Der Osten reicht nicht

AfD Im Westen schwächeln die Rechten, im Rest der Republik sind sie weiter stark. Wohin führt der Weg der Partei?
Ausgabe 12/2021

Es läuft nicht gerade gut für die AfD. Der Zickzackkurs in der Corona-Pandemie, parteiinterne Machtkämpfe und die Quasi-Beobachtung durch den Verfassungsschutz lassen die Partei in Umfragen bundesweit bei etwa zehn Prozent herumdümpeln, noch im Herbst 2018 kratzte sie an der 20-Prozent-Marke. Und nach den jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz muss sie sich mit deutlich weniger Mandaten zufriedengeben. Der Politikberater Johannes Hillje sprach gar von einer Etappe des Abstiegs.

Doch Vorsicht. Zum einen sind die Wahlergebnisse von rund acht und zehn Prozent angesichts der schlechten Performance der Landtagsfraktionen und des Bundestrends immer noch beachtlich. Und zum anderen beschränkt sich die demoskopische Schwäche der AfD auf die westdeutschen Bundesländer: In Umfragen liegt sie hier fast überall im einstelligen Bereich. Im Osten hingegen, allen voran Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, steht die Partei konstant bei über 20 Prozent. In Sachsen-Anhalt, wo im Juni ein neuer Landtag gewählt werden soll, hat sie gar gute Chancen, den zweiten Platz zu verteidigen. Das Ost-West-Gefälle verschärft die in der rechten Sammlungspartei seit jeher ohnehin bestehenden inneren ideologischen Widersprüche zwischen Rechtskonservativen, Neoliberalen, christlichen Fundamentalisten und Völkischen.

Von Erfurt in die Republik

Schematisch lassen sich dabei nach wie vor zwei Pole ausmachen. Der eine zielt auf die Etablierung der AfD als seriöse, möglichst gemäßigt erscheinende, konstruktive Oppositionspartei, die perspektivisch auf eine Regierungsbeteiligung in einzelnen Bundesländern oder im Bund setzt. Wirtschafts- und sozialpolitisch begreift man sich als liberal-konservativ, agiert entlang einer neoliberalen Traditionslinie des „Rechtspopulismus“ und schielt auf enttäuschte Unions- und FDP-Wähler.

Ganz im Gegensatz zum zweiten Pol: Dieser sieht die AfD als Teil einer rechten Bewegung, die grundsätzlicher und kompromissloser Gesellschaft, Staat und Kultur im Sinne ihrer völkisch-nationalistischen Ideologie verändern möchte. In der Tendenz grenzen sich die Vertreter dieses Pols von der neoliberalen Tradition ab und propagieren im Sinne eines solidarischen Patriotismus eine Politik für den „kleinen Mann“, weshalb stärker diejenigen adressiert werden sollen, die zuletzt den Wahlurnen ferngeblieben sind.

Ein Blick in die Geschichte der AfD seit ihrer Gründung 2013 zeigt, dass die Radikalisierung der Partei systematisch von ostdeutschen Landesverbänden vorangetrieben wurde. Beginnend mit der „Erfurter Resolution“ von 2015 verschoben Personen wie der Thüringer Björn Höcke, der damalige AfD-Star von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, sowie der mittlerweile ausgeschlossene frühere Chef der AfD Brandenburg, Andreas Kalbitz, die Achsen der Partei sukzessive hin zum Völkischen.

Der Aufbau des inzwischen offiziell aufgelösten, aber nach wie vor einflussreichen völkisch-nationalistischen „Flügel“-Netzwerks wurde nicht nur von Parteimitgliedern vorangetrieben, sondern auch von parteinahen Akteuren, die der AfD formal nicht angehören – wie etwa dem neurechten Strategen Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik in Schnellroda. Den „Flügel“-Leuten galten erst Bernd Lucke, dann Frauke Petry mit Marcus Pretzell und nun Jörg Meuthen als Ausläufer eines Alt-Konservatismus, dem es am Willen zum Bruch mit den Gepflogenheiten der alten Bundesrepublik fehlte. Im Osten fanden Westdeutsche wie Höcke, Kalbitz und Kubitschek, was sie im Westen schmerzlich vermissten: eine Gesellschaft, in der offen autoritäre und rassistische Politikangebote auf Resonanz jenseits der üblichen Milieus der extremen Rechten stoßen.

Der Prozess der Radikalisierung der AfD war von Beginn an ein Erfolg im Osten. Die alte westdeutsche Weisheit der Parteienforscher, wonach radikales Auftreten von den Wählern langfristig nicht goutiert und also bestraft werde, gilt hier so nicht. Ob rassistische Aussagen, vermeintliche Tabubrüche, Kontakte zu Neonazis – all das stößt die ostdeutsche AfD-Wählerschaft nicht ab. Auch die potenzielle Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz, der besonders in westdeutschen Landesverbänden mit großer Sorge begegnet wird, scheint im Osten kein Problem zu sein: Die Thüringer AfD etwa gilt bereits seit einem Jahr als Verdachtsfall – negativer Einfluss auf die Zustimmung in den Umfragen folgt daraus nicht.

Das hat Gründe. Die Voraussetzungen für den völkisch-nationalistischen Pol sind im Osten günstig, wo das Anti-Establishment-Ressentiment gegen das angebliche „Altparteienkartell“ auf fruchtbaren Boden fällt, wo das Industrieproletariat mit dem Strukturwandel quasi über Nacht zurechtkommen musste, der sich anderswo über Jahrzehnte vollzog, wo die Bindung an die Institutionen der „alten Bundesrepublik“ für einen AfD-Erfolg gar nicht erst nachlassen musste, weil sie schon immer schwach war – und wo nicht zuletzt die Verlust-Erfahrungen nach 1989 tiefe Spuren im kollektiven Bewusstsein hinterlassen haben. 2019 schrieb der Rechtsintellektuelle Benedikt Kaiser in Kubitscheks Sezession über den intuitiven Widerstandsgestus im Osten: „Der Verlust des Urvertrauens und das daraus herrührende Wutpotential ostdeutscher Generationen sorgen für einmalige Chancen des alternativen Oppositionspotentials.“

Vor einem Jahr dachte Jörg Meuthen laut über eine Spaltung der AfD nach. Wieder einmal war von einer „Lega Ost“ die Rede – analog zur einstigen „Lega Nord“ in Italien. Ursprünglich stammt der Begriff vom rechten Publizisten Karlheinz Weißmann, der 2015 davor warnen wollte, dass sich die AfD mit Leuten wie Höcke und Kubitschek den Weg zur Volkspartei verbauen könnte.

Bereit für „Tag X“

Doch so stark der völkisch-nationalistische Pol der AfD im Osten auch ist, der Einfluss auf die gesamte Partei ist begrenzt. Allein der Landesverband in Nordrhein-Westfalen hat in etwa so viele Mitglieder wie die Verbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammengenommen. Und trotz relativer Stärke im Osten kamen bei der Bundestagswahl 2017 immer noch zwei Drittel der AfD-Wähler aus dem Westen, eine reine Ost-AfD hätte den Sprung über die Fünfprozenthürde verfehlt.

Deshalb ist eine „Lega Ost“ für die Vertreter des völkisch-nationalistischen Pols keine Option. Langfristig geht es eher darum, führende Kraft in der rechten Sammlungspartei zu werden. Kurzfristig wollen die Völkischen im parteiinternen Richtungskampf den Anschluss nicht verlieren. Sie halten nach Bündnispartnern Ausschau, nach Zentristen aus dem Westen etwa, die das Format haben, Meuthen herauszufordern. Für den kommenden Bundesparteitag in Dresden liegt ein Antrag auf dessen Abwahl vor, die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit ist unwahrscheinlich.

Zu einem späteren Zeitpunkt könnte hier Rüdiger Lucassen ins Spiel kommen: Im Dezember trafen sich der betont gemäßigt erscheinende Chef der nordrhein-westfälischen AfD und Björn Höcke bei einer gemeinsamen Veranstaltung in Höxter. Mit dabei war auch Oliver Kirchner, „Flügel“-Mann und Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt. Die Begegnung ist bemerkenswert, denn eine Woche zuvor hatte Meuthen auf dem AfD-Bundesparteitag in Kalkar scharf gegen den völkisch-nationalistischen Pol geschossen. Lucassen empfahl sich am Ende seiner Rede mit Hinweis auf die geleistete Aufbauarbeit in seinem einst zerstrittenen Landesverband für höhere Ämter. Nun wolle er mit der AfD den nächsten Schritt gehen, um sie „so zu positionieren und so zu festigen, dass wir für den Tag X bereitstehen“. Höcke und Kirchner haben genau zugehört.

David Begrich ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e. V. Sebastian Friedrich ist Autor des Buches Die AfD. Analysen – Hintergründe – Kontroversen

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