Porträt Luuk Koole ist Chef der einzigen koscheren Schlachterei in den Niederlanden. Dort wurde nun das Schächten verboten. Aber ans Aufgeben denkt Koole noch lange nicht
Am Anfang war der Samstag, und der Samstag war frei. So stand es in der Anzeige, die Luuk Koole damals, mit Ende 20 sah. Normal war das nicht, im fleischverarbeitenden Gewerbe der achtziger Jahre. Schöne Sache, dachte sich Koole und bewarb sich bei der Fleischerei Marcus in Amsterdam als Betriebsleiter. Ein tüchtiger, junger Metzger mit Herzblut für seinen Beruf. Dass er an seinem freien Tag Auto zu fahren gedachte oder einzukaufen, dass er, ganz allgemein, den Sabbat nicht heiligte, war kein Problem. Ebenso wenig, dass er nicht mal koscher aß, sondern sich gern mal ein paar Schweinerippchen von der nicht-jüdischen Konkurrenz einverleibte. Er bekam die Stelle.
Am Ende, so hat es den Anschein, stehen 116 gegen 30. Mit diesem Ergebnis nahm das Parlament in Den Haag En
en Haag Ende Juni ein Gesetz an, das Koole beruflich den Boden unter den Füßen wegziehen könnte: Nur noch betäubt soll fortan geschlachtet werden. Die Ausnahmeregelung, die Juden und Muslime bisher von dieser Vorgabe befreite, wird abgeschafft – sofern nicht wissenschaftlich untermauerte Gründe belegen, dass koscher und halal geschlachtetes Vieh nicht mehr leidet als zuvor betäubtes. Es ist das Ergebnis einer mehrjährigen hitzigen Debatte, inner- und außerhalb des Parlaments, in der sich Tierschützer mit Islamkritikern verbündeten. In der die eine Seite die religiöse Toleranz in den Niederlanden auf der Kippe sieht, die andere unnötige Qualen von Tieren unterbinden will.Luuk Koole, heute 52 Jahre alt und Chef der letzten koscheren Fleischerei des Landes, betrachtet die Auseinandersetzung mit einer merkwürdigen Gelassenheit. "Langsam. Noch ist nichts verboten", tönt es aus dem stämmigen Körper, um den sich ein weißer Kittel spannt. Koole ist zweifacher Familienvater, aufgewachsen in der Hauptstadt und irgendwann aufs Land gezogen. Kurzes, blondes Haar lugt unter seinem Haarhäubchen hervor. Er bittet gut gelaunt in die enge Kantine der Fleischerei. Ein Tisch mit Stühlen steht hier, ein Spind, ein Waschbecken und ein Fernseher. "Noch", betont Koole, "ist nichts entschieden. Das Gesetz muss noch durch den Senat." Bis dahin will er die Zeit nutzen, Politiker einladen, sich selbst ein Bild zu machen von der schechita, der koscheren Art zu schlachten. Vor der Abstimmung war eine Parlamentarierin hier. Wenn sie zu beeindrucken war, müssten ihre Kollegen aus dem Senat das doch auch sein.Selbst schächten soll er nichtLuuk Koole schlachtet nicht selbst. Das macht der schochet, ein ausgebildeter Schächter im Dienst der orthodoxen Gemeinde, dem außerdem ein Inspektor zur Seite steht. "Jedes Tier muss vollkommen gesund sein, sonst ist es nicht koscher. Auch wenn es mit Kaiserschnitt geboren wurde, kommt es nicht in Frage", erläutert Koole. "Und ich könnte ja ab und zu ein Auge zudrücken, denn ich habe auch kommerzielle Interessen." Gelegentlich begleitet Koole den Schächter. Seine kräftige Hand zeigt aus dem Fenster auf die andere Straßenseite. Dort liegt das städtische Schlachthaus, in dem ein bestimmter Teil für koscheres Schlachten reserviert ist. Ein eigenes Schlachthaus lohnt bei der geringen Wochenproduktion nicht. "Sechs bis acht Kälber, fünf bis acht Jungstiere, sieben bis acht Lämmchen", bilanziert Koole in breitem Amsterdamer Tonfall.Er sagt, er möge Tiere, die Hunde und Katzen seiner Freunde zum Beispiel. Selbst hält er sich keine, denn ein Tier, davon ist er überzeugt, braucht Platz. Artgerechtes Leben findet er wichtig – und auch das: "Eine humane, ruhige Art zu schlachten. Und die haben wir!" Wenn Koole "wir" sagt, wird die Sache komplexer. Er ist kein Jude, der es mit den Vorschriften nur nicht so genau nimmt. Er ist überhaupt kein Jude. "Aber er weiß alles übers Schächten", versichert Zalmi Evers, der Inspektor und Sohn eines Rabbiners, der nebenan in der Halle die Schritte koordiniert, mit denen das frische Fleisch koscher gemacht wird: Die Adern werden entfernt, dann kommt es eine Stunde in einen Bottich mit kaltem Wasser zum Ausbluten, es wird in Salz eingelegt, welches das restliche Blut herauszieht, zum Schluss folgt noch einmal ein Wasserbad.Was aber macht Koole in dieser Umgebung? Wie verträgt sich seine unaufgeregte Entspanntheit mit der Detailliertheit der Kaschrut, der jüdischen Speisegesetzgebung, nach der kein Stück Fleisch ohne den Stempel des Rabbinats den Laden verlässt – wie eine transzendente Version des Biosiegels? Reicht der freie Samstag als Amalgam? Der freundliche Blick unter den blonden Brauen wird bestimmt. "Wir sind noch eine richtige Fleischerei, in der alles von Hand gemacht wird. Die meisten Betriebe sparen Zeit, indem sie ihre Unterteile fertig vom Schlachter beziehen. Bei uns wird von der Kalbshaxe bis zum Kotelett alles selbst zugeschnitten."Die Ochsenwurst als SymbolHandwerk, das ist ein Schlüsselbegriff, wenn Koole von seiner Arbeit erzählt. Als Schüler machte er ein Praktikum in einer Metzgerei. "Und dann blieb ich in der Branche hängen." Zu großen Worten neigt er nicht. Wenn er also sagt, dass sein Betrieb "zu 100 Prozent Handwerk" ist, und dass er das schön findet, ist das eine ganze Menge. Die Reklame an der Wand spricht hier von Tradition. „Schon 50 Jahre Ihre Adresse für die leckerste koschere Ochsenwurst und Pökelfleisch“, verkündet ein Schild an dem grauen Flachbau, ganz hinten auf einem riesigen Areal von Markthallen im Westen Amsterdams. Hackbällchen und Ochsenwurst gelten als besondere Spezialität des Hauses Marcus. Ochsenwurst ist eine Amsterdamer Spezialität und bis heute hält sich die Legende, dass es die jüdischen Fleischer waren, die sie erfanden.Die Wurst ist damit auch ein Symbol jüdischer Integration – beidseitig, wohlgemerkt. Gerade Bewohner, die ihre Verbundenheit zu Amsterdam ausdrücken wollen, nennen ihre Stadt noch immer Mokum, den Namen, den ihr einst die Juden gaben. Zur Verabschiedung wünscht man sich de mazzel, auch wenn man sonst kein Wort Jiddisch spricht. Besonders verbreitet sind diese Gewohnheiten unter alteingesessenen Arbeitern, die die Silben dehnen wie Luuk Koole, die gern Goldschmuck tragen wie Koole und die gern levenslied hören, sentimentale Schlager über die Launen des Daseins – in der Fleischerei Marcus stehen die „100 schönsten aller Zeiten“ als Doppel-CD im ansonsten leeren Regal neben dem Ghettoblaster.Insofern ist Koole in seinem Betrieb keineswegs in der Minderheit. Im Gegenteil: Außer dem Besitzer, dem Schächter und dem Inspektor sind hier alle Nichtjuden. Von der achtköpfigen Belegschaft finden die meisten die Kombination aus freiem Samstag und handwerklichem Anspruch attraktiv. Ein Mitarbeiter berichtet auch von seinem Interesse am Judentum. Und Koole erzählt, er habe viele Bekannte unter den rund 50.000 Juden im Land. Was in seinem Beruf als Quasi-Monopolist aber keine allzu große Überraschung ist. Als er begann, gab es noch einen zweiten koscheren Fleischer in der Stadt, dazu einen in Rotterdam. Seit vielen Jahren ist die Firma Marcus die einzige.Auf einen Platz in den Geschichtsbüchern als letzter seiner Art ist Koole wenig erpicht. Er hofft auf die erforderten wissenschaftlichen Belege, dass Schächten tatsächlich die tierfreundlichere Methode sei. Die Suche nach diesen überlässt er der Gemeinde. Im Frühjahr verfolgte er die Debatte, die immer heftiger wurde, je weiter sie in den Grenzbereich von Religionsfreiheit und Tierschutz vordrang. "Das wird schon", sagte er jedes Mal, wenn man ihn um seine Meinung fragte. Sorgt er sich nach der Abstimmung nun um die Zukunft? „Nein, tief in meinem Herzen noch nicht.“ Nur wenn er den Blick auf seine Kunden richtet, kann Koole schon mal deutlich werden: "Was die Religionsfreiheit betrifft, ist dieser Beschluss eine Schande."Zu vermitteln, das zeigt sich wieder und wieder, gibt es nicht viel in dieser Frage. Die Abgeordnete Marianne Thieme, die im Namen der "Partei für die Tiere" den Verbotsantrag eingereicht hatte, sagte nach der Entscheidung, Tierschutz sei ein legitimer Grund, die Religionsfreiheit einzuschränken. Zalmi Evers, der Gemeindeinspektor, der in der Fleischerei Marcus an diesem Tag bereits 1.400 Kilo Rindfleisch auf die Anwesenheit von Koscher-Stempeln kontrolliert hat, erläutert mit der gleichen Selbstverständlichkeit, das Wohl der Tiere sei im Judentum außerordentlich wichtig und Schlachten sähe niemals schön aus. Aber er fügt hinzu: "Das Tier ist nicht auf der Welt, um ein glückliches Leben auf der Weide zu führen."Entlang dieser Trennungslinie schied sich die niederländische Politik in zwei Lager: Die konfessionellen Parteien, Christdemokraten und Calvinisten sorgten sich um die Religionsfreiheit, die säkularen linken und liberalen maßen dem Tierschutz mehr Bedeutung zu. Ursprünglich zumindest. Dann regte sich verschiedentlich Protest an der Basis, zum Beispiel bei den Sozialdemokraten, die an ihre unangefochtene Stellung in der islamischen Wählerschaft gedacht haben dürften. Man begann, nach einem Kompromiss zu suchen. Heraus kam die Ausnahmeregelung, auf die die Belegschaft der Fleischerei Marcus jetzt auch hofft. Eigentlich wurde die gesamte Problematik mitsamt all ihrer Pros und Kontras nur ein Stück näher Richtung Verbot geschoben. Der Grundkonflikt ist geblieben.In der Fleischerei Marcus draußen auf dem Großmarkt macht man unterdessen weiter wie immer. Haben die eher säkularen Mitarbeiter das Fleisch unter der Aufsicht des jüdischen Inspektors koscher gemacht, geht es entweder ins eigene Geschäft – oder in den Lieferwagen von Mohammed Beja. Er stammt aus Marokko und fährt seit zehn Jahren Kooles koschere Ware durchs Land – zu mehrheitlich orthodoxen Juden.An diesem Tag stehen Den Haag und Rotterdam auf dem Plan, manchmal geht es auch zu einem Restaurant in Düsseldorf oder einem Altenheim in Köln. Interreligiöse Probleme habe es noch nie gegeben, sagt Beja. Etwas Besonderes kann er der Konstellation auch nicht abgewinnen. Dass er den Namen des Propheten trägt, hat noch keinen Kunden gestört.Einen normalen Job macht Mohammed Beja also. Dass manche Menschen "Scheiß-Juden" rufen und andere "Scheiß-Muslime", kann ihn nicht beeindrucken. Anders sieht es mit der Aussicht aus, demnächst vielleicht kein Halal-Fleisch mehr kaufen zu können. Bevor Beja aufbricht, schaut er noch im Büro seines Chefs vorbei und liefert in bar die Einnahmen der letzten Tour ab. Ein kleiner Catering-Service gehört auch zum Angebot, von dessen Waren hat sich Koole soeben eine Basilikum-Pflanze abgezweigt – für die Lachsstreifen, die er später zu Hause auf den Grill legen will.Wie aus einer anderen ZeitÜber dem Eingang zum Großmarkt hängt ein Schild mit einem Wortspiel. "Vers en divers" steht dort, frisch und divers – es könnte der Wahlspruch der Firma Marcus sein. Irgendwie wirkt beides wie aus einer anderen Zeit. Der Slogan am Tor zumal, seitdem die Regierung unlängst den Multikulturalismus offiziell zum Irrweg erklärte. Und auch das pragmatische Miteinander, das man in der letzten koscheren Fleischerei pflegt – immer im Rahmen der strengen Kaschrut-Regeln selbstredend.Glaubt man Kooles unerschütterlichem Optimismus, geht hier dennoch nichts zu Ende – auch nicht im Fall eines endgültigen Verbots. "Dann müssen wir halt importieren", sagt er entschlossen. Wie genau das aussehen könnte, hat er sich schon überlegt: "Dann importieren wir ganze Tierhälften – denn wie können wir sonst sicher sein, dass alles koscher ist? Den Rest machen wir weiter selbst." Nein, an einen neuen Job wolle er jedenfalls keinen Gedanken verschwenden.Tobias Müller berichtet für den Freitag regelmäßig aus den Benelux-Staaten. Er isst selbst so gut wie nie Fleisch, fand den Besuch in der jüdischen Fleischerei aber faszinierend.
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