Der Lothar Matthäus des Polittalks

Medientagebuch Die Politikberichterstattung im Fernsehen schickt Sommergrüße und lässt Politiker Kinderzeichnungen anfertigen oder zeigt, welche Rolle Minister zu Guttenberg gefunden hat

Im Fernsehen scheint die nächste Bundestagswahl Jahre entfernt. Das ist zum einen der Sommerpause geschuldet, aus der nur das staatstragende Parlando der ZDF-Sommerinterviews als bunte Postkarte versandt wird. Zum anderen ist das Folge einer schleichenden Entpolitisierung der Politikberichterstattung. Statt politischer Diskussionen dominiert die ins Unverbindliche tendierende Talkshow. In ihr inszenieren sich Politiker als besondere Personen, was weniger mit ihrer Politik als mit der Rolle zu tun hat, die sie für sich gefunden haben oder die sie von Beratern für sich zuschneiden ließen.

Wirtschaftsminister Guttenberg, der im Habitus und im Design seiner Zähne Lothar Matthäus ähnelt, hatte etwa entdeckt, dass es in der CDU/CSU seit dem Abgang des sauerländischen Marktradikalen Merz an einem Gesicht fehlt, das mit Inbrunst ausspricht, was die Unternehmer gerne hören, wenn sie gerade nicht um einen Kredit des Staates betteln. Diese Rolle füllt zu Guttenberg nun mit einer Begeisterung aus, die trotz des feinen Zwirns, den der Mann gerne trägt, kindlich wirkt. Da hat jemand ein Spielzeug gefunden, und alle erkennen ihn sofort wieder, wenn er in der Tagesschau mit diesem Spielzeug herumfuhrwerkt. Hinter dieses Rollenspiel zu schauen, gelang selbst der Dokumentation Retter in Not: Wie Politiker die Krise bändigen wollen von Stefan Lamby nicht, die der NDR am 6. Juli ausgestrahlt hat.

Lamby hatte Politiker und Banker zur Wirtschaftskrise befragt und sie bei der Arbeit beobachtet. Bei wirklich entscheidenden Situationen war die ­Kamera nicht anwesend, meist simulierten die Akteure Telefongespräche oder ließen sich bei unwichtigen Tagesordnungspunkten auf Sitzungen ­filmen. Bedeutender waren schon die Bekenntnisse, zu denen Lamby Politiker wie Glos oder Steinbrück oder ­Banker wie Ackermann, Weber und ­Sanio bewegen konnte. Alle gestanden mehr oder minder ein, die Lage des amerikanischen Kreditmarktes falsch eingeschätzt und die Folgen eines möglichen Crashs im deutschen Banken­sektor ­ignoriert zu haben.

Auch wenn diese Form der vagen Selbstkritik schon wieder routiniert wirkte, deutete sie die Hilflosigkeit an, die sich in der Tagesschau hinter Posen und Rollenspiel versteckt. Und so hatte die Kinderei, die Befragten eine Skizze des Krisenverlaufes zeichnen zu lassen, an deren Ende selbst beim größten ­Pessimisten die Kurve nach oben zeigt, in ihrer Naivität den größten Wahrheitsgehalt. So stellt man sich die Weltökonomie vor. Für die Bundestagswahl verheißt das wenig Gutes.


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