Von den Kolumnisten der konservativen englischen Wochenzeitschrift The Spectator ist Theodore Dalrymple der grimmigste. Unter der Überschrift "Second Opinion" (Zweitdiagnose) schildert der vorgebliche Gefängnisarzt immer neue Beispiele für die Bösartigkeit, moralische Verkommenheit und nicht zuletzt die Dummheit seiner Patienten. Wenn sie nach den üblichen Schlägereien in seinem Ambulatorium auftauchen, flickt er sie, in der festen Überzeugung, sie schon bald wieder zu sehen, notdürftig zusammen. Dass ein solcher Zyniker für die Bemühungen von Bewährungshelfern und Sozialarbeitern nur Spott und Hohn übrig hat, versteht sich von selbst. Nur ein fester Glaube an das Böse im Menschen scheint Theodore Dalrymple vor der völli
völligen Verzweiflung zu bewahren.Da ist Katie Carr ganz anders, und dies mag der Grund sein, dass es ihr so schlecht geht. Die Heldin in Nick Hornbys neuem Roman How to be good ist ebenfalls Ärztin, wahrscheinlich sogar eine gute, doch sie leidet immens unter ihrer Unzulänglichkeit. Das betrifft zunächst weniger ihren Beruf als ihr Privatleben.Der Roman beginnt mit einem Anruf. Zum ersten Mal in ihrer langjährigen Ehe hat Katie die Nacht mit einem anderen Mann verbracht und ist nun wild entschlossen, sich scheiden zu lassen, denn ihr streitsüchtiger Ehemann David, Verfasser zynischer Kolumnen und verhinderter Romanautor, geht ihr schon lange auf die Nerven. Doch so einfach lässt dieser sich nicht abschütteln, vor allem nicht während eines Telefongespräches, das seine Frau von einem Parkplatz in Leeds mit ihm führt. Außerdem sind da noch die beiden Kinder, Tom und Molly. Katie und David bleiben also erst einmal zusammen und giften sich weiter an, bis im dritten Kapitel DJ Good News in ihr Leben tritt. Der Wunderheiler bringt mit seinen magischen Händen nicht nur Davids verknacksten Rücken in Ordnung, er verwandelt den Miesepeter auch in einen sanft lächelnden Gutmenschen, der einem Obdachlosen schon mal 80 Pfund zusteckt. Und das ist erst der Anfang. Was wie ein spontaner Einfall ausgesehen hat, wird zur Methode. Spätestens als Good News aus seiner Wohnung fliegt und bei Katie und David einzieht, beginnt die systematische Arbeit an der Verbesserung der Welt. Die Spielsachen der Kinder werden verschenkt, obdachlose Jugendliche erhalten Asyl und mit Hilfe eines Versöhnungsprogramms sollen alte Verfehlungen aufgearbeitet werden. Und an Stelle böser Kolumnen verfasst David mit seinem Guru eine Anleitung, Gutes zu tun: How to be good. Kein Wunder, dass Katie bald mit den Nerven am Ende ist und ihre Nächte bei einer Freundin verbringt. Schließlich hat sie sich, allein schon ihres Berufes wegen, immer für einen halbwegs guten Menschen gehalten. Jemanden, der unter den widrigen Bedingungen des National Health Service sein Scherflein zur Gesundung der Menschheit beiträgt. Doch vor DJ Good News und seinen Kräften muss sie kapitulieren. Da verschafft es ihr auch keine Genugtuung, dass es bei der Umsetzung der Weltverbesserungspläne so manchen Rückschlag gibt. Denn auf die scheinbar banale, für sie aber existenzielle Frage, ob sie gehen oder bleiben soll, findet Katie keine Antwort. So endet der Roman in grandioser Hoffnungslosigkeit mit einem Blick in einen sternenlosen Nachthimmel: "und ich kann sehen, dass dort draußen alles leer ist."Gönnte uns Nick Hornby in seinem letzten Roman About a Boy noch ein gewisses Happy End, so wird uns am Schluss von How to be good selbst das pragmatische "Wir werden´s schon schaffen" vergällt. Wo der moralische Rigorismus eines DJ Good News scheitert, gelingt auch die Einsicht in die Notwendigkeit der Verhältnisse nicht mehr. Katie Carr steckt weiterhin in ihrem Dilemma, und der Leser mit. Denn ein solches Ende hätte man von Nick Hornby nicht erwartet. Doch in How to be good ist manches anders als in High Fidelity oder About a Boy. Zunächst einmal lässt Hornby die Geschichte von seiner Heldin selbst erzählen. Dazu wählt er einen leicht mäandernden Stil, der nicht von ungefähr an die Art und Weise erinnert, in der einschlägige Zeitungskolumnistinnen von Leid und Freud des modernen Familienlebens berichten. Scharfe Beobachtungen wechseln mit existenziellen Reflexionen und ironisch formulierten Einsichten. Das liest sich auf kurzer Strecke recht amüsant, produziert aber auf Romanlänge gedehnt unvermeidliche Redundanzen. Da geht es dann zwar mit der Handlung voran, doch das geschieht eher nebenher, denn im Zentrum stehen Katies Gedanken. Und diese drehen sich mit schier unerschöpflicher Energie im Kreise. Darüber hinaus hat sich Hornby in diesem Roman ein schwergewichtiges Thema aufgeladen, an dem sich schon ganz andere versucht haben. "Der Mensch ist gar nicht gut / drum hau ihm auf den Hut" singt zum Beispiel der Bettlerkönig Jonathan Peachum in der Dreigroschenoper, und die arme ShenTe zerstört die Illusion vom guten Menschen von Sezuan mit den Worten "gut sein zu andern und zu mir konnte ich nicht zugleich". Doch während Brecht die Unmöglichkeit, gut zu sein, noch den schlechten gesellschaftlichen Verhältnissen anlasten konnte, scheidet diese Erklärung für einen literarischen Chronisten in Tony Blairs coolem Britannien wohl aus. Katie Carr geht es schlecht, und sie weiß sich eben nicht zu helfen. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich dies unter anderen sozialen Umständen ändern würde.Bislang war man von Nick Hornby eher leichte Kost gewohnt, auch wenn es, wie in About a Boy durchaus um ernste Themen ging. Das Genregesetz des humoristischen Unterhaltungsromans sorgte für ein Lesevergnügen ohne bitteren Nachgeschmack. In How to be good funktioniert dieser Kunstgriff nicht mehr, und das Buch wird dadurch nachdenklicher. Aber leider auch langweiliger.Nick Hornby: How to be good. Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer Witsch. Köln 2001, 341 S., 39,90 DM