Leistungsschutzrecht Kurz bevor das geplante Gesetz erstmals im Bundestag diskutiert wird, ruft Google mit einer Gegenkampagne die Internetnutzer dazu auf, sich zu informieren
Das geplante Leistungschutzrecht für Presseerzeugnisse wird am Donnerstag, den 29.11., zum ersten Mal im Bundestag diskutiert. Dieses Gesetz wird von der einen Seite als die letzte Rettung für die Presse und damit die Demokratie und von der anderen Seite als sehr gefährlich für Presse-, Meinungsfreiheit und die Zukunft des Webs als Raum für Innovationen gesehen. Ein von den beiden gegnerischen Seiten als so einschneidend angesehenes Gesetz wird in der ersten Lesung allerdings nur diskutiert, weil die Bürger im Netz auf die Barrikaden gingen und die Opposition anstachelten, als sie erfuhren, dass die erste Lesung nur zu Protokoll gegeben werden sollte. Dieses also je nachdem als immens wichtig oder gefährlich betrachtete Gesetz wird nun doch bereits in der
bereits in der ersten Lesung diskutiert, und zwar in der Nacht von Donnerstag auf Freitag von 2.35 bis 3.15 Uhr. Man wird das Gefühl nicht los, als würde beim Leistungschutzrecht jeder schmutzige Trick probiert, der zur Verfügung steht.Während das Leistungsschutzrecht unbeirrt von der seit Jahren sowohl im Netz als auch in den juristischen Fachmagazinen geäußerten Kritik seinen Weg zum Gesetz weiter fortsetzt, macht Google, also das Unternehmen, an das sich dieses Gesetz vor allem richten soll, nun ebenfalls Front. Mit einer Kampagne werden die Nutzer dazu aufgerufen, sich zu informieren, am besten natürlich bei Google selbst, und anschließend sollen sie sich bei den Abgeordneten des Bundestages melden.Was nun passierte, dürften Zyniker amüsant und alle anderen zutiefst deprimierend finden.Presseverlage wie die FAZ, die jahrelang für das Leistungsschutzrecht ohne Rücksicht auf Interessensvermischung und Transparenz warben, sind nun erbost darüber, dass Google den ältesten aller Lobbytricks anwendet: Die eigenen Interessen mit den Interessen der Gemeinheit gleichsetzen.Eines der Probleme ob dieser Aufgebrachtheit ist, dass diese Verbindung ausnahmsweise zutrifft. Google ist ein Konzern, der sich oft und gern triefendstem Pathos hingibt und selbstblendend sich selbst als einen Haufen guter Menschen sieht, die immer nur das Beste für alle wollen. Anstrengend? Mit Sicherheit. Aber trotzdem in diesem Fall zutreffend. Nur weil Google gewinnt, wenn es kein Presseleistungsschutzrecht gibt, heißt es nicht, dass damit automatisch die deutsche Öffentlichkeit verliert. Ganz im Gegenteil.Angebote werden verschwindenDie aktuelle Fassung des geplanten Leistungschutzrechts, die immerhin schon ein paar durch die Netzöffentlichkeit gezogene Referentenentwürfe hinter sich hat, ist auch weiterhin extrem gefährlich. Ohne eine Kennzeichnungspflicht für Presseverlage werden wir im deutschen Web eine Rechtsunsicherheit ungekannten Ausmaßes erleben. Große, wie kleine Angebote werden verschwinden. Nicht nur Google News, auch Rivva; nicht nur Google, auch Bing und DuckDuckGo. Suchmaschinen werden nie wieder alle öffentlich verfügbaren deutschen Websites indizieren können. Denn sie werden dazu verpflichtet, Presseverlage für die Indizierung zu bezahlen. Gleichzeitig gibt es keine klar abtrennbare Definition für Presseverlage im Netz – jedes regelmäßig befüllte Teamblog etwa fällt unter die Definition des Presseverlags im Referentenentwurf. Suchmaschinen und andere Anbieter werden also nie wissen können, ob sie gerade Verlagsangebote indizieren und folglich zahlen müssen oder nicht. Ein rechtliches und vor allem ökonomisches Minenfeld.Wird das jemals in der Berichterstattung erwähnt? Kaum. Die Berichterstattung ist so einseitig, dass bereits die ersten öffentlichen Abokündigungen eintrudeln, wie etwa von Frederic Schneider, dem Kreisvorsitzenden der Jungen Union Main-Thaunus. Zu den Gründen seiner Kündigung des FAZ-Abos schreibt er in einem offenen Brief: "In Ihren drei (!) Artikeln kommt in keinem einzigen die Meinung von Google als Gegenseite vor."Das zweite Problem mit der Aufgebrachtheit ob der Google-Kampagne ist natürlich, dass die Verlage den gleichen Lobbytrick für ihr geplantes Leistungsschutzrecht einsetzen. Ohne dieses Recht, so die Presseverlage, kann keine unabhängige Presse hierzulande sichergestellt werden. Und diese Presse kann nur von uns Verlagen kommen, und wenn wir das nicht mehr liefern können, so die Argumentation, dann bricht mit uns auch die Demokratie zusammen. Das kann doch niemand ernsthaft wollen, schließen sie dann mit Hundeblick ihre Ausführungen.Sowohl Google als auch die Presseverlage setzen ihre Interessen mit denen der Allgemeinheit gleich. Beide beschäftigen Lobbyisten für die Hinterzimmer. Nur Google setzt nun zusätzlich auch auf die Nutzer, also direkt auf die Öffentlichkeit. Wo liegt das Problem dabei, wenn die Presseverlage doch im Recht liegen? Die Verlage haben die Reichweite, um aufzuklären. Trauen sie sich diese Arbeit nicht mehr zu? Oder fürchten sie, die Menschen nicht überzeugen zu können? Ahnt man am Ende gar, dass das eigene Vorhaben nicht zwingend im Sinne der Leser ist, die eben auch Nutzer von Webdiensten sind?Der Machtkampf ist im vollen Gange. Und aus Sicht der aufgeklärten Leser, als denen, die ernsthaft an diesem Thema interessiert sind, verlieren die Verlage Boden um Boden.Nicht durchdachtDer hoch geschätzte Heribert Prantl schreibt beispielsweise auf Süddeutsche.de, das Leistungsschutzrecht sei nicht gefährlich für die Informationsfreiheit. Nun ist diese Woche eine Stellungnahme zum Leistungsschutzrecht vom Max-Planck-Insitut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht erschienen (PDF), die von namhaften Juraprofessoren unterzeichnet wurde. Das dortige Fazit nach der Aufzählung der Risiken könnte eindeutiger nicht sein: "Gesamthaft betrachtet scheint der Regierungsentwurf nicht durchdacht. Er lässt sich auch durch kein sachliches Argument rechtfertigen. Dass er überhaupt vorgelegt wurde, erstaunt schon aufgrund der Tatsache, dass bereits in einer Anhörung des Bundesministeriums der Justiz vom 28. Juni 2010 ein solches Schutzrecht praktisch einhellig abgelehnt wurde. Dahinter stehen selbst die Presseverleger nicht geschlossen. Es fehlt damit jede Grundlage dafür, die vorgeschlagene Regelung zu verabschieden."Die bisweilen verzweifelt bis stur erscheinende Berichterstattung zum Leistungschutzrecht sorgt vor allem dafür, dass zumindest die in diesem Feld interessierten Teile der Leserschaft sich irritiert endgültig von diesen Publikationen lösen. Überzeugungsarbeit, oder gar ernstzunehmender Journalismus, den bei diesem Thema wohl niemand mehr erwartet, sieht anders aus.Heribert Prantl und seine Kollegen sollten die Kritik von Experten zu dem geplanten Gesetz nachlesen. Und er und seine Kollegen sollten sich auch fragen, warum die Verlage nicht ebenso wie Google ihre Kunden, Nutzer, Leser mobilisieren.Die Beantwortung dieser Frage könnte zu einer ungemütlichen Wahrheit führen.
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