Der Kohlenhändler

Porträt Scott Morrison regiert Australien, das Land, in dem der No-Covid-Traum geplatzt und die Klimakrise extrem spürbar ist
Ausgabe 33/2021
Geschlossene Grenzen findet die Mehrheit erträglich, das Debakel beim Impfen jedoch schürt Wut. Jetzt sieht sich „ScoMo“ konfrontiert mit einer Sexismusdebatte
Geschlossene Grenzen findet die Mehrheit erträglich, das Debakel beim Impfen jedoch schürt Wut. Jetzt sieht sich „ScoMo“ konfrontiert mit einer Sexismusdebatte

Foto: Lisa Maree Williams/Getty Images

Leutselig, jovial und meist einen Slogan auf den Lippen: „How good is that?“, ruft Australiens Premierminister, sobald sich eine lobenswerte Situation bietet und streckt beide Daumen hoch, das Fragezeichen ist immer rhetorisch. Im zweiten Pandemiejahr strahlt Scott Morrison seltener in die Kameras, vielleicht auch, weil sogar viele Fans ihm den bemühten Optimismus immer weniger abkaufen.

Regierungschefs spielen in Krisen eine besondere Rolle. Sie müssen vielleicht „keinen Löschschlauch halten“, wie Morrison Ende 2019 spottete – damals wüteten katastrophale Waldbrände in Australien, der Konservative flog mit Frau und Kindern nach Hawaii. Aber im Idealfall können sie führen, handeln oder Hoffnung machen. Gut kam Morrisons Urlaub bei den Landsleuten seinerzeit nicht an. „Wo zum Teufel bist du?“ trendete auf Twitter, diesen Slogan verantwortete Morrison, als er noch Chef der Tourismusbehörde war. Nun ist „ScottyFromMarketing“ zwar anwesend, oft allerdings unsichtbar. Dabei muss der 53-Jährige sich nicht nur Pandemie und Klimakrise stellen, er ist auch mit einer Sexismusdebatte konfrontiert, seit eine junge Frau Anfang 2021 eine Vergewaltigung im Büro eines Parlamentsabgeordneten bekannt machte. Immer mehr Frauen wagen es, von Übergriffen zu berichten.

Schlechte Nachrichten wie steigende Corona-Infektionszahlen und Lockdowns müssen die Chefs der Bundesstaaten verkünden. Morrison selbst verliert sich in Statements, an deren Ende unklar ist, wie sie angefangen haben. Dann wieder gibt er knappe Vier-Wort-Parolen aus: „It’s not a race“ (Es ist kein Rennen) war die Ansage, als sich die Australier fragten, wo eigentlich der Impfstoff blieb, der sie aus der Krise in Richtung Freiheit führen sollte. Morrison hatte schlicht nicht genug Pfizer bestellt und gab zu Astrazeneca so lange widersprüchliche Empfehlungen, bis es kaum jemand mehr haben wollte. Als im Juni die Delta-Variante durch eines der notorisch undichten Quarantänehotels entwischte, waren kaum fünf Prozent geimpft. Die bis dahin weitgehend heile „No-Covid“-Welt (33.000 Infektionen, 910 Tote) zerbrach und es wurde doch ein Wettlauf: mit der Mutante, raus aus den Lockdowns, Richtung besserer Impfquote. Noch immer sind erst 26 Prozent der Bevölkerung voll immunisiert. Mehr als 18 der 25 Millionen Australier leben Mitte August wieder in Lockdowns, die täglich härter werden, aber nicht den gewünschten Erfolg haben. Erstmals seit Beginn der Pandemie – damals fanden 85 Prozent Morrisons Coronapolitik gut – sind viele Australier richtig sauer: Nicht über die geschlossenen Grenzen, die die Mehrheit erstaunlich geduldig erträgt, aber über den verpatzten Impfstoffkauf und dessen Folgen. Im August sagten nur noch 48 Prozent, er mache seine Sache gut. Bis Mai 2022 muss Morrison wieder wählen lassen.

Seine erste Wahl hatte der Vater von zwei Töchtern 2019 für die Liberal Party zu seiner eigenen Überraschung gewonnen: „Ein Wunder“ nannte der Pfingstkirchler, der sonntags in der Hillsong-Gemeinde Gospel singt, das Ergebnis. Analysten stimmten ihm zu. Sein Wahlkampf war weitgehend inhaltsfrei, während Labour auf eine progressivere Klimapolitik setzte. Vor dem Thema drückt sich ScoMo, wie er mit der australischen Begeisterung für Abkürzungen genannt wird, weiterhin – vor allem, weil er Kohle liebt. Über 200 Millionen Tonnen des fossilen Brennstoffs verließen im Rekordjahr 2018 das Land. Die Begeisterung des einstigen Studenten der Wirtschaftsgeografie driftet dabei zuweilen ins Groteske: Im Februar 2017 brachte Morrison, damals Finanzminister, ein Stück pechschwarze Kohle mit ins Parlament. Die Klimaanlagen in Canberra bliesen auf Hochtouren, draußen wütete eine extreme Hitzewelle. „Haben Sie keine Angst, es wird Ihnen nicht weh tun, es ist nur Kohle!“, rief er den Abgeordneten zu und lobte den Rohstoff als „wichtigen Teil unserer nachhaltigen Energiewirtschaft der Zukunft“.

Selbst nach der Vorstellung des alarmierenden IPCC-Berichts zur Erderwärmung bleibt der Regierungschef unverbindlich, schiebt die Schuld auf andere und predigt, was er nicht tun will: „Ich werde keinen Blankoscheck im Namen der Australier unterschreiben.“ Statt Null-Emissionen bis 2050 verspricht er, man werde den „australischen Weg gehen“, auf „Technologien statt auf Abgaben“ setzen und „Zielvorgaben erfüllen und übertreffen“. Im Übrigen seien auch „Chinas Emissionen höher als die der gesamten OECD“, Australien nur ein Zünglein an der Waage – nicht das griffigste Beispiel, schließlich leben in China 70 Millionen mehr Menschen als in der OECD.

„Hat Morrison den IPCC-Bericht eigentlich gelesen?“, fragt sich die UN-Klimabeauftragte Mary Robinson, und viele zweifeln mit ihr. Die meisten Australier sind weiter als ihr Regierungschef: 80 Prozent wollen dringend mehr Taten sehen im Klimaschutz, sie haben pro Kopf mehr Solarzellen auf den Dächern als jedes andere Land – trotz fehlender Einspeise-Anreize. Nicht immer ist ScoMo vage, er kann auch stur: Als Einwanderungsminister setzt er 2014 die härteste Flüchtlingspolitik seines Landes durch, die es Bootsflüchtlingen praktisch unmöglich macht, im Land Asyl zu suchen.

Auf Hilfe verlassen konnte sich dagegen ein Generalstaatsanwalt, der seinen Posten nach Vergewaltigungsvorwürfen verloren hatte: Parteifreund Morrison setzte ihn übergangsweise wieder auf einen mächtigen Posten im Repräsentantenhaus. Die 26-jährige Grace Tame, Missbrauchsopfer, die sich 2021 als „Australierin des Jahres“ dafür einsetzt, dass Übergriffe ernst genommen werden, war entsetzt: „Schlag ins Gesicht aller Opfer sexueller Gewalt“ nannte sie die Ernennung, warf Morrison „kalte Apathie und Machtmissbrauch“ vor.

Julica Jungehülsing arbeitet als freie Korrespondentin in Australien

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