Der neue Freund

Kehrseite Er ist Mitte 30 und vom Typ her eher schüchtern. Er trägt eine randlose Brille und maßgeschneiderte Anzüge. Wenn man ihn hart angeht, kriegt er rote ...

Er ist Mitte 30 und vom Typ her eher schüchtern. Er trägt eine randlose Brille und maßgeschneiderte Anzüge. Wenn man ihn hart angeht, kriegt er rote Wangen und wirkt fast ein bisschen verletzt. Dann allerdings wird er böse und beißt um sich.

Als wir ihm zufällig abends vor unserer Haustür begegnen, ist alles ganz anders. Nie haben wir ihn so gelöst gesehen. Unter der Straßenlaterne bleibt er stehen und freut sich richtig, uns zu treffen. Neben einer Mappe aus Leder hält er noch eine Taschenlampe zwischen den Fingern und lacht.

Eigentlich ist er immer unser Feind gewesen.

Haben wir da etwas missverstanden? Sind Feinde überhaupt noch zeitgemäß? Wir wohnen hier. Und wir wohnen hier gerne, in dieser kleinen Sackgasse zur Spree hin. Er hat daran gearbeitet, uns zu vertreiben. Mit einem Einkaufszentrum vor der Nase kann man nicht leben. Er wollte auf der Brachfläche gegenüber einen gigantischen Betonblock hochziehen. Direkt vor unserem Balkon das Parkhaus über drei Etagen, daneben die LKW-Einfahrt. Lärm und Gestank rund um die Uhr. Der ganze Kiez wäre umgekrempelt worden. Bäcker, Weinladen, Blumengeschäft, einfach begraben unter einer fußballfeldgroßen Discountfläche. Selbst die von ihm bestellten Gutachter haben ein massives Ladensterben vorausgesagt. Kaufkraftabzug nennen sie das. Auf die Frage, warum sie das Einkaufszentrum trotzdem befürworten, reden sie von einem irreversiblen Prozess. Wir haben uns gewehrt.

Jahrelang ist er hier als der Investor aufgetreten. Er hat sich Steigbügelhalter in der Politik gesucht, hat geschmeichelt, geschoben und gedroht. Aber das Projekt ist ein Schnellschuss geblieben. Profitinteresse ohne charmante Verpackung kommt nicht gut an bei den Leuten. Nicht nur er, die gesamte Aktiengesellschaft ist ins Straucheln geraten. Ein großer Konzern hat übernommen, und ihn haben sie fallen lassen.

Auch ein Manager leidet, wenn er plötzlich arbeitslos wird. In der letzten Zeit hat er sich immer wieder hier im Kiez gezeigt, hat Kontakte ausgebaut und Häuser aufgekauft. Und jetzt geht er mit seiner Taschenlampe auch in unserer Straße auf die Pirsch. "Wissen Sie was, Sie sind viel zu aggressiv", sagt er in die Abendluft, als wir fragen, für wen er hier agiert. Nein, kein Auftrag, er liebt diesen Kiez, reine Privatinitiative diesmal. Er hat sich einfach neu entdeckt und ist momentan viel zu gut drauf, um sich mit uns anzulegen. Er streckt uns die beringte Rechte hin: "Hab gerade geheiratet", sagt er. "Und ich bin wirklich happy." Der Rausschmiss muss ihm hart zugesetzt haben. Neuer Manager ist einer dieser kaltblütigen Siegertypen geworden. Mit dem hat er noch eine Rechnung offen. Er lässt Vertrauliches fallen. Wenn wir mehr wissen wollen ... Und er selbst? Wovor ist er eigentlich zurückgeschreckt? "Ich war da Angestellter", winkt er ab.

Einkaufszentrum? War halt´n Job. Emotional hat er sich da längst rausgezogen. Was der Neue hier vorhat, ist schwer zu sagen. Jedenfalls nichts Gutes. Das ist einer, der sich persönlich bereichert. Überall, wo er seine Pfoten drin hat. Ja, wenn er an den denkt, könnte er sich fast vorstellen, bei uns in der Anwohnerinitiative mitzumachen. Aber er ist ja längst dran am Kiez und wittert die Potentiale. Auch zu den Türken hat er einen guten Draht.

Dann sagt er, dass er uns sympathisch findet und gibt uns seine Handynummer. Es klingelt in seiner Westentasche. "Das wird sie sein", sagt er und lässt uns ein bisschen teilhaben an seinem neuen Glück. Wir verabschieden uns.

War da noch was? Ach ja, er hat jetzt auch einen neuen Job. Bald geht´s los bei einem großen Berliner Immobilienunternehmen. Erste Adresse.

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