Sprache Nach meinem Artikel und der Replik von Elsa Köster habe ich viele Zuschriften erhalten. Die meisten von Frauen. Zustimmend zu meinen genderkritischen Äusserungen. Hm
Die stürmische Replik von Elsa Köster, die sie mir spätabends mailte, hat mich durch die Nacht begleitet. Ich sah einige Gemeinsamkeiten, insbesondere was das reale Elend dieser Welt begrifft, all die Ungerechtigkeiten, Diskriminierungen, Vorurteile, Ausgrenzungen, Verächtlichkeiten, Übergriffe, die nicht hinzunehmen sind. Ich sah weiter, dass sie sich meinen inhaltlichen Argumenten zuwendet und nach Erhellendem sucht. Ich sah, dass sie als J
h sah weiter, dass sie sich meinen inhaltlichen Argumenten zuwendet und nach Erhellendem sucht. Ich sah, dass sie als Journalistin und Autorin, als Mensch der Sprache, der nach Worten fandet, die so genau wie möglich das benennen, was sie benennen möchte, wenn möglich in einer ästhetisch anspruchsvollen Gestalt.Ich versuchte einzuordnen und zu verstehen, warum sie so wütend geworden ist.Völlig ins LeereDas ist das Dilemma von ehrlich Engagierten: Einerseits die ursprünglich emanzipatorische Bewegung, der man leidenschaftlich angehört. Andererseits die kippende Bewegung, der es nur noch um Macht geht, die ihre Ideologie über den Menschen stellt und zugleich Treue einfordert.1. Bei den Reaktionen auf meinen Artikel wurde mir schlagartig klar: Mein Hinweis, dass im Deutschen Genus und Sexus nicht übereinstimmen, dass das Geschlecht des Wortes das eine und das Geschlecht der Person das andere ist, läuft bei Gendernden völlig ins Leere. Sie imaginieren bei „Studenten“ keineswegs alle Studenten, sondern nur männliche, weil die Einzahl von Student „der Student“ ist, also männlich, generisches Maskulinum genannt. Ich entgegne dann beispielhaft: Wer die Einwohnerzahl von Berlin wissen will, fragt keineswegs nur nach Männern.Der Bauunternehmer, der Arbeitskräfte sucht, will keineswegs nur Frauen einstellen, nur weil die Arbeitskraft generisch weiblich ist. Zu einer Burschenschaft gehören nur Männer, obwohl die Burschenschaft grammatikalisch weiblich ist. Solche Beispiele, viele und immer wieder, gehen denen, die das Gendern durchsetzen wollen, nur auf die Nerven. Genauso Allwörter. In einem Telefongespräch sagte mir ein Anrufer, mein Hinweis auf Allwörter, also Wörter die ein Gesamt ohne Hervorhebung des Geschlechts betreffen, würde zeigen, dass ich das Anliegen des Genderns nicht verstanden hätte. Mit Allwörtern würde das Geschlecht, insbesondere das weibliche unterdrückt, wohingegen das Gendern das Geschlecht gerade sichtbar machen und damit Frauen befreien würde. Das träfe insbesondere auf Allwörter zu, die den Artikel „der“ tragen.Frau Doktor2. Beim Gendern sind mehr und mehr die Berufsbezeichnungen ins Blickfeld geraten. Es wird historisch argumentiert. Viele Berufe und Tätigkeiten wurden (nur) von Männern ausgeübt und seien daher generisch männlich: der Schmied, der Doktor, der Ingenieur, der Henker. Wenn von Henkern die Rede war, dann waren das tatsächlich nur Männer, auch Ärzte waren tatsächlich nur Männer. (Frauen durften nicht Medizin oder überhaupt studieren. Der erste Doktortitel an eine Frau wurde 1754 an Dorothea Christiane Erxleben vergeben – eine Ausnahme noch für über 100 Jahre). Da sich die Wirklichkeit verändert hat, müsse sich das nun endlich auch in den Berufsbezeichnungen ausdrücken.3. Hier kommt meine eigene Lebensgeschichte ins Spiel. Ich bin in einer Zeit erwachsen geworden, in denen Frauen angestammte Männerberufe erlernten und auch die Berufsbezeichnungen eroberten. Sie waren Traktorist, Diplomingenieur, Elektriker, Baggerfahrer, Sparkassenleiter, Direktor, Facharbeiter für Lebensmitteltechnologie und bezeichneten sich auch so, ungefragt und unreflektiert. Das generische Maskulinum interessierte sie nicht. Die Bezeichnung war für sie eine Berufsbezeichnung, eine Qualifikation, ein Status. Frauen erstürmten die einst männlichen Berufe praktisch und entgeschlechtlichten unversehens die Bezeichnungen sprachlich.Im OstenIn feministischer Sicht war das Festhalten an den alten Berufsbezeichnungen völlig daneben. Ende 1990 nahm ich an eine Tagung zum Thema nachholende Modernisierung teil. Sie fand an einer Leipziger Ingenieurschule statt, die kurz vor der Abwicklung stand. Eine Professorin aus dem Westen erklärte ausführlich, dass die Bezeichnung „Ingenieur“Schule“ frauenfeindlich sei und abgeschafft werden müsse. Und das geschah auch. Und mit dem generischen Maskulinum wurde auch die ganze Schule liquidiert. Da fielen Studenten, Angestellten, Lehrkräfte, ins Nichts, gleichgültig ob Frauen oder Männer.Zu dieser Zeit studierten im Osten an den Universitäten und Hochschulen über 50% und an den Fachschulen um die 90% Frauen. 40% von diesen Frauen hatten eigene Kinder zu versorgen, sie waren Mütter (eine Menschensorte, die in der regen Genderdebatte kaum eine Rolle spielt, genauso wenig wie die Großmütter). Bei den Dozenten und Professoren war der Frauenanteil geringer, aber immer noch bedeutend. Aber sie mussten bei der Erneuerung des Hochschulwesens in Scharen gehen, genauso ihre Leidensgefährten in den Betrieben.Und genau das sind die Frauen, die mit dem Gendern nichts am Hut haben und darin nichts Positives, nicht wirklich Verbesserndes sehen, Frauen die mich jetzt anrufen und mir sagen, dass ihnen all die Sternchen, Unterstriche, großen I, Doppelpunkte und ähnliche Künstlichkeiten zuwider sind, auf den Kecks gehen oder einfach peinlich sind. Sie fühlten sich veralbert und bevormundet, und ihnen werde ungefragt etwas aufgedrückt, das sie gar nicht wollen. Ich nehme das ernst.Kein Sternchen4. Krasser noch sind die Reaktionen von Transpersonen. Noch am Erscheinungstag meines Artikels rief mich ein transidenter Mann in Sachen Sternchen* an. Ich hätte das ganz gut gesagt, aber vergessen, dass das Sternchen auch eine Aus- und Abgrenzung sei. Nicht jede Markierung sei harmlos, was man aus der deutschen Geschichte mit dem gelben Stern wissen müsste. Da erschrak ich richtig. Inzwischen habe ich von Fachleuten, die sich mit Transidenten auskennen, erfahren, dass diese das Sternchen vehement ablehnen: Ich bin ich und kein Sternchen, ich fühle mich als Mann (als Frau) und nicht als Sternchen. Die Sternchenform folgt eben nicht der Realität, nicht der Haltung der Betroffenen, sondern ist weit davon entfernt und gekünstelt.In allen Stellungnahmen ist es das Gendersternchen, was am ehesten in Frage gestellt wird, auch von denen, die fürs Gendern sind. Genauso auch die kleine Pause, die beim Sprechen für das Sternchen steht. Ich gehe davon aus, dass – sagen wir mal in 10 Jahren – niemand mehr das Gendersternchen vermisst.5. Elsa Köster schreibt: „Jede bisher bekannte Form des Genderns ist keine ideale Lösung.“ Sie fordert auf, darum zu ringen: „Ringen wir also weiter.“ Aber selbst wenn durch das Gendern unsere Sprache in neuem Glanz erstrahlte und die schönste Sprache der Welt werden würde: Wäre dann das inhaltliche Problem gelöst? Nein. Die sprachlichen Reflexionen sind naheliegend, wichtig und oft originell. Aber sie treffen den Kern der Sache nicht. Der Kern der Sache ist nicht formeller sondern inhaltlicher Natur: Das Verhältnis von Persönlichkeit und Geschlecht zum einen und das Geschlechterverhältnis zum anderen.Flucht ins Partizpische6. Ein weiteres Unbehagen, das mir kundgetan wurde, betrifft die Flucht ins Partizipische. Da das Partizipische stilistisch und inhaltlich offensichtlich unangemessen und meist einfach falsch ist, wird es am ehesten verschwinden. Ein Berliner teilte mir mit, dass in dem amtlichen Bericht über einen totgefahrenen Fahrradfahrer der Verstorbene als „Radfahrender“ bezeichnet wurde. Ein Toter im Partizip Präsens Aktiv! Ist die schematische Partizipierung als Ersatz für das generische Maskulinum wirklich als bürokratische Anweisung haltbar?7. Überhaupt das Verordnen, das Diktatische. Elsa Köster hält davon nichts, und viele Gendern-Aktivistinnen betonen, sie machten nur Vorschläge, sie wollten keinen Zwang. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Behörden, Betriebe, Vereine, Verlage verordnen das Gendern und Einzelpersonen von hohem Status auch. Eine Professorin schrieb: „Bei Hausarbeiten an der Uni verlange ich, dass die Studierenden gendern.“ Das habe sich trotz erheblicher Widerstände auch durchgesetzt. Was ist das? Eine Hausarbeit als unterwürfiges Bekenntnis? Die Durchsetzung der eigenen Ideologie kraft des Amtes? Ein Journalist sagte mir: „Wenn ich einen Artikel über die grauenhafte Situation von weiblichen Arbeitskräften schreibe, habe ich die freie Wahl: Entweder ich gendere, und er wird gedruckt oder ich gendere nicht, dann wird er nicht gedruckt. Das Gendern wird zum entscheidenden Kriterium, nicht die Qualität des Artikels, und der beschriebene Zustand auch nicht.“8. In einer Mail an mich wird auf die verschiedenen Sprachebenen und Sondersprachen verwiesen. Das Gendern sei allenfalls etwas für die Hochsprache, für die Amtssprache, für die politischer Sprache, nicht aber für die Alltagssprache, für Fachsprachen, für Jargons aller Art, gleich gar nicht für Dialekte und gewiss nicht für Lyrik. Das Gendern werde sich, wenn überhaupt, nur in hierarchischen Systemen einnisten können, per Dekret, und je nach Institution auch in unterschiedlichen Varianten. Eine wichtige Rolle spiele das Sprachgebaren von Politikern und Funktionsträgern. Sie könnten sich heute nicht leisten, auf das Gendern zu verzichten, wenigstens, in der Suffix-Form – Steuerzahler und Steuerzahlerinnen – die ihnen schablonenhaft über die Lippen komme.Das Känguru9. Ein wenig enttäuscht bin ich darüber, dass mein beiläufiger Hinweis auf das Tierreich bisher von niemandem aufgegriffen wurde. Dabei belegt die Benennung von Tieren doch eindeutig, das Genus und Sexus nicht zusammenfallen. Keiner imaginiert bei Giraffen wegen des generischen Femininums (die Giraffe) nur weibliche Tiere, niemand bei Mardern nur männliche (der Marder), und Kängurus sind bekanntlich keineswegs geschlechtslos (das Känguru). Wahrscheinlich halten die einen das Gendern der Tiernamen für so abstrus, dass sie keinen Gedanken daran verschwenden, während die anderen, die Gendern-Aktivisten, das Tierreich sprachlich nicht interessant finden. Ihnen geht es um die sprachliche Macht über Menschen.11. Einen ertragreichen Zusammenhang zwischen gegenderter Sprache und Realität kann keiner der Diskutanten erkennen. Es bleibt dabei: Das Gendern bringt praktisch nichts. Sein separatistischer Ansatz mit der parteiischen Färbung Frau ist unfruchtbar und verhindert letztlich die Lösung der realen Probleme. Diese lassen sich nicht im Geschlechterkrieg lösen, sondern nur gemeinsam, nicht im Gegeneinander, sondern im Miteinander. In diesem Punkt bin ich echt uneinsichtig. Oder: Das ist längst klar. Der Rest ist Ideologie.Der Phallusträger10. Ich will mich nun doch dem Abschnitt in der Replik von Elsa Köster zuwenden, in dem sie meine Männlichkeit ins Spiel bringt. Warum wird sie dabei so wütend? Das habe ich nicht gleich verstanden, wohl auch nicht so ernst genommen und einschlägige Erfahrungen nicht erinnert. Aber es ist ernst. Sie ist wütend, erbost, beleidigt darüber, dass ich etwas tue, was in Ihren Augen Blasphemie ist, nämlich dass ich, der Mann, mich zu etwas äußere, was Frauen betrifft, zu etwas, war mir in meiner Männlichkeit nicht zukommt.Plötzlich bin ich nicht mehr der Wissenschaftler, nicht mehr Kurt Starke, sondern „der Phallusträger“, der sich ungefragt und unberechtigt einmischt. Mir widerfährt damit das Schicksal, das ich beim Gendern kritisch vermerke: Ich werde auf mein Geschlecht, auf meine Biologie reduziert, im gegebenen Fall pars pro toto sogar nur auf einen Körperteil. Die Autorin fällt damit in ein gängiges Muster, das sie, wie ich vermute, ansonsten vehement ablehnt: die Abwertung, Stigmatisierung eines Merkmals, für das man nicht kann, hier des Geschlechts. In einem Leserbrief im Freitag Nr. 5 sind es sogar drei Merkmale: Ich werde als „alter weißer Mann“ abgetan.Eine Satire?Oder ganz anders. Zunächst hat mich der Phallusträger-Abschnitt amüsiert. Dann aber sah ich in einem nachträglichen Anfall von Humorlosigkeit die Sache ernster und übersah, dass es sich auch um eine Persiflage, vielleicht auch um eine Satire über identitäres Denken handeln könnte. Das könnte dann erklären, warum mir die Autorin in der Mail, in der sie ihre Replik ankündigte, mitteilte, sie habe „ein bisschen lustig“ geschrieben.11. Die meisten Mails zu meinem Artikel habe ich von Frauen erhalten. Männer sind zurückhaltender und resignativer. Die Frauen zeigen sich erleichtert, dass „endlich mal einer“ das sagt, was sie schon lange denken. Sie seien empört darüber, dass ihnen von irgendwelchen Leuten etwas aufgedrückt wird, was für sie albern und peinlich sei. Summa summarum: Für sie wie für mich und die Meinen ist der Hotspot generisches Maskulinum nicht giftig. Frühgeburten können weiterhin männlich sein, Säuglinge weiblich, und Babys und Kinder das eine oder das andere oder beides oder keines von beiden.12. Das kürzeste Feedback auf meinen Artikel kam von einer mir nahstehenden Person (weiblich, Facharzt). Gefragt danach, was sie vom Gendern hält, meinte sie: langweilig. Ich stutzte und dachte mir dann: Aha.
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