Der Erfolg kam unverhofft. Martin Blatter war vergangenes Wochenende in den Bergen, „aber nur ganz kurz“, wie er sagt. Die restliche Zeit hat der 36-Jährige dann damit verbracht, den Erfolg zu managen. In seinem Fall heißt das vor allem: mit dutzenden Journalisten zu telefonieren und Zahlen zu nennen. Jeden Tag eine neue Zahl, denn diese Zahl ist der Grund, warum der Ausflug in die Berge nur ein Kurztrip blieb und warum Blatter am Telefon sagt: „Ein wenig Freizeit hat man schon, aber es gibt einfach wahnsinnig viel zu tun.“
Die Zahl der User, die sich die App von Blatter und seinen beiden Co-Entwicklern aus dem Netz heruntergeladen haben, ist explodiert. Am Dienstagabend lag sie bei über 1,2 Millionen. Die App heißt „Threema“, seit Tagen dominiert sie die Download-Statistiken in den App-Stores von Google und Apple, vor allem in Deutschland.
Threema hat einen einzigen Zweck: Die App verschlüsselt die Textnachrichten und Bilder, die sich Nutzer auf ihren Smartphones hin- und herschicken. Das heißt: Die Nachricht kann nur von den Smartphone-Besitzern gelesen werden. Sollte ein Geheimdienst den Datenverkehr mitschneiden, könnte er mit der Nachricht nichts anfangen. Zumindest nach allem, was man heute weiß.
1,2 Millionen, das entspricht einem Wachstum von 600 Prozent in knapp fünf Tagen. Der Run auf die App begann Ende vergangener Woche, als bekannt wurde, dass das soziale Netzwerk Facebook den Kommunikationsdienst Whatsapp für 19 Milliarden Dollar übernehmen will. Diesen Dienst nutzen weltweit 450 Millionen Menschen und zwar vor allem in Regionen, in denen Facebook sich schwertut, User für die eigene Smartphone-Anwendung zu gewinnen. Facebook wird schon seit langem für seine Datensammelwut kritisiert und von immer mehr Nutzern als Gefahr für die Privatsphäre wahrgenommen. Zwar beeilte sich Whatsapp zu erklären, dass man weiterhin keine Nutzerdaten sammeln wolle und dass man operativ eigenständig bleiben werde. Doch im Netz überzeugte das nur wenige User. Viele suchen seitdem nach Alternativen. Threema ist eine davon.
Blatter sagt, der Erfolg hänge auch mit den anhaltenden Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden und dem NSA-Skandal zusammen. Dass die Handys von Angela Merkel und Gerhard Schröder abgehört wurden, dass im Prinzip alle Emails abgefischt werden können, ja dass sogar Spiele-Apps wie Angry Birds ausgewertet werden, hätte noch vor wenigen Monaten kaum jemand für möglich gehalten. Die Kommunikation auf Mobilgeräten erscheint als besonders unsicher. Blatter sagt: „Wir bei Threema denken, dass vor dem Hintergrund der allgemeinen Überwachungswut immer mehr Bürgern bewusst wird, was für ein wichtiges Gut ihre Privatsphäre ist.“
Als Threema im Jahr 2012 gegründet wurde, war das noch nicht abzusehen. Blatter kam ein halbes Jahr später hinzu. Der Entwickler von Threema, Manuel Kasper, suchte damals nach Leuten, die seine App an das Android-Betriebssystem von Google anpassen konnten, und Blatter hatte früher an der Universität Zürich Wirtschaftsinformatik studiert. Zusammen mit Silvan Engeler haben die zwei die Version anschließend entwickelt.
Threema ist nicht der einzige Anbieter von Verschlüsselungstechnologie auf Smartphones, der seit dem Whatsapp-Deal einen Ansturm erlebt. Telegram beispielsweise registriert bis zu fünf Millionen neue Nutzer – am Tag. Der offensichtlichste Unterschied zwischen den beiden: Telegram ist kostenlos, Threema kostet einmalig 1,79 Euro.
Doch Blatter ist nicht verbittert über den Erfolg der Konkurrenz. Grundsätzlich sei alles gut, was eine Monopolstellung aufbreche, sagt er diplomatisch. Er spricht von einem qualitativen, nicht quantitativen Wachstum: „Ich glaube, es ist wichtig, den Fokus zu behalten.“ Die drei Entwickler kommen schon jetzt kaum damit hinterher, die vielen Fragen der User zu bündeln und zu beantworten. „Wir freuen uns auch über die Leute, die jetzt zu uns kommen und glauben, sie haben es mit einem Whatsapp-Ersatz zu tun. Aber der Schutz der Privatsphäre ist auch mit einer gewissen Einbuße an Komfort verbunden.“ Im Fall von Threema zeigt sich das vor allem gleich nach der Installation der App, wenn die Nutzer die Verschlüsselung einrichten müssen. Auch wenn das weniger aufwendig ist als zum Beispiel seine E-Mails zu verschlüsseln: Für viele Nutzer könnte auch das schon zu viel sein, fürchtet Blatter. Auch er weiß, dass Kommunikationsapps vor allem über Masse und Benutzerfreundlichkeit funktionieren. Bleibt die Kontaktliste zu lange leer, wird die App gelöscht, ebenso wenn wichtige Funktionen fehlen. Insofern kommt der Facebook-Deal für Threema auch zeitlich gelegen. Denn die Möglichkeit, Gruppenchats wie bei Whatsapp zu starten, existiert erst seit Anfang Februar.
Seitdem klar ist, dass sich mit sicherheitsbasierten Apps erfolgreich Geld verdienen lässt, werden sie ausführlich von Kryptografie-Experten unter die Lupe genommen. Threema kommt in diesen Tests eigentlich gut weg. Die eingesetzte Verschlüsselungstechnologie stammt von renommierten Experten, die ihren Programmcode offenlegen, also für alle nachvollziehbar machen. So lassen sich Sicherheitslücken oder Hintertüren für Geheimdienste schneller erkennen. Doch der Rest der App ist nicht einsehbar. Was auf den Servern in der Schweiz passiert, weiß niemand so genau. Möglich wäre es, die Anwendung extern überprüfen zu lassen. Doch dafür fehle momentan das Geld, sagt Blatter. Grundsätzlich sei man aber dafür aufgeschlossen. Es bleiben also Firmengeheimnisse – und die Frage, ob man dem Unternehmen vertrauen will oder nicht.
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