Noch vor gut einer Woche sonnte sich Emmanuel Macron beim Besuch in den USA im byzantinisch geratenen Pomp, mit dem ihn Donald Trump empfing und herzte. Das kam in Frankreich nicht sonderlich gut an. Die Plattform rue89.com fühlte sich Fotos ausgesetzt, die „an die Riten der Orang-Utans“ erinnern. Mehr als die Pilgerreise nützt, schaden Macron ein Jahr nach seinem Wahlsieg Streiks und Proteste. Außer den Piloten und dem Bodenpersonal legen gerade die Eisenbahner der SNCF das Land jede Woche für vier Tage lahm. Die Studenten wehren sich mit Universitätsbesetzungen gegen eine Studienreform und den finanziellen Notstand im Bildungswesen. Zu keinem Zeitpunkt seit dem Mai 1968 war die Polizei so präsent in und vor den Hochschulen wie im Augenblick.
Zum einjährigen Amtsjubiläum Macrons organisierte die stärkste linke Oppositionspartei La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon am Wochenende eine ‚„Fête à Macron“ mit rund 40.000 Teilnehmern in Paris. Polizei und Beobachter erwarteten ähnlich schwere Krawalle wie zum 1. Mai, als ein paar hundert Schläger des „Schwarzen Blocks“ aus Autonomen, Anarchisten und anderen politisch Verwirrten eine Schlacht gegen die Polizei inszenierten. Doch kam es am 5. Mai nur zu kleineren Scharmützeln.
Auf jeden Fall wirkt die Jahresbilanz des Präsidenten nicht eben ermutigend, sieht man von einigen außen- und europapolitischen Initiativen ab. Macron trat als Bewerber um das höchste Staatsamt im Namen von „Ni-Ni“ an: „ni de droite, ni de gauche“ (weder rechts noch links), aber als Präsident profilierte er sich eindeutig als rechter Steher. Im Unterschied zu Trump und Viktor Orbán bedient er keinen altbackenen Nationalismus, sondern dessen renovierte Version – die neoliberal grundierte „Start-up-Nation“. Diesen Begriff brachte der Philosoph Jean-Claude Monod in seiner Jahresbilanz unter dem Titel Anatomie eines Chefs in der Zeitung Le Monde ins Spiel. Der Autor sieht Macron auf einer Gratwanderung zwischen „Autoritarismus und autoritärem Liberalismus“, etwa bei der Reform des Arbeitsrechts, die mit Verordnungen durchgesetzt wurde. Zu diesem – demokratietheoretisch gesehen – schlecht beleumundeten Patentrezept der gaullistischen Verfassung bekennt sich Macron ohne Vorbehalte. Dementsprechend betont er den Stellenwert von „Effizienz“ in der Politik: „Es gibt die Zeit der Beratung, und es gibt die Zeit der Entscheidung. Diese beiden soll man nicht vermengen. Das hat nichts mit Autoritarismus zu tun, denn ich beanspruche, nicht zu schnell zu entscheiden.“ Was nicht stimmt. Macrons Steuerpolitik begünstigt längst die Reichen stärker als die Mehrheit des Volkes. Sein Asyl- und Einwanderungskurs ist klar repressiv – für die Bedeutung republikanischer Gleichheit hat er nur fade Phrasen übrig.
Gemessen an demokratischen Führungsfiguren vom Format eines Franklin D. Roosevelt (1933 – 45) in den USA oder eines Léon Blum (1936 – 38) in Frankreich, die beide in Krisenzeiten regierten, schneidet Macron, was die Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik betrifft, schlecht ab. Er gleicht eher dem Präsidenten Giscard d’Estaing (1974 – 81), der ebenfalls jung, pro-europäisch und vor allem rechtsliberal war. Das sehen – Umfragen zufolge – auch die Wähler so. Heute bekäme Macron nur noch 35 Prozent der Stimmen. Doch eine Mehrheit im konservativen Lager – nämlich 53 Prozent – ist recht zufrieden mit den „Ni-Ni-Präsidenten“ im Elysée.
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