Der Mann ohne Gesicht

Milutinovic-Prozess in Den Haag Zeuge John Crossland, einst britischer Militärattaché in Belgrad, erklärt die UÇK zur terroristischen Vereinigung und vergleicht sie mit der IRA

Die so genannte Kosovo-Befreiungsarmee, besser bekannt als UÇK, sei ein Instrument der USA gewesen, um den Präsidenten Slobodan Milosevic zu stürzen. US-Präsident Bill Clinton, seine Außenministerin Albright und Richard Holbrooke, US-Chefunterhändler für das Kosovo, hätten 1998 nun einmal beschlossen, in Belgrad einen Regimewechsel zu erzwingen, und deshalb jede Zurückhaltung gegenüber einer terroristischen Organisation fallen gelassen. Man habe die UÇK kräftig unterstützt, obgleich man über ihren Charakter und ihre Führer bestens informiert gewesen sei. Auch die westlichen Medien seien mit von der Partie gewesen, indem sie die UÇK als Befreiungsarmee gefeiert hätten.

Manch einer wird meinen, man höre wieder eine der Verschwörungstheorien, wie sie "die Serben" gern kolportieren, die bekanntlich stets behauptet haben, die UÇK sei von den USA und von Deutschland aufgepeppt worden, auf dass der restjugoslawische Staat zerschlagen werde. Die eingangs zitierten Aussagen freilich formulierte ein Zeuge der Anklage im Haager Prozess gegen die einstige serbisch-jugoslawische Führung: Oberst John Crossland, britischer Militärattaché in Belgrad zwischen 1996 und 1999. Er wird im Milosevic-Nachfolgeprozess, auch "Prozess gegen die Amselfelder Sechs" (s. Freitag 30/06) genannt, zur Sache gehört. Angeklagt sind der serbische Ex-Präsident, Milan Milutinovic, der ehemalige Vizepremier Nikola Sainovic sowie die Generäle Dragoljub Ojdanic, Nebojsa Pavkovic, Vladimir Lazarevic und Sreten Lukic, 1998/99 Kriegsverbrechen gegen die Kosovo-Albaner begangen und etwa 800.000 von ihnen vertrieben zu haben.

Bereits im Juli 2002 hatte Oberst Crossland gegen Slobodan Milosevic ausgesagt. Im Januar 2005 dann trat er als Zeuge der Anklage gegen die Kosovo-Albaner Fatmir Limaj, Isak Musliu und Haradin Balja auf, denen vorgeworfen wurde, 1998 Dutzende Serben und Albaner in einem UÇK-Gefängnis misshandelt und ermordet zu haben.

Kein Teil Jugoslawiens mehr

Nun also sehen wir John Crossland am 9. Februar 2007 im Milutinovic-Prozess, in dem viele Zeugen auftreten, die wir schon im Milosevic-Prozess erleben durften, was die Verhandlung gegen die "Amselfelder Sechs" recht reizvoll macht.

Sehen kann man ihn freilich nicht, den Mister Crossland. Er beansprucht wie auch im Milosevic-Prozess den Status "beschützter Zeuge", das heißt, nur seine Stimme ist zu hören, eine tiefe, ruhige, äußerst gepflegte Stimme. Im Vergleich zum Milosevic-Tribunal wirkt der Zeuge viel moderater, regelrecht vorsichtig. Elf Mal hat der Mann ohne Gesicht Ende der neunziger Jahre von Belgrad aus das gärende Kosovo bereist, ein Mal gar als Begleiter von Lord Paddy Ashdown, dessen problematische Zeugenaussage gegen Milosevic (s. Freitag 30/05) nicht vergessen ist - John Crossland scheint das irgendwie bewusst zu sein.

Die Verwüstung albanischer Dörfer durch den wahllosen Artilleriebeschuss der jugoslawischen Armee im Sommer 1998, den Crossland zusammen mit Ashdown beobachtet haben will, wird erneut zum Kern seiner belastenden Aussage gegen die "Amselfelder Sechs". Im Kreuzverhör der Verteidigung bleibt davon allerdings wenig übrig, als die Anwälte auf einer Überprüfung von Daten und Orten bestehen. Die meisten dieser Angaben stimmen nicht, überdies kann sich der Zeuge an vieles "nicht mehr genau erinnern".

Die Verteidiger wollen wissen, welche Erfahrungen mit der UÇK der Zeuge während seiner mehrmaligen Reisen durch das Kosovo gewonnen habe. In den bisherigen Prozessen hatte John Crossland stets von einer "terroristischen Organisation" gesprochen, woran er auch diesmal keinen Zweifel lassen will. Die UÇK habe nach der Methode hit and run gehandelt, Polizisten umgebracht und viele Serben, gleichwohl "kollaborierende Albaner" entführt und ermordet. Auch ihn habe die UÇK einmal kurz festgenommen, obgleich er sich als Diplomat habe ausweisen können, doch sei ihm erklärt worden, das Kosovo sei kein Teil Jugoslawiens mehr, sondern gehöre zu Albanien - und in Tirana sei er als Militärattaché nicht akkreditiert.

Und die baskische ETA?

Crossland ist ebenso als Zeuge der Anklage für den am 5. März beginnenden Prozess gegen den ehemaligen UÇK-Führer Ramush Haradinaj gebeten und hat seine Aussage dem Gericht bereits in schriftlicher Form zugeleitet. Darin wird Ramush Haradinaj, der es nach 1999 immerhin bis zum Premierminister des Kosovo gebracht hat, einfach als Schwerverbrecher abgestempelt. Die Internationale Gemeinschaft, bedauert Crossland, habe von Haradinajs Verbrechen nichts wissen wollen, um ihn als Partner zu halten. Crossland: "Man wusste nämlich, dass Ramush Haradinaj und sein Bruder Daut die künftig wichtigsten Spieler in der Region Pec, Prizren, Decani und Dakovica sein werden."

Im Prozess gegen die "Amselfelder Sechs" hat Crossland der serbisch-jugoslawischen Führung nicht nur das legitime Recht eingeräumt, gegen die UÇK einzuschreiten. Er vermerkt sogar, dass er auch den Einsatz der Armee, den Belgrad immer verneint hat, angebracht fand. Nur sei seinerzeit im Kampf gegen die UÇK in unverhältnismäßiger Weise auf Gewalt zurückgegriffen worden. Mit Panzern und Artillerie hätten serbisch-jugoslawische Armee- und Polizeieinheiten Hunderte von Dörfern in Schutt und Asche gelegt. Dabei habe es sich doch Mitte 1998 bei der UÇK noch um eine schlecht bewaffnete Truppe von annähernd 400 Mann gehandelt, die man ganz anderes hätte bekämpfen sollen. Erst die überzogene Härte der Serben habe der UÇK Tausende von Kosovo-Albanern zugetrieben. Milosevic habe es sich selbst zuschreiben müssen, dass die UÇK bald imstande war, große Teile der Provinz unter ihre Kontrolle zu bringen, meint der Zeuge. Möglicherweise sei dies von ihm sogar beabsichtigt gewesen.

Regelrecht amüsant wird es, wenn Crossland begründet, weshalb er genügend Kompetenz besäße, die damalige Stärke und Kampfkraft der UÇK realistisch beurteilen zu können. Er verfüge als britischer Offizier über Erfahrungen bei der Bekämpfung der IRA und wisse daher, wovon er rede. Die UÇK im Kosovo und die IRA in Nordirland seien einander durchaus ähnlich, erklärt Crossland ohne Zögern, als einer der Anwälte ihn danach fragt. Er sei ja auch der Auffassung, wenn man das Kosovo von Serbien abtrenne, sei das in etwa so, als wolle man Wales vom Vereinigten Königreich lösen. Von der Zahl 400 UÇK-Leute ist Crossland nicht abzubringen, auch dann nicht, als ihm der Richter entgegenhält, es gäbe Dokumente, in denen die Zahl von 17.000 bewaffneten Kämpfern im Jahr 1998 auftauche und von anderen Quellen bestätigt werde, nicht zuletzt von albanischen.

Der Zeuge kontert, Terroristen würden nun einmal bei Angaben über ihre Stärke und Ausrüstung übertreiben - er kenne das von der IRA. Auch die Angabe Belgrads, bis Ende 1998 seien 680 Kämpfer der UÇK "liquidiert worden", macht ihn nicht geneigt, sich zu korrigieren. Er habe persönlich Hunderte Dörfer besucht und seine eigene Hochrechnung stimme. Im Übrigen wiederhole er, Terrorismus bekämpfe man nicht mit Panzern und Kanonen, wie es die Serben getan hätten, sondern mit Geduld und langem Atem, wodurch Großbritannien gegenüber der IRA erfolgreich gewesen sei. Man hat den Eindruck, der Oberst im Ruhestand würde wegen seiner Erfahrung in Nordirland gern Entwicklungshilfe in Sachen Terrorismusbekämpfung auf dem Balkan erteilen.

Vielleicht hätte man sich in Belgrad 1998 tatsächlich an Nordirland ein Beispiel nehmen und nicht mit überzogener Härte gegen die UÇK vorgehen sollen. Nur, wie erfolgreich wäre Tony Blair bei der Befriedung Nordirlands gewesen, hätte sich die IRA auf den Beistand einer Supermacht stützen können? Und wie weit könnte es die baskische ETA heute bringen, gäbe es für sie eine Unterstützung aus dem Ausland wie einst für die UÇK?

Oberst Crossland ist einer der letzten Zeugen der Anklage, die Mitte März ihre Beweisführung im Milutinovic-Prozess beenden will. Bevor dann die Verteidigung ihre Zeugen präsentiert, dürften wir von den Richtern erfahren, von welchen Anklagepunkten die "Amselfelder Sechs" jetzt schon freigesprochen werden. Oder auch nicht.

Von Germinal Civikov ist im Oktober 2006 das Buch Der Milosevic-Prozess erschienen.


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