Zwiegespräch Ahne ist ein ganz besonderer Mensch: Der Lesebühnenautor ist seit Jahren eng mit Gott befreundet. Begonnen hat alles vor einer Berliner Kaufhalle ...
Der Freitag: Ahne, Sie unterhalten sich oft mit Gott. Wie haben Sie ihn eigentlich kennengelernt?
Ahne: Der wohnt hier in Berlin bei mir um die Ecke, Choriner Str. 61. Vor sechseinhalb Jahren hat er noch in der 63 gewohnt, ist dann aber in die 61 umgezogen. Ich kenne ihn vom Sehen, wie andere Nachbarn auch.
Wie sieht Gott denn aus?
Ziemlich normal. Er hat jedenfalls keinen weißen Bart und würde auch sonst nicht groß auffallen. Ein Typ in den mittleren Jahren.
Haben Sie ihn angesprochen?
Ich erinnere mich gar nicht mehr, wer wen angesprochen hat. Wir sind vor der Kaufhalle ins Gespräch gekommen, worüber, weiß ich auch nicht mehr genau.
Hat es Vorteile, wenn man Gott als Kumpel hat?
Jeder Kumpel ist auf seine eigene Weise wichtig. Ich bin kein gläubiger Mensch, f&
ile, wenn man Gott als Kumpel hat?Jeder Kumpel ist auf seine eigene Weise wichtig. Ich bin kein gläubiger Mensch, für mich ist Gott einfach ein guter Freund, aber niemand, dem ich etwas Übernatürliches zuschreiben würde.Und was macht einen guten Freund aus? Dass er einem wie Gott Ihnen beim Umzug hilft? Zum Beispiel. Allerdings gibt es auch gute Freunde, die einem nicht beim Umzug helfen. Ein Freund ist jemand, der für einen da ist, der einen ernst nimmt. Aber man muss nicht immer einer Meinung sein, derjenige muss auch nicht immer Zeit haben.Sprechen Sie täglich mit Gott?Mal so, mal so. Einmal die Woche sprechen wir schon miteinander.Welches Verhältnis haben Sie sonst zu Religion? Ich interessiere mich für alles, was in der Welt vor sich geht. Da gehört Religion nun mal dazu. Aber ich habe weder die Bibel gelesen noch den Koran oder die Tora.Aufgrund Ihrer Sozialisation? Das hängt sicher damit zusammen. Ich komme aus einer Familie, in der Religion nie eine Rolle gespielt hat. Deswegen bin ich ziemlich unvoreingenommen. Ich kann zum Beispiel auch keinen Hass gegen Religion aufbringen.Sie sind in der DDR aufgewachsen. Da war es mit dem Glauben ja schwieriger.Das war zeitlich und regional sicherlich unterschiedlich. Die DDR-Oberen waren ja auch stolz auf ihre Religionsfreiheit. Man hat mit den Mormonen angegeben, die in Dresden einen Tempel hatten. Und aus religiösen Gründen durfte man den Wehrdienst mit der Waffe verweigern.Es gab aber Grenzen, an die religiöse Menschen gestoßen sind. Menschen, die wegen ihres Glaubens nicht studieren durften oder kein Abitur machen konnten.Das gab es. Doch schneller ist man noch an Grenzen gestoßen, wenn man politisch nicht opportun war und nichtreligiös. Auch ich durfte kein Abitur machen.Sie sind politisch angeeckt?Das ging schnell. Wenn man als Junge nicht drei Jahre zur Armee gehen wollte, ist man – auf unserer Schule zumindest – nicht zum Abitur zugelassen worden. Ich hätte Unterstufenlehrer werden können, dann hätte das noch geklappt, wollte ich aber auch nicht.Was wollten Sie denn werden? Meteorologe. Hätte mir bestimmt viel Spaß gemacht, ich interessiere mich auch heute noch dafür. Aber ich bin dann Drucker geworden – was irgendwie absurd war. Ich hatte mich zunächst als Setzer beworben, da sagte man mir, dass es gar keine Bleisetzer mehr gebe, nur noch Computersatz. Man hat mir ein Foto gezeigt, wo alle am Computer sitzen. Da habe ich gesagt: ‚Nee, auf keinen Fall. Kann ich hier noch irgendwas anderes werden?‘ Sie meinten: ‚Na, Drucker.‘ Ich habe gefragt, ob ich dafür eine neue Bewerbung schreiben soll. ‚Nee, streichen Sie Setzer durch und schreiben Sie Drucker hin.‘Sie haben mal gesagt, die DDR sei wahnsinnig langweilig gewesen. Warum das? Die DDR war ein unglaublich spießiger, konservativer Staat. Alles stand still, lief nach festgefahrenen Regeln ab – und eigentlich gab es keine Hoffnung auf Veränderung. Die Wende war dann die glücklichste Zeit meines Lebens. Ich fand es unglaublich, dass man dieses System aus eigener Kraft verändern konnte.Sie waren damals politisch aktiv. Im Neuen Forum, ja. Ich habe in der Nähe der Gethsemane-Kirche gearbeitet und bin oft nach der Frühschicht direkt zu Versammlungen und Demos gegangen. Als ich einen Aufruf unterschrieben hatte, war ich offiziell dabei. Weil ich aus Lichtenberg komme, haben wir dort einen Gruppe des Neuen Forums in einer Zahnarztpraxis gegründet.In einer Zahnarztpraxis?Einer, der mitgemacht hat, war Zahnarzt, deswegen haben wir uns dort getroffen – wir wollten nicht in eine Kirche. Die meisten vom Neuen Forum waren ja nicht christlich gebunden. Heute wird es oft so dargestellt, als ob die Kirche die treibende Kraft hinter der Wende war. Das ist in dieser Verallgemeinerung nicht richtig. Die 89er Demonstrationen waren keine christliche Bewegung.Hat Gott deshalb den Mauerfall nicht richtig mitbekommen, wie er Ihnen mal erzählt hat?Naja, ich denke oft, dass Gott mich mit seinen Aussagen provozieren will. Er tut dann nur so.Heute hört man bei manchen Ostdeutschen Enttäuschung heraus, dass die Zeit nach dem Mauerfall nicht genutzt wurde, um eine bessere DDR aufzubauen, und sie stattdessen „annektiert wurden“. Empfinden Sie das auch so? Ich fand die Wiedervereinigung damals nicht richtig, aber die Öffnung der Mauer im ersten Moment auch nicht. Ich dachte, es sei ein Manöver der Stasi, um abzulenken. Rückblickend ist eine große Chance verpasst worden. Ich denke nicht, dass eine veränderte DDR hätte weiter existieren können. Aber man hätte die Geschichte selber beurteilen können, man hätte dieses System rechtlich aufarbeiten können. Das ist verpasst worden. Deswegen gibt es Gejammere und Rückwärtsgewandheit.Wie hätte das aussehen sollen?Es waren ja nicht nur die Leute in der Partei oder bei der Stasi ‚böse‘ und alle anderen ‚gut‘. Das System hat nur funktioniert, weil die allermeisten als kleine Rädchen mitgespielt haben. Und dieses Rädchen-im-System-Spielen hätte man aufarbeiten sollen, dann würde heute auch nicht immer nur gefragt: Wer war bei der Stasi, wer nicht?Wie lang ging denn die „schönste Zeit“ Ihres Lebens, wenn Sie die Maueröffnung schon nicht mehr so toll fanden? Nach der Wiedervereinigung gab es in Ostberlin für einige Jahre noch große Freiräume. Ich habe damals ein Haus mitbesetzt und wir konnten alles machen, was wir wollten. Ein eigenes Radio, Straßenfeste, Demos und Lesebühnen. Ich war ein arbeitsloser Drucker und konnte trotzdem Politik machen und Kunst.Sie waren zwei Jahre Bezirksabgeordneter. Warum sind Sie aus der Politik wieder rausgegangen?Weil man mit den Leuten, die weitermachen wollten, nicht wirklich etwas hätte verändern können. Alle, die ein bisschen quer gedacht haben, sind letztendlich an den Parteiinstanzen gescheitert. Das ist und war nichts für mich.Unterhalten Sie sich in Ihrem neuen Buch deshalb mit Gott darüber, wie die Partei heißen könnte, die Sie gründen wollen?Zusammen mit ein paar Freunden wollte ich tatsächlich vor einem Jahr eine neue Partei gründen. Unser Hauptziel lautet: Schafft das Recht auf Arbeitslosigkeit! Im Umfeld der Lesebühnen haben wir bereits den 2. Mai als Internationalen Feiertag der Arbeitslosen ins Leben gerufen, um diesem wahnsinnigen Prinzip „mehr Arbeit schaffen“ etwas entgegenzusetzen.Aber das soll keine weitere Satirepartei sein... Nein, das ist ernst gemeint. Eigentlich ist dieses „Mehr Arbeit schaffen“-Versprechen, mit dem auch die schwarz-gelbe Regierung jetzt wieder angetreten ist, die Satire. Das ist doch völlig irre. Warum lacht da eigentlich niemand? Wenn man einer Hausfrau sagen würde: Schaff dir doch mal mehr Arbeit! Die würde einen sofort rausschmeißen. Alle Parteien betonen aber, man müsse mehr Jobs schaffen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass das Geld fehlt, um andere Formen von Arbeit als die Lohnarbeit zu bezahlen.Wie kann man das „Recht auf Arbeitslosigkeit“ etablieren?Es wäre erstmal ein moralisches Umdenken nötig, so dass man als Mensch ohne Lohnarbeit nicht weniger wert ist. Arbeit ist heute nur richtige Arbeit, wenn man dafür Geld kriegt. Dabei können andere Formen von Arbeit genauso sinnvoll sein.Die Grundeinkommen-Idee.Ja, die Idee wird ja sogar aus bestimmten Kreisen der Wirtschaft befürwortet, weil man damit Geld sparen könnte. Man gibt Arbeitslosen jetzt auch Geld, bloß stempelt man sie damit zu Versagern ab. Man macht sie so moralisch fertig.In einem Gespräch mit Gott erzählt Ahne, dass er Hartz IV beantragt hat. Gott schiebt alle Verantwortung dafür von sich. Er habe ja nur die Grundbedingungen geschaffen. Sehr hart, oder?Auf jeden Fall. Ich habe selbst erlebt, wie man auf dem Amt als Versager behandelt wird. Nachdem ich eine Zeit lang Sozialhilfe bekommen hatte, sagte mein Berater, Herr Eckhart, irgendwann zu mir: ‚Sie müssen jetzt mal aus Ihrem Sandkasten herauskommen. So geht das nicht weiter mit Ihrem Schreiben. Es wird Zeit, dass Sie etwas Richtiges machen und erwachsen werden.“ Ich war damals 35 Jahre alt.Was war sein Vorschlag?Er hat mich in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gesteckt. Ich wurde gefragt, ob ich wüsste, wie man telefoniert. Ich habe gesagt, ich wüsste es nicht. Sie sollten mir das bitte mal zeigen. Da kann man sich nun darüber lustig machen, aber viele Menschen zerbrechen daran. Eine 60 Jahre alte Frau, eine ehemalige Melkerin, ist mal in Tränen ausgebrochen, als ihr eine junge Chefin gesagt hat: ‚Wir lernen heute mal richtige Hygiene. Händewaschen und so.‘Mit Gott hätte man jemanden, dem man die Schuld für alles geben kann. Ist das verlockend?Weil ich nicht an ihn glaube, kann ich ihm auch nicht die Schuld geben. Aber er glaubt wohl wirklich, dass er für alles verantwortlich ist.Haben es religiöse Menschen eigentlich leichter?Wenn es um Tod, Krankheit, Naturkatastrophen geht, ja. Da haben sie die Hoffnung: Gott wird mir beistehen und es gibt ein Leben nach dem Tod. Andererseits sind sie in vielen weltlichen Fragen Zwängen und Dogmen unterworfen, die ihnen das Leben erschweren, beim Sex zum Beispiel.Aber wenn Gott so wäre wie derjenige, der mit Ahne spricht, gäbe es beim Sex keine Probleme.Er sagt zumindest, dass er solchen Quatsch nie gesagt hat – dass man als Papst nicht heiraten dürfe und dass man nicht verhüten solle.Ihr Gott ist ja auch ein echter Frauenversteher.Das kann man so sehen. Obwohl ich sagen muss, dass ich noch nie eine Frau bei ihm gesehen habe. Doch, da war mal eine von der Jungen Gemeinde. Die stand vor seiner Tür. In der Adventszeit kommen die ja öfter zu Besuch.Wie verbringt Gott eigentlich Weihnachten?Er will bei uns vorbeikommen, hat er gesagt. Allerdings hatte ich ihm versprochen, dass es Meerschweinchenbraten geben wird. Nun ist aber das eine Meerschweinchen etwas vorfristig gestorben, von ganz allein, weshalb nur noch ein Meerschweinchen übrig geblieben ist und plötzlich haben alle dieses übrig gebliebene Meerschweinchen entsetzlich lieb. Jetzt weiß ich nicht, ob Gott auch mit schnödem Elchbraten zufrieden zu stellen ist. Muss man ihm das überhaupt sagen, dass das Elch ist?Man kann Gott doch nicht anlügen. Weihnachten ist im Hause Ahne also ein Familienfest?Zum Ärger meiner Familie bin ich da eher leidenschaftslos. Wir werden aber wohl einen Tannenbaum haben. Und „jemand“ wird den Weihnachtsmann spielen. Gott will aber weder Weihnachtsmann noch Osterhase spielen, hat er mir mal gesagt. Er sei schließlich kein Hampelmann.Aber irgendwie ist er doch für Weihnachten verantwortlich? Nee, damit will er nichts zu tun haben. Sein Sohn ist auch tabu. Darüber darf man nicht reden.Wieso nicht? Na, tabu ist tabu.Die Eltern von Gott sind auch tabu, wie Sie in einem Gespräch mal erfahren haben?Er hat es mal angedeutet, aber ich weiß nichts Genaues. Irgendwas ist mit denen und er leidet auch darunter. Aber er sagt, er hat keine Eltern. Irgendwas liegt da im Argen.Gott hat eine Neurose?So weit will ich nicht gehen.Sie haben das Buch mit Ihren Zwiegesprächen mit Gott dem Zweifel gewidmet. Warum?Der Zweifel ist eine große Antriebskraft, auf die die Menschheit nicht verzichten darf. Ohne ihn wären wir längst untergegangen, denn jeder Fortschritt erfodert Zweifel am Althergebrachten.Der Zweifel ist innovativ?Für sich genommen nicht. Man braucht auch den Willen, etwas zu verändern. Ohne den wird man depressiv.Zweifelt Gott?Selten. Da würde er sich selber ja in Frage stellen. Als Gott.Ist es anstrengend, sich mit so jemandem zu unterhalten?Nö, ich kann ja an ihm zweifeln. Reden ist immer wichtig. Ich habe mich auch schon immer lieber mit einem verbohrten Stalinisten unterhalten, als es sein zu lassen. Ich rede auch lieber mit Nazis, als sie rauszuschmeißen. Gut, wenn man den Gegner kennt.Das Gespräch führten Susanne Lang und Jan Pfaff
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