Der richtige Kampf fängt erst nach den Wahlen an

Dokument der Woche Resolution der Democratic Socialists of America zur Präsidentschaftswahl in den USA

Die Präsidentschaftswahlen im November markieren das langersehnte Ende der Amtszeit von Bush und Cheney, einer der schlechtesten Regierungen in der Geschichte der USA.

Die Mainstream-Medien haben sich einmal mehr so verhalten, als handele es sich bei den Vorwahlen um Hunderennen, bei denen es nicht darum geht, die Wähler zur Wahl desjenigen Kandidaten zu ermutigen, der ihre Interessen und Wertvorstellungen am besten vertritt, sondern desjenigen, von dem die Medien behaupten, er habe die besten Gewinnaussichten. Auf diese Gewinnaussichten schließen sie aus der Summe der Spenden, die der Kandidat von Leuten erhält, die der großen Industrie nahestehen.

Es besteht wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Medien sich in der verbleibenden Zeit mit den Unterschieden zwischen den politischen Programmen John McCains und Barak Obamas beschäftigen werden. Das ist verhängnisvoll, denn es gibt maßgebliche Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten, ihren Programmen und Parteien, die vermittelt und verstanden werden müssten, auch wenn sie beileibe nicht so groß sind, wie viele linke Demokraten dies gerne hätten.

Obama verspricht, den amerikanischen Arbeitern ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisation zurückzugeben, internationale Handelsabkommen neu zu verhandeln und dafür zu sorgen, dass diese die Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechte nicht beschneiden, sondern stärken und fördern. Er will den Finanzsektor zumindest soweit regulieren, dass spekulative Exzesse verhindert werden können, die Truppen aus dem Irak nach Hause bringen und das bislang dort ausgegebene Geld für Dinge verwenden, die im eigenen Land dringend benötigt werden. Der letzte immens wichtige Punkt ist die Reform des Gesundheitswesens hin zu einer allgemeinen Krankenversicherung. Das ist ein Programm, für das man einen Präsidenten wählen kann und für das es sich nach der Wahl zu kämpfen lohnt, denn ohne Druck von unten wird es nicht umgesetzt werden.

Neoliberaler Obama-Flügel kein Partner

Die Democratic Socialists of America haben eine andere Sicht auf die Wahlen als die Mainstream-Medien und als selbst der Großteil der Linken. Für uns stellen Wahlen im Sinne der repräsentativen Demokratie ein Mittel unter anderen dar, derer sich basisdemokratische soziale Bewegungen bedienen können, um den Staat zu einer Politik zu zwingen, die sowohl ihre Ziele und Interessen als auch die einer breiteren Öffentlichkeit berücksichtigt. Die demokratischen Reformen von New Deal (Wagner Act, Sozialversicherung) und Great Society (Civil Rights Act, Krankenversicherung für Menschen über 65) waren nicht dem Wohlwollen der gemäßigten Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Lyndon B. Johnson geschuldet. Die moderaten Reformen waren Kompromisse angesichts viel weitreichenderer Forderungen, die von zahlreichen Mitgliedern des Kongresses unterstützt wurden. Der Präsident und die Führer des Kongresses hielten sie jedoch für nicht durchsetzbar. Die begrenzten Reformen von New Deal und Great Society wurden letztlich nur deshalb verabschiedet, weil Kongress und Präsident sich dazu gezwungen sahen, den Forderungen der sozialen Massenbewegungen und der Bürgerrechtsbewegung wenigstens ein kleines Stück weit nachzugeben.

Im Kampf um radikalen demokratischen Wandel ist der wirtschafts- bzw. neoliberale Flügel der Demokratischen Partei kein Verbündeter. Seine Unterstützung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) und anderer, ähnlich zerstörerischer Handelsgesetze, der Kürzung der staatlichen Unterstützung für Geringverdiener vor dem Hintergrund wachsender Armut, seine Parteinahme für die Wirtschaft und die Ideologie des "freien Marktes", sein Widerstand gegen eine grundlegende Kritik am Irak-Krieg und am "Krieg gegen den Terror" sowie die Strangulierung der Gesellschaft durch ihre Ausrichtung nach den Interessen der amerikanischen Wirtschaft zeigen überdeutlich, dass dieser Flügel bei dem sich stetig verschärfenden gesellschaftlichen Konflikt auf der anderen Seite steht.

Während Obamas finanzstärkste Unterstützer aus dem neoliberalen Lager kommen, versuchen die Menschen, von deren Einsatz sein Wahlkampf lebt - Farbige, Gewerkschafter und Kriegsgegner - schon lange, die Demokratische Partei aus dem neoliberalen Würgegriff zu befreien.

Chance für einen Klimawechsel

Die Democratic Socialists of America geben sich daher keinen Illusionen hin, ein Sieg der Demokraten in Verbindung mit demokratischen Mehrheiten in Kongress und Senat allein würde grundlegende demokratische Reformen bewirken. Er würde lediglich die besten Voraussetzungen für außerparlamentarische soziale Bewegungen schaffen, Druck auf die Regierung auszuüben, vernünftige Bundesrichter und Minister zu ernennen und die so dringend benötige Reform des Gesundheitswesens in die Wege zu leiten, das Arbeitsrecht zu reformieren und einen bundesweiten Marshall-Plan zur Förderung regenerativer Energien und "grüner" Jobs auf den Weg zu bringen.

Hätten die Vereinigten Staaten ein wirkliches Mehrparteiensystem, würden neoliberale Positionen von einer Partei der Mitte vertreten werden und die Democratic Socialists of America würde sich als Teil eines linken Wahlbündnisses dagegen positionieren. Angesichts der restriktiven amerikanischen Wahlgesetzte besteht die einzige Möglichkeit zum Widerstand gegen die Vorherrschaft der großen Unternehmen aber allein in der Organisation um und innerhalb der Demokratischen Partei.

Ein Präsident Obama allein wird den zentralen Gesundheitsfonds (single-payer healthcare, von einer staatlichen Organisation zentral verwalteter Fonds, in den alle Beiträge der in die zehntausende gehenden Typen von Krankenversicherungen eingezahlt werden, d.Ü.), eine wirkliche Steuerprogresson oder grundlegende Kürzungen des verschwenderischen und unnötig hohen Verteidigungshaushaltes (zumindest auf Bundesebene) nicht erreichen können.

Für sein Versprechen, mit der "gewohnten Polit-Routine" Schluss zu machen, erhielt Senator Obama breite Unterstützung. Dass er sehr viele kleine Einzelspenden erhalten hat, ist ein Indiz für die potenzielle Wirkungsmächtigkeit seiner Botschaft.

Trotzdem lebt seine Kampagne mehr von Gesten und Symbolen als von konkreten politischen Alternativen und da, wo er bislang konkret wurde, wie beispielsweise beim Thema Krankenversicherung, bleiben seine Pläne hinter den Erwartungen und Notwendigkeiten einer umfassenden Vorsorge zurück. Oft bemüht er eine marktfreundliche Rhetorik, um seine Programme einschließlich ihrer Mängel zu verteidigen.

Obwohl wir uns der Unzulänglichkeiten von Obamas Kandidatur und der Beschränkungen durch das politische System der USA sehr wohl bewusst sind, vertreten wir dennoch die Ansicht, die mögliche Wahl Obamas könnte für ein politisches Klima sorgen, in dem soziale und gewerkschaftliche Bewegungen den für die Durchsetzung einer zeitgemäßen Politik nötgen gesellschaftlichen Druck aufbauen könnten. Nur durch ein breites gesellschaftliches Bündnis für soziale Gerechtigkeit, das sich sowohl gegen die rückwärts gewandte Politik der Republikaner als auch gegen den Neoliberalismus in den Reihen der Demokraten wendet, kann eine demokratische Regierung dazu genötigt werden, die von ihr in Aussicht gestellte Lösung sozialer Probleme auch wirklich in Angriff zu nehmen. Eine solche Bewegung muss sich auch für ein öffentliches System der Parteienfinanzierung einsetzen, das allein den Einfluss von Firmenspenden und Lobbyisten auf die beiden großen Parteien einschränken könnte.

Als Rahmen für eine nach unseren Vorstellungen zeitgemäße Politik schlagen wir unsere "Agenda für ökonomische Gerechtigkeit" vor, die auf den folgenden vier Forderungen basiert:

n Eine Rückkehr zum Steuersystem der Vor-Reagan-Ära sowie drastische Kürzungen im Verteidigungshaushalt.

n Die Einführung der allgemeinen und aus einem Topf finanzierten Krankenversicherung und eineAusweitung des staatlichen Engagements bei der Kinder- und Altenbetreuung sowie in Bezug auf die Rentensicherheit.

n Die Verabschiedung des Wahlfreiheitsgesetzes für Arbeitnehmer (Employee Free Choice Act) als Teil einer umfassenderen Anstrengung zum Wiederaufbau einer starken Gewerkschaftsbewegung, die in der Lage ist, ein Kräftegleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt herzustellen.

n Eine Außenpolitik, die sich für den Schutz und Ausbau von Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechten sowie die Kontrolle und Regulierung transnationaler Konzerne einsetzt.

Empfänglicher für den Druck der Straße

Wahre Demokratie dreht sich nicht nur um eine Frau oder einen Mann, die oder der der amerikanischen Öffentlichkeit Veränderungen verspricht. Diese Veränderungen bedürfen des anhaltenden Drucks von unten. Dennoch ist nicht gleichgültig, wer im Weißen Haus das Sagen hat. Der bessere Präsident ist unserer Meinung nach derjenige, der für den Druck von der Straße empfänglicher ist. Ein demokratischer Präsident und eine demokratische Mehrheit im Kongress würden in der Bevölkerung große Hoffnungen auf Veränderungen und die Bekämpfung der wachsenden Ungerechtigkeit und Ungleichheit wecken. Würden die Demokraten diese Erwartungen enttäuschen, wie sie dies in den frühen sechziger Jahren getan haben, werden die Menschen dies wohl kaum unwidersprochen hinnehmen.

Die Linke sollte sich auch nicht so sehr auf die Präsidentschaftswahlen konzentrieren, dass sie darüber die Senatswahlen im Herbst völlig vergisst. Wir brauchen mehr linke demokratische Abgeordnete im Kongress und stärkere Mehrheiten im Senat.

Mit den Wahlen im November ist der Kampf nicht zu Ende, er fängt dann erst richtig an. Übersetzung Holger Hutt

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