Als Bennett 2012 zum ersten Mal eine Partei gründete, war ihr Slogan: „Den Zionismus wieder ins Zentrum bringen!”
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Die mögliche neue Regierungskoalition in Israel ist groß. Genauer gesagt, acht Parteien groß. Und sie zeigt eine dunkle, selten angesprochene Seite des Umgangs mit einem Politiker wie Netanjahu: Natürlich ist seine mutmaßliche Korruption und Bestechung schlimm. Sein mutmaßlicher Missbrauch der Medien und Zeitungen ist für die freie Presse und daher die Demokratie schädlich. Aber wenn ein politisches System einen korrupten Politiker zwölf Jahre lang nicht los wird, auch wenn er mehrmals abgewählt wird, kommen die Wähler:innen an einen Punkt an, wo sie alles ertragen würden, damit er nur endlich geht.
Deshalb verbinden sich dieser Tage Parteien, die bis vor Kurzem nichts miteinander zu tun hatten. Dass linkszionistische Parteien wie
teien wie Meretz und Awoda Netanjahu loswerden wollen, ist klar, es passt zu ihrer Ideologie. Dass das Zentrum (Yair Lapid, Benny Gantz) mitmacht, ist auch klar, sie hätten bei jeder Koalition mitmachen wollen, man kann sagen, es passt zu ihrer Ideologielosigkeit. Aber die rechten Parteien, die normalerweise mit Netanjahu koalieren, was treibt sie in diesen merkwürdigen Pakt? Um Naftali Bennett, den Rechtsradikalen, der vielleicht der nächste Ministerpräsident Israels sein wird, zu verstehen, muss man den Teil der israelischen Gesellschaft verstehen, der hinter ihm steht.Echos von Rabins ErmordungDie religiösen Zionisten, „gestrickte Kippas“, wie man sie in Israel nach der Art der von ihnen getragenen Kippas nennt, haben einen langen Weg hinter sich, seitdem einer von ihnen den israelischen Ministerpräsident Rabin in November 1995 ermordet hat. Das ist eine provokante Formulierung, ich weiß. Aber darum geht es: Nicht darum, dass der Täter einer von ihnen war, sondern eher um die Reaktion dieses Milieus. Noch bevor die Tränen getrocknet waren, riefen sie zur „Einheit” auf. Sie waren sehr besorgt, dass man sie alle für die Tat verantwortlich machen würde.Dieses Gejammer, als wären sie die wahren Opfer, wirkte auf den 23-Jährigen Naftali Bennett, der sich eben entschieden hatte, seine gestrickte Kippa – also das Symbol einer Zugehörigkeit zu der Gruppe, der die Anstiftung zum Mord an Rabin gesellschaftlich zugeschrieben wurde –zu tragen. Es führte auch dazu, dass 26 Jahren später der gleiche Bennett, dessen Partei weniger Sitze im israelischen Parlament hat als die Linkspartei im Bundestag, vielleicht der nächste Ministerpräsident Israels sein wird.Als Bennett 2012 zum ersten Mal eine Partei gründete, war ihr Slogan „den Zionismus wieder ins Zentrum bringen!”. Dieses Zentrum ist das Zentrum der Gesellschaft, der Mainstream, das Herz. Doch der Zionismus war immer im Zentrum israelischen Gesellschaft, er war ja schon ihr Herz. Bennett, der Religiöse, der Ex-Offizier, der Tech-Unternehmer, meinte wohl eine sehr besondere Version von Zionismus: einen Zionismus, der Siedlungen, Rassismus und Hyperkapitalismus in seinem Herzen trägt. Im gleichen Jahr, 2012, sagte Yona Yahav, der Bürgermeister von Haifa: „Es gab nie in der Geschichte einen erfolgreicheren politischen Mord als der an Rabin. Die große Mehrheit ist jetzt stark rechts.”In den letzten Jahren haben die rechten Kräfte in Israel den politischen Diskurs erobert, während sie zugleich überzeugt waren, sie seien die wahre Opfer einer imaginierten linken Hegemonie. Ihr Aufstieg verband sich mit einer zunehmenden Verachtung für Netanjahu persönlich. Der mutmaßlich korrupte Ministerpräsident habe fast alles getan, um an der Macht zu bleiben, einen Krieg mit Hamas mit inbegriffen, so denken viele Israelis. Man denke an den „Flaggenmarsch”, der vor einem Monat durch die muslimischen Viertel Jerusalems lief und die Gewalt in Jerusalem und später in Gaza und in den israelischen Städten anstachelte? Netanjahu und seine Minister haben eben eine zweite solche Veranstaltung für den kommenden Donnerstag genehmigt.Die linken Parteien und Bewegungen in Israel schafften es, tausende Menschen zu Demos gegen Netanjahu auf die Straße zu bringen. Sobald sie aber versuchten, an das Herz der Menschen zu appellieren, fanden sie da ein sehr rechtes Herz. Es waren Proteste gegen die Korruption, nicht unbedingt gegen Netanjahus Ideologie. Die Organisatoren, genau wie die Organisatoren der Proteste für soziale Gerechtigkeit im Jahr 2011, übten sich in Äquidistanz zu den politischen Lagern, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Nur was hat man von großen Kundgebungen, wenn sie nicht mit Ideen verbunden werden? Kämen alle CDU-Wähler in die Linkspartei, würde sie wahrscheinlich die nächste Wahlen gewinnen: Ist es aber noch die Linkspartei, wenn sie ihre CDU-Ideologie mitbringen?Bennett konnte unverschämte Bedingungen stellenGenau wie nach dem Attentat an Rabin weiß auch jetzt die Rechte viel besser als die Linke, wie man den Moment politisch ausnutzt: zur „Einheit” aufzurufen und im Schatten dieser nötigen Einheit weiter die eigenen Interessen vorantreiben. Apolitisch in einer politischen Situation zu bleiben, ist selbstverständlich ein politischer Akt. Und so, obwohl die klare Mehrheit gegen Netanjahu wählte, war doch keine politische Partei in der Lage, eine Koalition aufzustellen, die Netanjahus Regierung ablösen könnte. Die linken Parteien sind zu klein, selbst zusammen mit dem Zentrum. Um Netanjahu zu ersetzen, brauchte es das Herzstück der israelischen Gesellschaft, die religiöse Zionisten von Bennett. Bennett aber brauchte die anderen nicht. Er hätte auch mit Netanjahu zusammen gehen können. Daher konnte er sich es erlauben, unverschämte Bedingungen zu stellen. Fast alle bekam er auch, sogar die Position des Ministerpräsidenten.Die Koalitionsverhandlungen sahen eher wie Erpressung aus. Auf der einen Seite eine kleine Partei mit sieben Sitzen fordert alle wichtigsten Ämter in der Regierung. Auf der anderen erschöpfte Linke und apathische Zentristen, die alles geben, sogar große Teile der Demokratie, um Netanjahu loszuwerden.Die Rechte hat eine klare Mehrheit im Parlament und in der Exekutive, doch seit Jahren streben sie auch nach größerem Einfluss in der Judikative. Bennetts Parteikollegin Ayelet Shaked, die schon einmal unter Netanjahu Justizministerin war, will das Amt nochmal übernehmen, anscheinend soll sie es in der zweiten Hälfte der Amtszeit der nächsten Regierung bekommen. In der ersten Hälfte wird sie Innenministerin, also unter anderem für die Einwanderungspolitik verantwortlich, und fordert dazu noch ein Sitz im Richterwahlausschuss.Obendrein einigten sich die acht Parteien dieser Koalition darauf, die Judikative zu schwächen und Siedlungen zu legalisieren. Ja, es bedeutet viel, dass zum ersten Mal eine palästinensische Partei Teil der Regierung ist. Man muss aber dazu sagen - es ist nicht die linke Joint List-Partei, sondern ein islamistische, rechte, nationalistische KRaft. Vorab hat sie erklärt, sie würden niemals LGBT-freundliche Gesetzesvorschläge unterstützen. Das ist der Preis des apolitischen Kampfes gegen Netanjahu – er sieht ziemlich politisch aus.Ein poetisches Moment in diesem Chaos aber, und ich meine nicht „poetische Gerechtigkeit“, denn gerecht ist das nie, aber: Netanjahu führt dieser Tage eine unheilvolle Kampagne gegen Bennett. Jetzt wird die gleiche Rhetorik wie vor dem 4. November 1995 aus dem Keller geholt. Vor allem Netanjahus Sohn Yair tut sich damit hervor, so sehr, dass er wegen seiner Hetze in den sozialen Medien gesperrt wird. Die Politiker:innen der neuen Koalition benötigen nun Bodyguards. Vielleicht wird es Bennett nun wirklich verstehen, 26 Jahre, nachdem er begonnen hat, seine gestrickte Kippa zu tragen, was es heißt, im israelischen Mainstream zu landen: von Rechtsextremisten bedroht zu sein.
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