Der Schwarm

Bienensterben Mysteriös, aber keine Bedrohung für die Welternährung

Sie sind auf und davon, einfach weg. Kurz ausgeflogen und nie mehr zurückgekehrt. US-amerikanische Imker in etwa der Hälfte aller Bundesstaaten und auch einige Kollegen in der Schweiz, in Polen und Kanada beklagen Verluste von bis zu 70 Prozent ihrer erwachsenen Bienen, der Fachbegriff lautet Colony Collapse Disorder, Kollaps der Bienenvölker. Die Großfamilie Bienenstock bricht binnen weniger Tage zusammen, die erwachsenen Tiere verschwinden vollständig, die Brut verhungert, weil sie nicht mehr versorgt wird. Obwohl Honig vorhanden ist, meiden andere Bienenvölker, Stockräuber und Invasoren wie Wachsmotten die Stöcke. Würden die Bienen an einer der bekannten Krankheiten sterben, hätten Eindringlinge keine Hemmungen, den Schauplatz des Massensterbens zu übernehmen. Dass sie es nicht tun, deutet auf etwas Neues hin.

Eine neue Krankheit? Ist die Gentechnik schuld oder ein Pflanzenschutzmittel? Kehrt die Varroa-Milbe, die in den achtziger Jahren extreme Verluste verursacht hat, zurück? Wurde ein neuer Schädling eingeschleppt? Verlieren die Bienen durch Handystrahlen und Elektrosmog die Orientierung? Imker beschreiben, dass die Völker vor dem Kollaps nervös und gestresst gewesen seien. Das ist der bisher einzige Anhaltspunkt. Haben Bienen also ein Problem mit der Umwelt? Obwohl Bienen, ihr Sozialverhalten, ihre Kommunikation, ihre Lieblingsfarben und wie man ihnen Raps und ähnliches schmackhafter machen kann seit Jahrzehnten im Blickpunkt der Forschung stehen, löst dieses neue Phänomen bei den Wissenschaftlern Ratlosigkeit aus. Man tappt absolut im Dunkeln.

Für Imker und Landwirte ist das unerklärliche Phänomen eine Katastrophe: Mit bis zu 16 Milliarden US-Dollar werden die möglichen Verluste der Landwirtschaft allein für die USA kalkuliert. Man fürchtet für alle pflanzlichen Nahrungsmittel, die auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen sind, enorme Ernteausfälle, extremen Preisanstieg und beschwört mithin ein Untergangsszenario der Welternährung. Es ist eine simple Kausalkette: keine Bestäubung, keine Früchte, nichts zu essen. Zumindest nicht mehr in der gewohnten Menge und Vielfalt: Gräser wie Weizen, Roggen, Hafer, Reis, Hirse, Mais sind reine Windbestäuber, auch mancher Baum wie die Walnuss liefert reiche Ernte, wenn nur genügend Wind weht. Äpfel, Birnen, Pflaumen, Mandeln, Erbsen und vieles andere dagegen benötigen zwingend kleine Insekten, um sich zu vermehren.

Doch das muss nicht die Honigbiene sein. Es sind "genügend Facharbeiter auf dem Arbeitsmarkt", erläutert der Greifswalder Zoologe Gerd Müller-Motzfeld, Leiter der Arbeitsgruppe Entomologie (Insektenkunde) des Bund für Naturschutz. "Das Bestäuben können andere Insekten viel besser." Hierzulande steht alternativ zur Honigbiene die Rote Mauerbiene bereit, mit der Müller-Motzfelds Arbeitsgruppe in Obstplantagen experimentiert. Die Rote Mauerbiene lebt einzeln und sammelt für ihren Nachwuchs nicht Nektar sondern Pollen. Rundum behaart ist sie ein Ganzkörper-Pollentransporter und bestäubt alles, was so nah wie möglich an ihrem Bau blüht. 800 bis 1.000 Tiere können einen Hektar Obstplantage bestäuben; dazu bräuchte es drei komplette Honigbienenvölker mit insgesamt 80.000 Tieren.

Dabei besteht die Hauptaufgabe der Honigbienen gar nicht in der Bestäubung, sie tun das mehr so nebenbei. Als der Mensch die Bienen in seine Obhut nahm, war das oberste Ziel der Züchtung ohnehin der Honig, der lange vor der industriellen Zuckerherstellung verlockende Süße bot. Als Haustier kam die Honigbiene erst 1622 nach Nordamerika. Doch auch vorher hatten dort Blütenpflanzen Früchte getragen, denn es gab und gibt hier wie dort andere, heimische Bestäuber.

Das Problem ist, dass diese wilden Insekten-Populationen in der industriellen Landwirtschaft zu selten vorkommen. In intensiv bewirtschafteten Obstplantagen zum Beispiel "geht die natürliche Fauna gegen Null", beschreibt Müller-Motzfeld die Situation. Monokulturen nämlich bieten nicht genügend Lebensraum, und manche chemische Keule, die nicht sie, sondern kleine Schadinsekten treffen soll, vertragen die Bienen und ihre Verwandten gar nicht. Doch über die Schadstoffgrenzwerte, sind sich nicht einmal die Länder der EU untereinander einig. Was immer die Honigbiene aus der Bahn wirft: Es zeigt, dass es nicht gut ist, nur auf ein Pferd zu setzen. Die Natur tut es auch nicht, jedenfalls nicht freiwillig.


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