Volker Sielaff
Es ist nur dieser kleine Ausschnitt im Hof
ein Stück Aussicht, die ich habe von meinem
Fenster. Wenn der Platz unter der Birke
verwaist ist, künden die herumliegenden Dinge
von zahllosen, vorläufig aufgekündigten
Anwesenheiten, ein alter Kessel ohne
Klang. Dann füllt er sich mit Wasser, Stimmen.
Die Kinder kommen in den Hof gelaufen, nehmen
was geduldig war unter der Birke, in Besitz.
"Alles, was man sagen kann, kann man auch beiläufig sagen.“ Das ist eine sprachphilosophische Maxime Ludwig Wittgensteins – und es scheint angebracht, diese Maxime auf die Gedichte Volker Sielaffs anzuwenden.
Denn die beiläufige Mitteilung, die poetische Verhaltenheit, der diskrete Ton – das ist die Schreibbewegung, der sich Volker Sielaff anvertraut. Eine poetische Behutsamkeit, die er bei dem amerikanischen Lyriker Robert Creeley gefunden hat, bei dem es heißt: „Manches wacht auf / selbst durch beiläufige Mitteilung“. Manches wacht auf – es sind nicht nur die Wörter, die im Kontext des Gedichts erwachen und ihre semantischen Strahlungen, sondern auch die Dinge, die mit diesen Wörtern benannt werden. Die Dinge – sie müssen erst in die Sichtbarkeit gelangen, bevor ihnen ein Sinn, eine Symbolik abgerungen werden kann. Es geht zunächst um die Präsenz der Phänomene, um ihre „Anwesenheit“. Da ist zunächst nur eine Feineinstellung auf einen kleinen Ausschnitt im Sichtfeld, eine unspektakuläre Szene, etwa von einem Platz am Fenster aus, an dem sich der Beobachter niedergelassen hat. So auch im vorliegenden Gedicht, das aus einem unveröffentlichten Manuskript mit dem Arbeitstitel Selbstporträt mit Zwerg stammt.
Der 1966 in der Lausitz geborene Volker Sielaff, der seit vielen Jahren in Zeitungen und Zeitschriften präsent ist, agiert viel zu zurückhaltend und unspektakulär, um in einem auf starke Oberflächenreize fokussierten Literaturbetrieb aufzufallen. Die diskrete Erkundung dessen, was wir als Existenz erfahren – das ist die Domäne dieses Dichters. Hinter dem Gesumm einer Fliege, einer überfüllten Abfalltonne, dem Freizeichen im Telefon oder eben einem vergessenen Spielzeug unter einem Baum in einem Hinterhof kann die Erfahrung von Transzendenz durchschimmern.
Aber das ist nicht der Stoff, auf den sich die Matadoren der kleinen Lyrik-Community stürzen wollen. Wo andere Lyriker ihrem geschwätzigen Ich die Lizenz zu einer unkontrollierten Assoziations-Rabulistik erteilen, beharrt Sielaff auf Genauigkeit. Bereits in seinem Debütband Postkarte für Nofretete hat er in zögerlich-lakonischer Behutsamkeit nach der Verlässlichkeit unserer Wahrnehmungen gefragt. Und nach der Erfahrbarkeit der Dinge. Auch im Selbstporträt mit Zwerg wird das große Ganze erst sichtbar in der Erforschung des Kleinen, Alltäglichen. Sielaff verweist in diesem Zusammenhang auf einen Satz des Franzosen René Char: „Die Fluglinie des Gedichts. Sie müßte jedermann sinnlich wahrnehmbar sein.“
Volker Sielaff, geboren 1966 in Großröhrsdorf (Lausitz), lebt in Dresden. Seit 1990 publiziert er Gedichte, Essays und Kritiken in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien. In der Lyrik Edition des Zu Klampen Verlags erschien 2003 sein Debütband Postkarte für Nofretete.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.