Der Vergleich ist so blendend, dass man übersieht, wie er hinkt", warnte einst der rasende Reporter Egon Erwin Kisch. Dieser Gefahr ist nun - sehenden Auges - Staatsminister Bernd Neumann (CDU) mit seinem neuen Gedenkstättenkonzept erlegen. Frei nach dem Motto "Diktatur ist gleich Diktatur" versucht er, Nationalsozialismus und DDR-Geschichte über einen Kamm zu scheren und einen solchen Maßstab auch für die Geschichtsforschung der Zukunft vorzugeben. Doch stößt diese - für Neumann allein politisch korrekte - Sicht auf jüngste deutsche Geschichte auf heftige Kritik des Zentralrats der Juden. Salomon Korn schreibt in einer Stellungnahme zu Neumanns zweifelhaftem Geschichtsbegriff, es sei nicht zu akzeptieren, wenn nach diesem Förderkonzept die SED-Diktatur mit ihrem völlig anderen Stellenwert und das NS-Regime parallel aufgearbeitet werden sollen.
Professor Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung belehrte Neumann in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, dass eine saubere Unterscheidung zwischen NS-Diktatur und DDR-Geschichte das A und O sei, um "Einebnungen zu vermeiden und nicht alles in einem Brei zusammenzurühren".
Überhaupt beobachten Historiker mit dem Forschungsschwerpunkt Nationalsozialismus, dass die Politik zunehmend die Deutschen als Opfer nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt, und es für den Geschichtstrojaner Neumann auch dort einen "Nachholbedarf" gibt. Großvorhaben wie das "Zentrum gegen Vertreibung", die "Gedenkstätte Deutsche Teilung" im Berliner Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße oder auch das geplante "Freiheits- und Einheitsdenkmal" auf dem Schlossplatz erwecken den Eindruck, es gehe künftig fast nur noch um Themen der Zeit nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur. Dabei lassen sich Neumanns Kritiker auch nicht davon blenden, dass demnächst die KZ-Gedenkstätten Dachau, Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die Förderung durch den Bund aufgenommen sind und der Etat für die Orte der Erinnerung an NS-Diktatur und Holocaust 2008 verdoppelt wird. Vielmehr bilanziert Deutschlands Historiker-Papst Bernd Faulenbach, dass die NS-Gedenkstätten mit erheblichen Defiziten zu kämpfen hätten. Es fehle nicht nur weiter an Mitteln zum Erhalt von Gebäuden, sondern gleichermaßen für das Personal.
Schließlich fällt auf, dass in einem neuen Beratungsgremium, das über die Förderwürdigkeit von Forschungs- oder Ausstellungsprojekten in NS-Gedenkstätten entscheidet, kein Mitglied aus den Häftlingskomitees oder Opferverbänden vertreten ist.
Je verklärter, desto schlimmer
Beifall für diesen Umgang mit Geschichte bekommt Neumann - wenig überraschend - nur von Stefan Wolle aus dem "Forschungsverbund SED-Staat" an der Freien Universität Berlin. Der wendet sich zwar gegen "eine pauschale Gleichsetzung des Dritten Reiches mit dem SED-System", aber "Gemeinsamkeiten zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Diktatur" seien offensichtlich. So folgt denn der Forschungsverbund in seinen jüngsten Veröffentlichungen auch den Vorgaben Neumanns zum Umgang mit DDR-Geschichte und will einer "Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und jeder Ostalgie entschieden entgegenwirken". Darstellungswürdig sei nicht eine vermeintliche Bindungskraft der DDR, sondern allein das "Angst-Anpassungssyndrom des Alltags".
Offenkundiger kann die den Ostdeutschen vergönnte Umerziehungsstrategie wohl kaum sein. So stellt der Forschungsverbund nach einer Umfrage an Berliner Lehranstalten ernüchtert fest, Ostberliner Schüler würden dem vereinten Deutschland eher distanziert gegenüber stehen "bei einem gleichzeitig milden Blick auf die DDR". Sie würden die Negativzonen der DDR ausblenden und einer idealisierten, auf ihre sozialen Aspekte reduzierten DDR nachtrauern. Dabei blenden die um Professor Klaus Schroeder versammelten Experten augenscheinlich die Erfahrungswelt aus, der sich viele Jugendliche Ost in den vergangenen 17 Jahren ausgesetzt sahen. Für ihre Eltern waren Wende und Wiedervereinigung nicht selten mit Ausgrenzung und Abstieg verbunden. Warum sollten deren Kinder gebannt und euphorisch auf die gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik blicken?
Professor Martin Sabrow, Gegenspieler Schroeders vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, wendet sich gegen diese "politische Normierung historischer Aneignung". Für ihn verstellt die Reduzierung der Forschung und des Gedenkens allein auf das SED-Unrecht den Blick auf das ganze Spektrum des Lebens in der DDR, wo es neben Angst und Furcht auch Begeisterung und Anpassung gegeben habe. Unerforscht bliebe so auch, welche Anziehungskraft Begriffe wie "Sozialismus", "Frieden" und "Antifaschismus" auf die Menschen in der DDR ausgeübt hätten. Und auch Bernd Faulenbach findet, der Blick auf die DDR werde zu sehr durch das Stasi-Thema verengt.
Je eher, desto besser
Sicher hat daran die herausgehobene Stellung der Gauck- beziehungsweise Birthler-Behörde ihren gehörigen Anteil, besaß sie doch bisher dank Sondergesetzgebung und medialer Privilegierung so etwas wie die Deutungshoheit über vier Jahrzehnte DDR. Aktenbestände aus anderen DDR-Archiven - von Parteien, Massenorganisationen, Vereinen und Betrieben etwa - wurden dagegen weit weniger beachtet, geschweige denn mit Informationen aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes abgeglichen. Historiker werfen der Birthler-Behörde gar vor, Forschungen zur DDR-Geschichte immer wieder behindert zu haben - einhellig deshalb ihr Votum vor dem Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, die Stasi-Unterlagen mit den anderen Beständen im Bundesarchiv zusammenzuführen. Damit würde - so Joachim Scholtyseck von der Universität Bonn - "Sachverstand an der richtigen Stelle" platziert und "zwar je eher, desto besser". Minister Neumann kann mit dieser "wissenschaftlichen Begründung" die Birthler-Behörde nun abwickeln, ohne die politischen Gründe offen legen zu müssen. Marianne Birthler stand nach den Pannen der vergangenen Monate (Stichwort: "sensationeller Fund zum Schießbefehl") längst zur Disposition.
Man darf also getrost damit rechnen, mittelfristig geht der Aktenbestand ins Bundesarchiv, die Bildungs- und Forschungsarbeit zu den Zentralen für politische Bildung und Frau Birthler in Rente. Sie kann damit scheinbar gut leben. Denn drei Stunden, nachdem am 7. November im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien dieses Modell ohne Widerspruch präsentiert wurde, stand sie lachend mit einem Weinglas in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt. Vielleicht ist sie auch nur glücklich, nicht mehr lange eine Rolle spielen zu müssen, die sie nicht ausfüllen kann.
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