Der Nebel von gestern

Was läuft „The Crown“, „Designated Survivor“ und die Spielarten des Eskapismus. Spoiler-Anteil: 7 Prozent
Ausgabe 47/2016

In Zeiten wie diesen geht von den Katastrophenmeldungen früherer Tage eine besondere Anziehung aus. „Smog in London kostet 4.000 Menschen das Leben“ zum Beispiel, Dezember 1952. Und glaubt man Peter Morgan, dem Autor der Netflix-Serie The Crown, so trug Winston Churchill seinen Teil dazu bei, indem er die mit Kohle betriebenen Kraftwerke der Stadt auf vollen Touren laufen ließ. Es sollte um jeden Preis die „Illusion einer stabilen Wirtschaft“ aufrechterhalten werden, wie dankenswerterweise eine Nebenfigur in The Crown erklärt. Inversionswetterlage plus Luftverschmutzung sorgten für eine Sichtbarkeit von teilweise unter einem Meter und dafür, dass die Queen zu Fuß gehen musste, wenn sie die eigene Großmutter ein paar Paläste weiter besuchen wollte. Noch schlimmer wirkte sich die dicke Luft auf die Atemwege aus. Heute schätzt man, dass an die 12.000 Menschen an den Folgen des Smogs starben.

Mittlerweile sind Meldungen über „Erbsensuppe“ in London allenfalls noch in Restaurantkritiken zu finden. Nicht dass Churchill oder die Queen dafür gesorgt hätten. Wie The Crown ebenfalls auf hübsche Weise illustriert, nutzten die beiden die Krise damals in erster Linie für eigene Ziele. Churchill (mit angemessener Schrulligkeit von John Lithgow verkörpert) bewies, dass er trotz seiner 78 Jahre immer noch die besten „Blood, sweat and tears“-Reden halten konnte. Und die junge Königin (mit endlos expressivem Gesicht von Claire Foy gespielt) zeigte ihrem Premierminister, wie schnell sie das Thema wechseln konnte, sobald wieder die Sonne durch den Nebel drang.

Als The Crown am 4. November bei Netflix online ging, konnten sich die ersten Kritiken kaum enthalten, die Serie über die Anfangsjahre der britischen Regentin im Kontext einer damals (wie lang ist es her!) unmittelbar bevorstehend scheinenden weiblichen US-Präsidentin zu sehen. Aber wie so oft zeigt sich, dass Popkultur dann am besten ist, wenn sie den naheliegenden Interpretationen den Finger zeigt. The Crown nämlich erweist sich als beste Möglichkeit, vor den schlechten aktuellen Nachrichten zu fliehen und im geschützten Bereich der historischen Dokufiction über Themen wie „Was macht einen guten Regenten aus“ zu reflektieren.

Mit entsprechend teurer Ausstattung und den im Stoff liegenden Soap-Elementen (Elizabeths Hochzeit mit Philip, Prinzessin Margarets Affären, der abgedankte Edward und seine Wallis) bietet The Crown einerseits besten Serieneskapismus à la Downton Abbey. Andererseits aber steht Autor Peter Morgan (der nicht nur The Queen, sondern auch die an Idi Amin angelegte Machtanalyse Last King of Scotland geschrieben hat) für mehr: Aus den historischen Krisen wie dem „Pea Souper“ von 1952 macht er quasi zeitgenössische Shakespeare-Dramen um Hinfälligkeit, Heldentum, Egoismus und technische Fragen der konstitutionellen Monarchie. Ja, auch er „vermenschelt“ die Royals vielleicht zu sehr, aber letzten Endes beutet er sein historisches Personal mehr aus, als dass er es überhöht. Und macht auf diese Weise die historischen Zeitläufte als solche lebendig. Weshalb in Morgans Schreibe der Tod von George VI. (wunderbar trocken gespielt von Jared Harris) genauso rührt wie die Tatsache, dass Elizabeths Krönung gegen die heilige Tradition schließlich live vom Fernsehen übertragen wurde.

Wem der retrograde Blick von The Crown nicht genug Trost für die Gegenwart bietet, für den mag die US-Serie Designated Survivor das Richtigere sein. Als deren erste Episode ausgestrahlt wurde, galt die Prämisse noch als Katastrophe, heute klingt es geradezu wie eine Verheißung: Ein Bombenattentat während der „State of the Union Address“ vernichtet mit einem Schlag die gesamte US-Regierung einschließlich Senat und Repräsentantenhaus. Übrig bleibt lediglich Kiefer Sutherland als titelgebender Überlebender, der sich vom unbedeutenden Minister für Stadtentwicklung zum mächtigsten Mann der Welt befördert sieht.

Krise ist gar kein Ausdruck für das, was er plötzlich bewältigen muss: Gouverneure, die zur Muslim-Hatz aufrufen, Generäle, die willkürlich fremde Länder angreifen wollen, eine verunsicherte Bevölkerung, ein intriganter Stab. Ach, aber Kiefer Sutherland macht als Tom Kirkman seine Sache so gut und ist selbst dann, wenn er seinen Idealismus verraten muss, immer noch einfach ein sympathischer Mensch im Weißen Haus. Designated Survivor ist der ultimative Eskapismus.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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