Der iranische Musiker Shahin Najafi sagt, er fühle sich Salman Rushdie „tief verbunden“. Wie der weltberühmte Schriftsteller weiß Najafi, was es bedeutet, mit einer Fatwa bedroht zu werden. Nach seinem ironischen Lied Naghi, in dem er sich unter anderem über die verklemmte Sexualmoral des Islam lustig macht, erklärte ein Ajatollah ihn im Iran im Mai 2012 für vogelfrei. Es wurde ein Kopfgeld für seine Ermordung ausgesetzt. Zwischenzeitlich tauchte Shahin Najafi – wie Rushdie – bei dem Investigativjournalisten Günter Wallraff in Köln unter.
Najafi wurde als Rapper bekannt, der 41-Jährige macht aber auch Rock, Pop, Elektro, Independent und Folk. Im Juli erschien sein aktuelles Album Sigma. Najafis Lieder werden millionen
afis Lieder werden millionenfach gestreamt, die meistens Fans hat er im Iran. Inzwischen lebt er mit seiner Frau in Kalifornien.der Freitag: Herr Najafi, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als sie von dem Anschlag auf Salman Rushdie gehört haben?Shahin Najafi: Ich habe mich gefragt: Wie konnte das passieren? War er nicht gut genug geschützt? Welche Sicherheitsmaßnahmen gab es bei der Veranstaltung? Ich konnte es nicht glauben. Ähnlich wie bei mir schien sich die Situation für ihn ja längst beruhigt zu haben – auch wenn er als ein weltbekannter Autor natürlich viel gefährdeter ist als ich.Haben Sie sich durch das Attentat auf ihn auch bedroht gefühlt?Eigentlich nicht – ich lebe inzwischen wieder fast ohne Sicherheitsmaßnahmen. Aber natürlich macht mich diese schreckliche Tat vorsichtiger. Es gab nach dem Anschlag iranische Twitter-Nachrichten, in denen es hieß: Shahin Najafi, du bist der Nächste. Der Anschlag war ein Sieg für die Radikalen – aber zum Glück lebt Salman Rushdie, so ist es auch ein Sieg der Freiheit. Ich habe in den Tagen danach viele besorgte Anrufe bekommen. Die Reaktionen waren aber sehr harmlos im Vergleich zu dem, was nach 2012 passiert.Damals sind Sie zwischenzeitlich bei Günter Wallraff untergetaucht, haben mit einer Maskenbildnerin Ihre Identität verändert, Konzerte wurden abgesagt oder fanden nur unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Als wir uns damals kennenlernten, wirkten Sie gehetzt und traumatisiert.Ich hatte über mehrere Jahre hinweg massive Albträume, immer wieder ging es darum, dass man mich verfolgt und ermordet. Mit so einer Fatwa oder mit anderen Bedrohungen wollen die Islamisten Regimekritiker einschüchtern, sie wollen uns Angst machen und uns dazu bringen, dass wir uns selbst zensieren. Angepasste Kunst ist aber keine gute Kunst. Mich haben diese Bedrohungen wütend gemacht – ich habe mir damals gesagt: Jetzt erst recht. Ich sage kein Wort weniger. Die Kunst ist frei. Wer keine Satire versteht, ist engstirnig und dumm.Placeholder infobox-1Das muss anstrengend gewesen sein: Viele Konzerte konnten nicht stattfinden, weil den Veranstaltern die Lage zu heikel war. Und jede Woche gab es neue Bedrohungen. Sie waren in ständigem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden.Das Problem ist: Ich bin Musiker, ich muss auftreten. Ich kann nicht irgendwo meine Bücher schreiben, und niemand weiß, wo ich bin. Ich lebe von der Öffentlichkeit. Und natürlich hatte ich Ängste – die ich nicht zu groß werden lassen durfte. Sie sollten mich nicht kaputtmachen. Ich wusste: Sie wollen dich zerstören, das darf nicht passieren.Ihr Fall ging international durch die Medien. Auch über Auftritte wie den mit dem israelischen Popstar Aviv Geffen 2017 in Tel Aviv berichtete die Weltpresse. Wie war das, aufgrund einer Fatwa im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen – und nicht wegen Ihrer Kunst als sehr ambitionierter Musiker?Im Iran hatte ich ja auch vor der Fatwa schon ein großes Publikum. Für die Jugend dort hatte ich eine Vorbildfunktion, weil ich meine Musik nicht als Unterhaltung begriffen habe, sondern als Möglichkeit, Missstände anzuprangern – als Revolution. Und dass die Öffentlichkeit über Fatwas wie die gegen Rushdie oder gegen mich intensiv berichtet, ist ja gut und wichtig: Öffentlichkeit bedeutet ja auch Schutz.Haben sich Ihre Texte mit den Jahren verändert – sind Sie zahmer geworden?Ich schreibe nicht mehr so provokant wie als junger Mensch. Aber ich würde mir heute so wenig wie damals auch nur ein Wort verbieten lassen. Ich stehe weiter für die Freiheit des Wortes und der Kunst ein, für Gleichberechtigung und Demokratie.Die Debatte um die „Satanischen Verse“ von Rushdie hat damals die kulturelle Debatte um die Grenzen von Kunstfreiheit geprägt. Auch nach der Veröffentlichung Ihres Liedes und der Fatwa gegen Sie wurde gefragt: Darf man über die Religion spotten? Wo ist die Grenze?Ich habe mich gewundert, dass das in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, überhaupt ein Thema ist: Für mich sind die Grenzen von Kunstfreiheit sehr weit – und ich denke, das sollten sie in jeder guten Demokratie sein. Die USA sind sicher kein Paradies – aber mir gefällt hier, dass dem Staat die Verteidigung der Freiheit sehr wichtig ist. Die Satanischen Verse sind ein wunderbares Buch, das zur Aufklärung beiträgt. Wer Spott und Satire nicht versteht, ist selber schuld – und darf deswegen keine Menschen bedrohen oder angreifen.Haben Sie das Schmähgedicht des deutschen Entertainers Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdoğan mitbekommen?Am Rande, ja. Erdoğan ist ein Autokrat, ein Diktator. Warum sollte man sich also nicht über ihn lustig machen?Fühlen Sie sich selbst wieder ganz frei, obwohl die Fatwa gegen Sie nie aufgehoben worden ist?Die Situation in den USA ist anders als die damals in Deutschland: In Köln hatte ich ständig Kontakt mit der Polizei, es gab immer neue Bedrohungen, ich konnte zwischenzeitlich nicht auftreten. Ich wollte stark sein, habe die Öffentlichkeit gesucht, wollte unbedingt auftreten, hatte aber auch große Sorgen. Ich habe in den Jahren viel Sport und Meditation gemacht, um mental wieder gesund zu werden – deswegen kann ich sagen: Ja, ich fühle mich frei und bin sehr dankbar dafür. Der Anschlag auf Salman Rushdie zeigt zwar, dass ich mir nie ganz sicher sein darf, aber ich werde mir genauso wenig wie er meine Freiheit nehmen lassen. Dass Fundamentalisten uns unfrei machen, dürfen wir niemals zulassen.