Über der Versammlung im sechsten Stock eines Hotels lag die fröhliche Aufregung einer Theaterpremiere. Die Zuschauer hatten sich Schild chen mit der Aufschrift "Boss" an ihre Hemden geklebt und verfolgten ein öffentlich in szeniertes Bewerbungsgespräch: Die Kandidaten politischer Parteien mussten im Kreuzverhör begründen, warum sie für den Job geeignet sind, der Regieren heißt. People are the boss hieß der Slogan von "Malaysias erster organisierter Wählerbewegung" vor der Wahl am vergangenen Montag. Die Kampagne fußt auf dem Gedanken, das Land sei eine Company, die Wähler deren Anteilseigner und die Regierung nur das auswechselbare Management.
Es sind Junge, Gebildete, die im paternalistisch regierten Malaysia solche Initiativen starten. Sie wuchsen auf in einem Land, wo das Angebot an Managementliteratur in jeder Buchhandlung um ein Vielfaches größer ist als das an politischer Lektüre. Folglich zeugen die Formen demokratischen Aufbegehrens noch von der Dominanz wirtschaftlicher Kategorien, aber sie deuten auch an, wie das Denken die Richtung wechselt - hin zu einem neuen staatsbürgerlichen Selbstbe wusst sein. Während die regierende Nationale Front das Land mit Angstpropaganda überzog und erfolgreich die Furcht vor Instabilität und Rassenunruhen schürte, hielten die "Bosse" tapfer das Statut der Company hoch: "Es ist dem Management verboten, die Anteilseigner zu bedrohen."
Mahathir Mohamad, seit 18 Jahren Malaysias Regierungschef, hat am Montag seine Machtstellung verteidigt, seine Zwei-Drittel-Mehrheit trotz Verlusten wahren können. Für die Mehrzahl der Malaysier bleibt Mahathir der Garant zweier höchster Güter: wirtschaftlicher Fortschritt und Frieden zwischen den malaischen, chinesischen und indischen Bevölkerungsteilen. Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit sind vergleichsweise nachrangige Werte - das vertraute Bild vom "Modell Malaysia". Und doch ist es nicht das ganze Bild; unterhalb der Hegemonie zeigen sich Risse und Umbrüche.
Zunächst: Das Schicksal des gestürzten Vizepremiers Anwar Ibrahim wird die Öffentlichkeit weiter beunruhigen - Wan Azizah, die Frau des Inhaftierten, wurde mit einem lokalen Überraschungssieg ins Parlament gewählt. Überwiegend profitierte vom sogenannten "Anwar-Fall" aber eine islamische Partei im ländlichen Raum - nun die dominierende Kraft auf der Oppositionsbank. Sie kritisiert politische Willkür und opponiert zugleich gegen Mahathirs moderat-islamischen Kurs; eine illustre Mischung im multiethnischen Malaysia. Der heftigste Wunsch nach politischen Veränderungen wird allenthalben in der jungen Generation vermutet - mit einem bürokratischen Trick bei der Registrierung wurden Hunderttausende Erstwähler diesmal von der Wahlurne ferngehalten.
Die virtuelle Opposition: Das Internet ist die Bühne der Dissidenten in einem Land, wo alle großen Zeitungen direkt oder indirekt den Regierungsparteien gehören und sich ohne Scheu als deren Lautsprecher betätigen. Das Internet umgeht Zensur und Selbstzensur in Presse und Fernsehen, macht drastische Kritik, auch völlig überzogene, möglich: Bei freemalaysia.com blinkt über einem Bild Mahathirs eine Hakenkreuzfahne auf. Manchmal ist das Internet ein Mittel, Opposition bloß zu demonstrieren und die staatlichen Beobachter mit einer virtuellen Anhängerschaft zu verunsichern. Seit der Verhaftung von Anwar Ibrahim vor einem Jahr halten Dutzende Websites den prominentesten Fall politischer Willkür in Erinnerung - während die staatsnahen Massenmedien den noch engeren Schulterschluss mit der Regierung suchen.
Der ungleiche Kampf zweier Öffentlichkeiten läßt sich durch folgende Episode illustrieren: Soeben musste sich der Herausgeber von Malaysias führender chinesisch-sprachiger Zeitung entschuldigen - sein Blatt war bei einer bizzaren Bildfälschung erwischt worden. Auf einem fünf Jahre alten Foto der politischen Elite des Landes hatten die Redakteure den Kopf des später in Ungnade gefallenen Vizepremiers verschwinden lassen und seinem Körper den Kopf des Nachfolgers aufgesetzt. Die Entschuldigung erreichte die Leser des Blatts allerdings nur auf einem Umweg; der Zeitungschef schickte eine bedauernde E-mail an ein malaisches Internet-Forum. Dort hatten junge Chinesen die Fälschung aufgedeckt und angeprangert.
Solche Achtungserfolge beeinflussen nicht die Mehrheit, schärfen aber das kritische Bewusstsein einer wachsenden Minderheit. Bildung Hightech waren die entscheidenden Zutaten in Mahathirs Erfolgsrezept für die Entwicklung Malaysias. Online-Gebühren und Telefonkosten sind niedrig; auf immerhin anderthalb Millionen wird die Zahl der Internet-User geschätzt, bei einer Bevölkerung von 22 Millionen. Weil die kleinen Oppositionsparteien der Alternativen Front im Wahlkampf mangels Personalstärke das elektronische Netz intensiv nutzten, machte schon der Begriff "Cyberelection" die Runde. Für die Gegenwart eine Übertreibung - für die Zukunft ein Ausblick auf noch ungeahnte Möglichkeiten von Macht und Machtkontrolle.
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