Träume sind Hoffnungen. August 2005: Für wenige Tage öffnet der "Aktivist" in Eisenhüttenstadt seine Türen. Anlass ist die Ausstellung Pictures from Utopia des 1975 in Cottbus geborenen, Düsseldorfer Fotografen Thomas Neumann, Meisterschüler des Fotografen Thomas Ruff. Mit seinen Säulen, den Kronleuchtern, dem geschwungenen Treppenaufgang lässt das abgeschlossene und verrammelte Gebäude noch einmal etwas von seinem verblichenen Glanz aufscheinen. Die HO-Gaststätte "Aktivist" war der Treffpunkt der jungen Leute in der ohnehin von jungen Leuten bevölkerten Stalinstadt. Die "erste sozialistische Stadt Deutschlands" war die erste Stadtgründung der jungen DDR, die parallel zum Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) errichtet wurde. Den in die Zeit und den Raum greifenden Planern reichte eine Werkssiedlung nicht. Die Zukunft sollte sozialistisch und der Sozialismus sollte städtisch sein.
Pictures from Utopia - für die Bewohner bekannte und ikonenhafte Bilder einer aufstrebenden Stadt als Ausgangsmaterial aufgenommen und bearbeitet, die Projektion von Portraitfotografien der nun alt gewordenen Menschen, die auf jenen Fotografien Kinder und Jugendliche waren und die Neumann aus der Anonymität gerissen hat, sowie einige aktuelle Fotos des ausstellenden Künstlers - sie haben im "Aktivist" ihren kongenialen Ort gefunden.
Was bezeugt die Utopie in dem Nichtort "Aktivist"? Neumann hat die Bilder einer Bearbeitung unterzogen, indem er sie mit ihrer Doppelung überblendet. Ein Wohnkomplex mit seinen öffentlichen Plätzen zum Beispiel reflektiert sich im Himmel noch einmal. Colorierungen erzeugen mit jenen Versetzungen eine irritierende Verfremdung. Man mag sie als eine Spurensuche ansehen, als Imagination des Imaginären, die den Hoffnungen der Gründerbevölkerung eigen war. "Pictures from Utopia" - aus Stalinstadt wird Eisenhüttenstadt, die Versöhnung von Sozialismus und nationaler Bautradition, schon zu DDR-Zeiten als "Stalinsche Eröffnung" beiseite gelegt, um auch in den neuen Wohnkomplexen der Stadt dem Pragmatismus der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" in den industriell gefertigten Betonplattenhochbauten Raum zu geben. Die Gründerstadt wird zum Denkmal, das nach dem Beitritt weiter gepflegt wird und auch westdeutsche Liebhaber findet.
Neumann vermag es, in den fotografischen Abbildungen Spuren freizusetzen. Etwa so wie wenn ein Restaurator Bilder von ihrer Patina befreit und ein Utopisches sichtbar macht, das - wie alles Utopische - von Aufbruch und Glücksversprechen kündet, ohne es je ganz bei sich zu wissen. Etwa wie in dem Brigadebild, in dem durch verdrehte Wiederholung plötzlich Tatlins Turm aufscheint: Wir bauen auf, wir sind dabei, aber was wir tun und wohin das führt, das wissen wir noch nicht. Und es ist ein herzzerreißendes Rosa, mit dem Neumann seine eigenen Eisenhüttenstadtfotos coloriert und den Sockel beispielsweise eines vor sich hin verfallenden Geschäftspavillons aufhübscht, um das alte Rot in die Bonbonfarbe der neuen Versuchung zu überführen. Der "Aktivist" ist wieder verbunkert, aber wer will kann die Ausstellung jetzt in Cottbus besichtigen.
Pictures from Utopia: Galerie Haus 23, Kunst- und Kulturförderverein Cottbus e.V., Marienstraße 23, noch bis 5. November, dienstags - samstags 18 - 22 Uhr. Danach ist die Ausstellung in einer erweiterten Konzeption in die Berliner Galerie Alexandra Saheb zu sehen.
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