Der Mythos bleibt unkontrollierbar

Polen Die Regierung kann das kulturelle Erbe der „Solidarność“ nicht brechen
Ausgabe 06/2019
Polens Minister für „Kultur und Nationales Kulturerbe“, Piotr Gliński
Polens Minister für „Kultur und Nationales Kulturerbe“, Piotr Gliński

Foto: Imago/ZUMA Press

In Polen, wo neben den Europawahlen im Mai vor allem die Parlamentswahlen im Herbst anstehen, überschlagen sich seit Jahresbeginn die Ereignisse. Am 13. Januar wird der Danziger Stadtpräsident Pawel Adamowicz auf offener Bühne ermordet – das Land wird durch eine Welle der Empörung, aber auch des kollektiven In-sich-Gehens ob der sich ausbreitenden Hass-Sprache erfasst. Mit dem Abhörskandal wird der Nimbus von Jarosław Kaczyński und der seiner regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) als korruptionsresistente Saubermänner erschüttert. Anfang Februar gründet der homosexuelle Politiker Robert Biedroń eine neue linksliberale Partei, die das Potenzial hat, die politische Szene aufzumischen.

Der jüngste Streit um die Finanzierung des Europäischen Solidarność-Zentrums (ECS) in Danzig erscheint da wie eine Fußnote. Das ECS ist eine unter anderem von der Stadt Danzig, dem polnischen Ministerium für Kultur und Nationales Erbe sowie dem Gewerkschaftsbund „Solidarność“ getragene Institution, die das Erbe der 1980 gegründeten Bewegung wachhalten soll. Weil aber die Solidarność ein gut verwertbarer Mythos ist, haben Kultusminister Piotr Gliński und die PiS – noch vor dem Tod Adamowicz’, dem Hauptinitiator des ECS – angekündigt, die für 2019 vorgesehene Förderung von umgerechnet rund 1,8 Millionen Euro um rund 40 Prozent zu kürzen. Ende Januar stellte Gliński die Bedingung, die Zusammensetzung des ESC-Vorstands im PiS-Sinne zu ändern – dann werde die Gesamtsumme fließen.

Eine einzigartige Solidaritätswelle und der Widerstand der ECS-Leitung machten dies kurzerhand obsolet: Eine landesweite Spendensammlung brachte innerhalb von nur 30 Stunden die fehlenden Gelder zusammen. Gliński und mit ihm die PiS guckten dumm aus der Wäsche. Gliński hatte ja durchaus einen Punkt, politische Gegner der PiS hatten das ECS mitunter als Plattform für politische Zwecke genutzt, die dem Zentrum laut Statut untersagt sind. Doch Glińskis Vorwurf läuft angesichts der vielen öffentlichen Institutionen, die die Partei seit ihrem Regierungsantritt Ende 2015 selbst schamlos übernommen hat und seither für ihre Zwecke nutzt – die öffentlich-rechtlichen Medien etwa, die in großen Teilen zu Propagandatuben verkommen sind, oder auch das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs –, ins Leere.

Die ECS-Geschichte, das zeigen die öffentlichen Reaktionen, könnte Signalwirkung haben – vor allem im Kontext der erwähnten Parallelereignisse, vor allem des Todes Adamowicz’ und eben: des Mythos von Danzig als multikultureller Stadt und Geburtsort des für Millionen von Polinnen und Polen so wichtigen Mythos der Solidarność. Die ungelenken, unversöhnlichen Reaktionsversuche der PiS und ihres immer zielloser agierenden Chefs zeigen, dass sie nicht begriffen hat: Die Solidarność, verstanden als Idee, als spezifisch polnische und zugleich universelle Idee, lässt sich staatlich nicht kontrollieren. Dies galt schon im Jahr 1980. Und gilt auch anno 2019.

Jan Opielka ist deutsch-polnischer Publizist und lebt in Gleiwitz, Oberschlesien. Als Musiker schreibt er an einem Stück über die Aktualität der Solidarność-Ideen

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