Martin Kippenberger Die Großschau in Berlin zeigt den Performer, Tänzer, Trinker, Maler, Musiker, Designer, Schriftsteller, Kneipier und Reisenden. Aber wo bleibt das Kippenberger-Gefühl?
Foto: Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Köln
Kippenberger? Für 20-Jährige ist er heute wie Klimt: Beides Künstler, beide tot und von beiden hängen Bilder im Museum. Das wird auch die aktuelle Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin nicht ändern. Zwar will die Ausstellung keine Retrospektive sein, aber sie soll eben doch den ganzen Kippenberger zeigen. Den Performer, Tänzer, Trinker, Maler, Musiker, Designer, Schriftsteller, Kneipier und Reisenden. Das Kippenberger-Gefühl aber stellt sich dadurch nicht ein. Gemeint ist das erhabene Gefühl der Zuspätgeborenen, deren Pubertät in die siebziger Jahre fiel, und die zu jung um Hippies und zu alt um Punk zu sein waren. Für die war der 1953 in Dortmund geborene Martin Kippenberger Held, Befreier und intellektueller Stichwortgeber ihrer
rer Jugend.Die Siebziger waren geprägt von einer Mischung aus Aggression und Frustration: Die 68er hatten beim Marsch durch die Institutionen ihre Illusionen und Utopien fast vollständig verloren. Der klägliche Rest wurde noch einmal durch terroristische Gewaltakte zerkleinert, auf welche die Regierungen mit unverhältnismäßiger Härte reagierten. Die nachwachsenden Politbewegungen wussten darauf nur noch mit formelhaften Widerstandsritualen zu antworten. Als 1982 die 16 Jahre währende Kohl-Regierung begann, hatten sich zuvor schon drei Parteien eine geschätzte Ewigkeit die Macht im Staate zugeschoben.Kippenberger war der WaffenmeisterAnfang derAchtziger war für viele das Maß voll. Wenn man nicht drogenabhängig oder Terrorist werden wollte, halfen nur die Waffen der Ironie. Und Kippenberger war der Waffenmeister. Sein Frontabschnitt: die bildende Kunst. Er schoss auf alles, was sich bewegte. Und seine humoristische Trefferquote war legendär. Wenn es auf einer Kippenberger-Einladungskarte von 1985 heißt: „Helmut Newton für Arme. Selbstbeschmutzende Nestwärme“, dann kennzeichnet das diese Zeit: volkstümliche Edel-Sado-Maso-Ästhetik von Newton (Achtziger-Kult). Selbst-Offenbarung, wo zuvor Gruppenzwänge herrschten, durch Beschmutzung (Ästhetik) bei gleichzeitig empfundener Wärme im Nest (Ort der Geborgenheit) der BRD mit ihrer braunen Vergangenheit. Dabei wurde der missratene Bruderstaat DDR, auch wenn er im Alltag nicht direkt in die Lebenswirklichkeit eingriff, immer mitgedacht. Kippenberger-Titel wie Sympathische Kommunistin oder Badender Russe nach gelungener Flucht zeigen, wie er Gesellschaftsthemen wahrnahm.Die Ausstellung wird dieser komplexen Gemengelage aber nie gerecht. Eher sucht sie ästhetische Zitatnähe zu Künstlern wie Bruce Nauman oder Dieter Roth. Letzterer reagierte aber nie explizit auf bereits in Erscheinung getretene, massenmediale Bildwelten. In diesem Sinne war Kippenberger ein malender Feuilletonist. Er zitierte Massenwaren-, Werbe-, Medien- und Kunstwelt, mischte sie mit Kneipensprüchen, Alltags- und Volksmythen und codierte sie um. Und setzte den vereinbarten Sprach- und Bildgebrauch dem Trommelfeuer der Ironie aus, um zu testen, wie viel Leben noch drinsteckte. Beschossen wurden Großkünstler wie Beuys, Picasso, Duchamp oder Henry Moore, aber auch Künstlerkollegen wie Reinhard Mucha, Harald Klingelhöller oder Franz Erhard Walther.Heute, da Ironie als Währung nicht mehr hoch im Kurs steht, ist wieder Engagement gefragt und die befreiende Sprengkraft vieler Arbeiten von damals nicht mehr nachvollziehbar. So vermittelt die Berliner Ausstellung auch nicht den Spaß am ironischen Überflug, der es einem ermöglicht, das Leben einmal von oben zu betrachten. Denn Kippenberger war ein begnadeter Überflieger und das nicht allein. Seine engsten Verbündeten hießen zehn Jahre lang Albert Oehlen und Werner Büttner. Mit denen tauschte und prüfte er die einmal entwickelten Codes. Bis alle drei Ende der Achtziger ihren professoralen Weg an die Kunstakademien fanden.Nichts davon ist in der Ausstellung zu erleben. Es riecht nach Resterampe mit Alibi-Ikonen, wie etwa dem Bild Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken. Oder nehmen wir das Selbstporträt Bitte nicht nach Hause schicken, das Kippenberger mit einem Pappschild um den Hals zeigt. Bilder von Nazi-Aktionen nach 1933, bei denen Menschen Schilder mit Hetzparolen tragen mussten – „Ich bin am Ort das Größte Schwein und lass mich nur mit Juden ein“ –, waren bis in die Achtziger fest im kollektiven Bewusstsein verankert. Dieser Komplexität, ästhetisch wie inhaltlich, wird die Ausstellung nicht gerecht. Ein anderes Bild, Krieg böse von 1982, wurde durch den II. Golfkrieg 1991, spätestens aber mit dem deutschen Einsatz im Kosovo endgültig seiner Ironie beraubt.Dabei wird deutlich, wie sicher Mann sich im Vakuum der achtziger Jahre, des nicht mehr ganz so heißen Kalten Krieges, fühlte, trotz Ramstein, Atomkraft, Pershings, Cruise Missiles und Feminismus. Kippenberger zeigt, dass er sich nicht dermaßen von einer ritualisierten Kritik am „Schweinesystem“ hat beherrschen lassen wollen. Doch wurde selbst der hellsichtigste Witz über Opferzuschreibung und Rassismus, spätestens mit Rostock-Lichtenhagen 1992, von der Lebenswirklichkeit überholt.Dass Kippenberger als genialer Dilettant seine berufliche Heimat in der ästhetischen Kritik fand, sagt auch etwas über die noch kurzen Wege des Sozialen jener Zeit. Das Problem ist nur, dass so ein Dilettant nicht besser, nur bekannter werden darf. Wenn er im Pressetext der Ausstellung als Tänzer, Performer, Trinker vorgestellt wird, sagt dies nur, dass er es geschafft hat, sein Werk an sein Savoir-vivre zu koppeln. Wie Beuys seinen Bentley, Lüpertz seinen Rolls Royce und Picasso „seine“ Frauen. Doch zeigt gerade die Titel gebende Serie Sehr gut/ Very good von 91/92, dass Kippenberger sich in den frühen Neunzigern bereits im Landeanflug befand. Er ließ einen Neunjährigen die eigenen Katalogbilder beschreiben, die er sämtlich mit „sehr gut“ benotete, um sie anschließend, Weiß in Weiß gemalt, als Rauminstallation zu präsentieren. Auf der Höhe seines Erfolgs wurde er zunehmend kunstbetriebsaffin und selbstreferentiell. Er starb 1997 in Wien.
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