Die Visitenkarte von Lydiah Dola ist typisch für junge urbane Kenianer, die aus ihrem Selbstbewusstsein keinen Hehl machen. Als "Sängerin, Komponistin, Poetin, Schauspielerin" stellt sich die 25-Jährige darauf vor. Für das VII. Weltsozialforum hat sie ein Lied geschrieben und will ihren Stolz ob dieser Tat nicht verbergen. "Eine andere Welt ist möglich, eine bessere Welt ist möglich", summt sie vor sich hin. Zum Weltmarsch der Frauen am Eröffnungstag will sie ihren Song endlich öffentlich vortragen, sie will es für ihre Gruppe "5 C´s" tun, die Mitglieder eines sozialen Transformationstheaters, für die Kenianerinnen, für all die Frauen aus Südamerika und Europa, die an diesem Tag mitmarschieren. Die Sonne brennt schmerzend hei
heiß auf Nairobi herab, als Lydiah Dola mit ihren Begleitern tanzend und singend zum Uhuru-Park im Stadtzentrum davon treibt und dort von der Menge verschluckt wird.Bis zu 50.000 Teilnehmer aus aller Welt wurden erwartet. Ob sie alle kamen, wird man später wissen. Am ersten Tag des Forums jedenfalls registriert das Organisationskomitee 46.000 Besucher und mit ihnen 1.350 Organisationen, die sich mit AIDS, Geschlechterfragen, Privatisierung, Landarmut, Friedens- und Konfliktforschung, Migration und Diaspora, Schulden und Freihandel beschäftigen - und das in 1.153 Veranstaltungen an fünf Tagen diskutieren wollen. Für die Organisatoren ein logistischer Alptraum. Die Hotels von Nairobi bieten nur 42.000 Betten, die Straße zum Veranstaltungsort, dem Moi International Sports Center Kasarani, ist auch ohne WSF täglich verstopft.Kurz vor den KleinanzeigenEiner, der den Organisatoren zur Seite steht, ist Ahmad Hassan Odhowa, der 23-jährige Student für Community Development (Gemeindeentwicklung) hilft, fast 700 kenianische Freiwillige den Diensten zuzuordnen, die gebraucht werden: Übersetzung, IT, Sicherheit, Erste Hilfe, Quartiermanagement. "Ich glaube an das Ziel des Forums, ich glaube daran, dass eine bessere Welt möglich ist", erklärt er äußerlich emotionslos, als müsse man die Frage nach seinen Motiven nun wirklich nicht stellen. Der schlanke junge Mann gehört zur somalischen Minderheit und stammt aus Garissa, eine karge Gegend im Nordosten Kenias, notorisch vernachlässigt und oft nur für Negativ-Schlagzeilen gut: Durch Dürreperioden und Hungersnot, gewalttätige Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, durch das Rift-Valley-Fieber, eine durch Tiere übertragbare Infektionskrankheit, die immer wieder Menschenleben fordert.Weil Hassan glaubt, er sei stark genug, für seine Volksgruppe einzutreten, will er sich eines Tages ins Parlament wählen lassen. Sprecher des Studentenparlaments seiner Universität war er schon, der erste somalische Kenianer überhaupt in dieser Funktion. "Das Weltsozialforum spricht auch Probleme an, die wir in Garissa haben. Wie kann ich mich da heraus halten?"Die meisten Kenianer bleiben von solcherart Enthusiasmus unberührt, so genannte Mega-Events sind für Kenias Kapitale nichts Ungewöhnliches. Auch gehen die einheimischen Medien anfangs zurückhaltend mit dem Thema Weltsozialforum um. Am 20. Januar, dem Eröffnungstag, erübrigt die Daily Nation als wichtigste Tageszeitung gerade eine viertel Seite, und dies im hinteren Teil, kurz vor den Kleinanzeigen. Dabei stellt Kenia mit 222 Organisationen die mit Abstand größte Delegation, gefolgt von den USA mit 94. Doch hält kurz vor dem Forum die Seifenoper der selbst ernannten Bischöfin einer religiösen Sekte die Nation in Atem und im Banne der Frage: Wer ist der Vater ihrer Kinder?Außerdem erscheint die PR-Arbeit des Forums nicht sonderlich einladend: Journalisten müssen sich als Teilnehmer registrieren lassen und umgerechnet 80 Euro pro Person zahlen. Das Argument, Reporter seien unabhängige Berichterstatter und keine Teilnehmer, stößt auf taube Ohren. Die US-Agentur Associated Press boykottiert deshalb die ganze Veranstaltung.Kleine SensationKennedy Otina ist nicht überrascht über das teilweise Desinteresse der Medien. Die seien nur auf Sensationen aus, meint der 31-Jährige. Dabei ist die Organisation, für die er sich seit Jahren engagiert und die am Weltsozialforum teilnimmt, eine kleine Sensation - die einzige ihrer Art in Kenia. Männer für Geschlechtergleichstellung will Selbsthilfeinitiativen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, ergänzen und aus männlicher Perspektive Männern helfen, Gewalt gegen Frauen zu vermeiden. "In der afrikanischen Tradition haben Frauen keine Stimme. Männer werden mit der Einstellung groß, Gewalt sei nichts Verkehrtes - Frauen müssten gezüchtigt werden. Ich selbst habe gesehen, wie mein Vater meine Mutter schlug. Später habe ich es mit meiner Freundin genauso getan." Alles ändert sich, als Otinas erste Tochter geboren wird. "Ich war nicht sehr fair zu ihrer Mutter. Und als ich dann dieses hilflose Kind sah und mir vorstellte, eines Tages könnte es ein Mann schlagen und missbrauchen, bin ich aufgewacht."Viele Mitglieder seiner Gruppe seien "respektierte Mitglieder der Gesellschaft - Kirchenvorsteher, Dorfälteste, Verwaltungsbeamte." Trotzdem habe er sich keiner leichten Mission verschrieben. "Männer gehen nicht zu Versammlungen, treffen sich nur in Bars. Sie reden über Sport, Politik, Geschäfte. Von Geschlechtern und geschlechterbasierter Gewalt haben sie schlicht keine Ahnung. Wir kommen sozusagen, um sie zu retten." Die Kampagne stoße nicht gerade auf viel Gegenliebe, dennoch gewinne sie langsam an Boden, beteuert Otina. "Viele Männer haben kein Problem, ihre Frauen zu schlagen, aber sie würden nie ihre Mutter verprügeln. Wir versuchen, ihnen zu zeigen, dass ihre Frauen die Mütter ihrer Kinder sind."Die Männer für Geschlechtergleichstellung sitzen auch mit roten T-Shirts und der Aufschrift "Häusliche Gewalt ist ein Verbrechen" in Gerichtsverhandlungen, um Gewaltopfern beizustehen. Sie verfügen über eine schnelle Eingreiftruppe, ihr Netzwerk funktioniert, die Polizei arbeitet mit. Beim Weltsozialforum erfahren zu wollen, wie mit diesen Konflikten in anderen Ländern umgegangen wird, steht für Kennedy Otina außer Frage. "Wir haben Kontakt zu Gruppen aus Südasien und treffen uns auf dem Forum." Und er fügt hinzu: "Ich will die Welt meiner Tochter verändern. Erst wenn der Mann von nebenan sich verändert hat, ist meine Tochter sicher."
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