Sichtlich erleichtert verkündete Igor Konaschenkow, der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, am 28. Juni die vermeintlich frohe Botschaft: Nach vielen Fehlschlägen war endlich wieder einmal ein erfolgreicher Raketenstart gelungen. Im Weißen Meer wurde vom Atom-U-Boot Juri Dolgoruki die neue Interkontinentalrakete Bulawa abgefeuert. Nach einem Flug von über 6.000 Kilometern in Richtung Südosten ging sie zielgenau über dem Truppenübungsplatz Kura auf der fernöstlichen Pazifik-Halbinsel Kamtschatka nieder.
Der von der NATO SS-NX-30 genannte Flugkörper ist eine U-Boot-gestützte Dreistufen-Feststoffrakete mit einer Reichweite von bis zu 8.000 Kilometern. Sie misst selbst ohne Sprengkopf bereits über elf Meter und kann zehn indi
elf Meter und kann zehn individuell lenkbare Mehrfachsprengköpfe tragen, die jeweils eigenständig ihr Ziel ansteuern und Abwehrraketen ausweichen. Jeder Sprengkopf besitzt mit je 100 bis 150 Kilotonnen die Hundertfache Explosionsstärke der Hiroshima-Bombe – eine supermoderne schlagkräftige Waffe also. Die Militärs träumen davon, sie zur Grundlage der maritimen strategischen Kernwaffenkräfte zu machen. Nur waren die bisherigen Erprobungen eher eine Serie von Pech und Pannen. Sieben der 14 Starts scheiterten aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Konstrukteure sehen die Ursachen in mittlerweile korrigierten Materialmängeln und schadhaften Zulieferteilen, nicht aber in Konstruktionsfehlern. Somit scheint der Weg frei für weitere acht Bulawa-kompatible Atom-U-Boote der Borei-Klasse, die bis 2015 von der Werft Sewmasch in der Hafenstadt Sewerodwinsk am Weißen Meer gebaut werden sollen. Nach dem Erfolg kündigte der Oberbefehlshaber der russischen Kriegsmarine, Admiral Wladimir Wyssozki, weitere Starts für die kommenden Monate an. Interessierte Zuschauer sind sogar eingeladen, den Bulawa-Start vom brandneuen Atom-U-Boot Alexander Newski live auf der neu eingerichteten Homepage des Verteidigungsministeriums zu verfolgen.Die strategischen Raketentruppen Russlands planen für dieses Jahr insgesamt zehn Tests ballistischer Interkontinentalraketen, darunter auch der neuesten 12.000 km weit fliegenden Rakete „Jars“. Im vergangenen Jahr wurden fünf Langstreckenraketen verschiedener Typen gestartet: eine „Wojewoda“, zwei Raketen „Dnjepr“ und zwei „Topol“-Raketen. Derartige Übungsstarts sollen neben der Funktionstüchtigkeit auch prüfen, ob die Betriebszeit teilweise veralteter Raketen im Diensthabenden System vielleicht doch noch verlängert und so die Zeit bis zur Ablösung gestreckt werden kann. Denn das Geld ist knapp und die längst überfällige Erneuerung teuer. Eine einzige „Bulawa“-Rakete kostet rund 900 Millionen Rubel und die Militärs wünschen sich mehr als 150 von ihnen.Kampfkraft stärken „Ab 2013 wird die Produktion von Raketensystemen praktisch verdoppelt“, verkündete Regierungschef Wladimir Putin im Frühjahr bei Beratungen über die russischen Rüstungsprogramme im sibirischen Botkinsk. In die Serienproduktion von Raketensystemen werden rund 80 Milliarden Rubel investiert. Darüber hinaus sollen insgesamt 130 verschiedene Arten militärischer Ausrüstung und Bewaffnung angeschafft werden. Alle Luftabwehr-Einheiten werden mit modernen Systemen ausgestattet. Bereits im Februar hatte das Verteidigungsministerium einen Modernisierungsplan für die Armee bis 2020 vorgelegt. Das Geld soll vornehmlich in die Herstellung von Atomraketen zur Bewahrung des Rüstungsgleichgewichts mit den USA fließen. Außerdem stehen mehr als 600 Flugzeuge und 1.000 Hubschrauber sowie 100 Schiffe für die Armee auf der Einkaufsliste.Russlands Rüstungsausgaben 2011 betragen fast 2 Billionen Rubel (1 Euro - ca. 40 Rubel) und machen damit 19 Prozent des Staatshaushalts aus. In den nächsten zehn Jahren will Moskau insgesamt rund 22,5 Billionen Rubel für Rüstungszwecke ausgeben. Den Löwenanteil in Höhe von 19 Billionen Rubel wird das Verteidigungsministerium erhalten. Dem Innenministerium, Inlandsgeheimdienst FSB und anderen Sicherheitsstrukturen fließen 2,5 bis 3 Billionen Rubel zu. Mindestens ein Fünftel der Gesamtfinanzierung ist für Forschung und die Entwicklung neuer Waffen bestimmt. Die Ausgaben für den Kauf neuer Waffen und Kriegstechnik werden dabei um fast ein Viertel steigen. Das Rüstungsprogramm orientiert darauf, den Anteil neuer Technik in der Bewaffnung auf 70 bis 80 Prozent zu erhöhen. Derzeit beträgt er lediglich zehn Prozent. Auch die Besoldung für Armeeangehörige soll aufgestockt werden.Nicht unter den Top-10Einigkeit herrscht in der Führung darüber, dass die militärische Stärke des Landes wichtigster Garant dafür ist, gegenüber dem Westen gleichberechtigt aufzutreten, aber auch mit anderen zukünftigen Konkurrenten im internationalen Geschehen auf Augenhöhe umgehen zu können. Umstritten sind jedoch Wege und Methoden zu diesem Ziel. Der Militärexperte Alexander Chramtschichin bescheinigt Russlands konventionellen Streitkräften gravierende Rückschritte und bezweifelt den Nutzen von Atomwaffen. Von der Zahl der einsatzbereiten Maschinen her gehöre Russlands Luftwaffe mittlerweile nicht einmal der weltweiten Top-10-Liste an.Er kritisiert ebenfalls den aktuellen Reformplan, wonach die Armee-Struktur nur noch drei Ebenen anstatt der bisherigen vier – Regiment, Division, Armee, Militärbezirk – haben soll. Diese Reform trage kaum zur Mobilität der Armee bei. Dafür habe sie die Kampfkraft des Heeres bereits untergraben. Vor diesem Hintergrund scheine die Bedeutung der Nuklearwaffen erheblich zu wachsen. Sie seien ein Prestige-Faktor, ein Abschreckungsmittel und quasi der einzige Grund, Russland als Großmacht zu betrachten. Diese Schlussfolgerung sei aber ein Irrtum, denn ein wirklicher Einsatz von Atomwaffen sei kaum möglich. Ein Nuklearschlag, möglicherweise sogar gegen ein atomwaffenfreies Land, wäre „eine krasse Barbarei, die Russland international zu einem absoluten Schurkenstaat machen und zu Recht in die Isolation treiben würde", so der Kommentator. Scharfe Kritik an dem Projekt kommt auch von ganz unerwarteter Seite. Ausgerechnet der Schöpfer der Bulawa-Rakete, Juri Solomonow, kritisiert das Vorhaben neuerdings als menschenfeindlich.