Carmen, mit ihr flüchtete er abenteuerlich in einem Bitumen-Tankwagen. Nur wenige Jahre später starb sie. Keine Flucht in den Westen, sondern aus dem Osten, differenziert "Flori Have". Nach durchaus kalkulierten Protesten gegen den Prag-Einmarsch 1968 und vier Monaten Jugendgefängnis war ihm das Leben in der DDR unmöglich geworden. Privilegien als Stalinismus- oder Ulbricht-Opfer hat er aber abgelehnt. Von diesem Westen wollte er nichts. Es klingt nicht nach peinlichen Jugendsünden, wenn Havemann junior zwischen langen Zügen an der Zigarre über seine theatralischen Ambitionen und die Truppe aus den Siebzigern berichtet. Als Brasch nicht mehr für sie schrieb, fing er selbst damit an. Mehr noch, er begann zu komponieren, lernte Mitte 20 noch, das Klavier zu traktieren. Warum hatte er keinen Erfolg? Nun ja, die Stoffe vielleicht. "Mein schlechter Charakter zielt immer auf das Große. Ich kann kein intimes Zwei-Personen-Stück schreiben." Später machte er eine seltsame Erfahrung. Schauspieler und Regisseure zeigten zunächst reges Interesse an seinen Stücken. Auf den Chefetagen aber war regelmäßig Endstation. Spätestens seit 1978 gab es dafür eine plausible Erklärung. In einem Spiegel-Artikel wagte es der Sohn damals, dem Vater und seinem Dissidentenzirkel einen sehr irdischen Charakterspiegel vorzuhalten und damit die Ikone der DDR-Opposition zu beschädigen. Sich selbst allerdings auch. "Ich hatte es mir mit allen Westintendanten verdorben." Wahrscheinlich ein notwendiger Akt später Abnabelung. "Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern der Welt habe ich einen Vater!" grinst der langaufgeschossene Schlaksige des Jahrgangs 1951. Streit zwischen Vater und Sohn sei so etwas wie Familientradition. Als der Großvater 1933 in die NSDAP eintrat, habe sich Sohn Robert auch "mit ihm gefetzt". Robert, der Chemophysiker und Kommunist, wurde zum Tode verurteilt, saß mit Erich Honecker im Zuchthaus Brandenburg und wurde trotz Spitzeldiensten für die junge DDR wegen seiner Demokratisierungsabsichten Anfang der Sechziger in die sozialistische Reichsacht gebannt. Mit umgekehrten Vorzeichen wiederholte sich das Vater-Sohn-Spiel. Robert, der staatstreue Staatsfeind, brach mit dem Sohn, als er von dessen Fluchtabsichten erfuhr. Im Jahre 2002 titelte der Spiegel immer noch: "Im Gefängnis des Vaters." Es gebe keinen Vaterkomplex mehr. Er könne über alles reden, auch über den der SED treu gebliebenen älteren Bruder und Mustersohn Frank, aber es beschäftige ihn längst nicht mehr. "Der wirkliche Robert Havemann ist unter einem Wust von Klischees vergraben." Wenn schon Komplex, dann ist eher ein Biermann-Komplex geblieben. Die Ambivalenz gegenüber dem Liedermacher-Idol, dem "älteren Bruder" spricht dafür. Eingestandene latente Zuneigung kollidiert mit auffallend harten Urteilen über den "Stalinisten, der sein Denken für das objektiv Richtige halte", und den er schon lange nicht mehr ernst nehmen könne. Sich selbst, soviel scheint gewiss, hat das Biermannsche "enfant perdu" in diesen Auseinandersetzungen eher gewonnen, nicht verloren. Dafür spricht das Selbstbewusstsein, mit dem er etwa seinen "Speer" dem Deutschen Theater antrug. Umsonst. Die "Wende" wendete in dieser Hinsicht gar nichts, so, wie sich nach seiner Flucht 1971 über die Systemgrenze nicht viel für ihn verändert hatte. Er blieb der von der Öffentlichkeit unbeachtete Außenseiter. Prominente Fürsprecher lehnte er ab. "Ich wollte als Künstler wahrgenommen werden!" Die Diskrepanz zwischen Ambition und täglichem Trockenbrot muss ein unverhofftes Angebot noch bewusster gemacht haben: Lothar Bisky kam 1999 auf die Idee, ihn an Stelle der gescheiterten Daniela Dahn für die PDS zum Laienrichter am Brandenburger Verfassungsgericht zu nominieren. Ihn lockte nicht das Ende so schlichter Jobs wie Elektriker, Hausmeister, Beleuchter oder zuletzt "Putze" beteuert Havemann. Im Gegenteil, diese manuellen Tätigkeiten seien für den Kopf höchst inspirierend gewesen. Er kenne eben die plebejische Dimension auch. Der politische Quereinstieg verdrängte allerdings erfolgreich die Vorstellung, nur mit Kunst seinen Lebensunterhalt verdienen zu wollen. Das mag ein theoretischer Anspruch gewesen sein. Die Entscheidung hatte dennoch prinzipiellen Charakter und in künstlerischer Hinsicht scheinbar paradoxe Folgen. Entlastende zuerst, und der Name der Jugendfreundin Nina Hagen fällt als Beispiel für den Preis, den der Erfolgszwang fordere. Erst der Verzicht darauf habe "das Anzapfen der eigenen künstlerischen Quelle ermöglicht", und nach einer Zeit der Selbstgefährdung leide er heute eher unter zu vielen Ideen. Damit ist freilich noch nichts über die politischen Motive der Einwilligung in diese Kandidatur 1999 gesagt. "Ich wusste, dass ich nicht Nein sagen konnte und wütete zugleich, weil ich es eigentlich nicht wollte!" Man glaubt es kaum, aber Havemann junior empfand so etwas wie den Auftrag zu staatsbürgerlicher Pflichterfüllung. Mit einer originellen Vorstellung bei der SPD-Landtagsfraktion, wo er acht Gründe nannte, ihn nicht zu wählen, setzte er sich bei der Wahl der Verfassungsrichter durch. Ein "Schritt ins System und doch darüber hinaus". Weil er nun mal darin lebe. "Ich bin im simpelsten Fall jetzt einer, der bei Demokratie mitmacht." In einem System allerdings, dessen Legitimation stets auf der Kippe stehe, dessen Widersprüche plötzlich kulminieren könnten. Alle Gründe für eine sozialistische Bewegung seien nach wie vor vorhanden. Und die Gründe für das Desaster des realen Sozialismus noch viel zu wenig erforscht. Vom Verfassungsrichter 1999 führt eine gerade Linie zur Nominierung für den Bundestagswahlkampf 2002. Es musste vielleicht nicht gerade Sachsen sein, wo der Stolz auf eigene helle Köpfe nicht nur bei Konservativen ausgeprägt ist. Ja, die Gefahr sei ihm bewusst, künftig in der Bundestagsfraktion schleichend von Opportunismus und Parteiräson verbogen zu werden. "Die wollen aber auch Leute, die über das Tagesgeschäft hinaus denken", spielt er auf die ihm zugedachte Rolle an. Und schließlich werde die PDS bekanntermaßen eher von Akademikern und Höhergebildeten gewählt. Außerdem wolle sie ja nicht nur Ostpartei bleiben, sondern eine moderne linke Partei werden. Und schließlich benutze ja nicht nur sie den Flori Have mit dem großen Namen, sondern auch er sie - ein Deal auf Gegenseitigkeit. Havemann, inzwischen 51, kann nicht mehr verbogen werden. Zu stark wurzelt er in seiner Kunst, fühlt sich vom plakativen Erfolg oder Misserfolg der Tagespolitik, von der PDS unabhängig. Und lacht viel zu viel. Es ist die Ironie und Selbstironie des Gelassenen. So eine Haltung entwickelt man nur, wenn man, trotz Niederlagen, überzeugt ist, das Richtige getan zu haben, ein Stück vom Hölderlinschen Jüngling und seiner Verachtung für kluge Ratgeber in sich trägt. Es scheint, als tausche er nur die Bühne aus Brettern, die ihm verwehrt blieb, gegen das Realtheater der Schmähpodien und Palaversäle. Es wird ihm dabei nicht wie seinem "Kandidaten" Stoffel gehen, hoffentlich.
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