Ein klein gewachsener Mann, kantig, schmächtig, wenig stimmgewaltig. So einen übersieht man leicht.
Vielleicht lag es an der physischen Statur dieses Grünen, dass viele erst am Abend des 11. März 1999 auf ihn aufmerksam wurden. Da hatte Oskar Lafontaine der ersten rot-grünen Bundesregierung gerade krachend sein Amt als Finanzminister vor die Füße geschmissen. Kanzler Gerhard Schröder und sein Vize Joschka Fischer ließen hektisch Krisenmanager ins Bonner Kanzleramt herbeichauffieren. Und er war dabei: Fritz Kuhn, der kleine Mann aus Stuttgart.
Der heute 57-Jährige war damals noch Grünen-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag und sollte als zukünftiger Staatssekretär für Finanzen die sich auftuende Lücke in der Bundespolitik füllen. Immerhin ein Regierungsamt. Aber so weit kam es dann doch nicht. Damals nicht, 1999 in Bonn, und auch später nie, zwölf lange Jahre in Berlin.
Es klebt bis heute wie ein Etikett an ihm: Er ist die graue Eminenz der Grünen, ihr Vordenker, Architekt, Koalitionsschmied, einflussreicher Stratege – aber regieren, das machen die anderen.
Stichwahl im schwarzen Musterland
Das soll sich jetzt ändern. Fritz Kuhn kehrt heim. Nach Stuttgart. Wenn nicht alles mit dem schwarzen Teufel zugeht, wird er am kommenden Sonntag zum ersten grünen Regierungschef einer Landeshauptstadt gewählt werden.
Mit 36,5 Prozent haben die Bürger der 600.000 Einwohner zählenden Stadt ihn im ersten Wahlgang vor den von der CDU unterstützten Oberbürgermeisterkandidaten Sebastian Turner platziert. Für die Stichwahl am Sonntag stehen die Aktien noch besser: Zwei Konkurrenten, ausgewiesene CDU-Gegner, sind nämlich aus dem Rennen.
Eineinhalb Jahre nach der Wahl von Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten hätten die Grünen mit einem Stuttgarter Oberbürgermeister Kuhn dann auch das Amt, das viele für das zweitwichtigste in Baden-Württemberg halten. Und zum zweiten Mal in Folge hätten sie den dauerregierenden Schwarzen im „Ländle“ eine traumatische Schlappe verpasst. Es wäre ein ersehnter Triumph für die Bundesgrünen in umfrageflauen Zeiten – und eine Genugtuung für einen, der sich in der Bundespolitik kalt gelaufen hat und der nun zumindest in der vordersten Reihe der Kommunalpolitik mitgestalten will.
Auch Fritz Kuhn selbst nennt es eine „Heimkehr“, wenn er nun nach Stuttgart zurück geht, um dort ins Rathaus einzuziehen. Vielleicht ist diese Heimkehr nicht ganz freiwillig. Aber es ist ohne Zweifel für ihn ein „back to the roots“. Denn hier in Baden-Württemberg war Kuhn vor gut 30 Jahren ein Mitbegründer der Grünen. Hier, im schwarzen Musterländle, hat er die Ökopartei mit einem realpolitischen Kurs schon früh in den Landtag geführt. Als Fraktionsvorsitzender war er einst Chef jenes Mannes, der nun die einzige politische Instanz über ihm wäre: Landesherr Kretschmann.
Platz räumen für Trittin
Während Kretschmann der Heimat immer treu blieb, floh Kuhn vor schwäbischer Behäbigkeit und landespolitischem Mief nach Berlin. Als enger Vertrauter von Joschka Fischer wurde „Fischers Fritze“ im Jahr 2000 gemeinsam mit Renate Künast an die Spitze der grünen Bundespartei gewählt.
Die „zwei kleinen K‘s“, wie man sie nannte, wurden zu ersten wirklichen Vorsitzenden der Grünen. Vor allem Kuhn, studierter Germanist und Philosoph mit dem Schwerpunkt Linguistik, trieb die Partei mit neuen programmatischen Ideen und strategischen Konzepten an. Und oft genug war der stramme Realo der trouble-shooter, der dafür sorgte, dass weitgehend Ruhe im rot-grünen Karton herrschte.
Doch mit dem Ende der rot-grünen Ära sank auch Kuhns bundespolitische Bedeutung. Zwar führte er ab 2005 zusammen mit Künast in der Opposition die Bundestagsfraktion. Doch galt er vielen als zu professoral und kopfig, als zu taktisch und schwarz-grün-verdächtig. Mit seinem Ja zum Afghanistan-Einsatz und zu wirtschaftsnah mit seinem Plädoyer für eine „grüne Marktwirtschaft“.
2008 strafte die Basis ihn ab und wählte in nicht mehr in den wichtigen Parteirat. Ein Jahr später musste Kuhn auch seinen Posten als Fraktionschef räumen für den neuen Platzhirsch Jürgen Trittin. Plötzlich war Kuhn nur noch Vize.
Das Wissen um die eigene Perspektivlosigkeit stand dem Mann mit dem ergrauten Stoppelhaar am Ende ins Gesicht gefurcht: Als erster aus der Generation Fischer, Erben & Co. wechselt er nun aus dem Tabellenkeller der Bundes- an die Spitze der Landesliga.
Stuttgarter Pläne
Künftig also Stuttgart. Heimat – so wie sie sein Lieblingsphilosoph Ernst Bloch einst definiert hat.
Von da aus ist Kuhn schnell bei seinem Kernthema, der Vereinbarkeit von moderner Wirtschaft und nachhaltigem Leben. „Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“, der griffige Slogan, längst von anderen geklaut, ist seine Erfindung. Damit will er auch in Stuttgart die Hegemonie der CDU über das Thema Wirtschaft knacken. Er will gestalten, bewahren, umkrempeln.
Und wie er da dieser Tage als OB-Kandidat über Marktplätze, Cannstatter Wasen und Zuffenhausener Fabrikhöfe zieht, scheint er wieder im Reinen mit sich und seiner Partei. Er schwäbelt wieder, schwärmt von der Landschaft, erwirbt für seine Visionen vom „weltoffenen und nachhaltigen Stuttgart“. Er streitet mit dem harten Kern der Stuttgart-21-Gegner, die ihn bei seinen Wahlkampfauftritten auspfeifen. Und er droht der Bahn, dass er als OB „keinen einzigen Euro mehr“ für das umstrittene Projekt locker machen wird. “Ich kann diesen Job und ich will diesen Job,“ ruft er den Leuten zu. Wer will das bestreiten.
Fritz Kuhn floh aus dem landespolitischen Mief einst nach Berlin. Nun kehrt er nach Stuttgart zurück
Vera Gaserow schrieb an dieser Stelle zuletzt über Ursula von der Leyen
Kommentare 4
Sollte Herr Kuhn der künftige OB Stuttgarts werden, werden ihn etliche der Parkschützer und S21-Gegner an seine Aussagen in Sachen S21 erinnern. Vermutlich wird er dann ähnlich wie MP Kretschmann reagieren: Man beruft sich auf den Volkswillen...das Volk hat ja pro S21 entschieden...und am Volk kann ja keiner vorbei.
Dass die Entscheidung pro S21 schon viel früher von der Spätzle-Connection um Dürr, Teufel u.a. handstreichartig inszeniert wurde, wird dann halt schnell vergessen.
2012 verlangen dann die "Sachzwänge" S21 doch zu realisieren.
Bleibt die Hoffnung, dass der organisierte Widerstand doch noch gewinnt...und sei es durch clevere juristische Strategien.
Offener Brief an Fritz Kuhn, 15. Oktober, auf Initiative der Aktiven Parkschützer(Zitat):
Betreff: Wie gehen Sie mit dem Problem Stuttgart 21 um?
Sehr geehrter Herr Kuhn,
Sie möchten am kommenden Sonntag in Stuttgart zum Oberbürgermeister gewählt werden. Es interessiert mich deshalb, wie Sie als zukünftiger OB mit dem Problem S21 umgehen möchten.
Ganz konkret geht es zunächst einmal um die Kosten: Alleine um einen akzeptablen Brandschutz zu gewährleisten, wären Mehrkosten von rund 5 Mrd. € fällig, das kann seit dem Bekanntwerden des verheerenden Gruner-Gutachtens auch die Bahn nicht mehr leugnen – 5 Mrd. € alleine für elementare Katastrophenabwehr beim Brandschutz! Die eklatanten Sicherheitsmängel im Gleisvorfeld und beim Grundwassermanagement im Kernerviertel wären damit noch nicht behoben. Was gedenken Sie zu tun, um Schaden für die Bürger und den städtischen Haushalt zu verhindern? Wie stellen Sie sicher, dass das Tunnelprojekt weder zur gefährlichen Falle für Stuttgarter Bürger wird, noch zum Fass ohne Boden für die öffentlichen Haushalte?
Wie gedenken Sie mit den Gleisflächen umzugehen, die die Stadt für inzwischen rund 1 Mrd. € von der Bahn gekauft hat, die der Stadt aber auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung stehen werden? Beim Kauf wurde der Stadt eine Nutzung der Flächen ab 2011 in Aussicht gestellt – angesichts der Planungskatastrophe S21 seitens der Bahn ist aber auch in den nächsten 15 Jahren nicht mit einer akzeptablen Alternative zum bestehenden Kopfbahnhof zu rechnen. Darüber hinaus ist spätestens seit der Klage der Stuttgarter Netz AG vom 1.10.2012 klar, dass die Stadt wertloses Bahngelände zum Baulandpreis gekauft hat; Eine städtebauliche Nutzung wäre selbst nach Fertigstellung des Tunnelbahnhofs nicht gegen die berechtigten und gesetzlich abgesicherten Interessen privater Bahnunternehmen durchsetzbar. Was werden Sie unternehmen, damit die Stadt ihr Geld zurückbekommt?
Mit freundlichen Grüßen
(Zitat Ende)
Antwort von Fritz Kuhn vom 19. Oktober (veröffentlicht ebenda, Zitat):
Sehr geehrter xxxxxx,
vielen Dank für Ihre Mail.
Der Kostendeckel bei Stuttgart 21 gilt. Das hat sogar der Stuttgarter Gemeinderat so gesehen und den Beschluss gefasst, dass bei einer Überschreitung des Kostendeckels ein Bürgerentscheid durchgeführt werden muss. Die Bahn hat mit dem bestgeplanten und somit auch das bestgerechneten Projekt der Bundesrepublik geworben und dies auch zur Grundlage der Finanzierungsvereinbarung gemacht. Gleichzeitig hat sie ein funktionierendes Projekt versprochen. Bisher ist sie dies schuldig geblieben, wie das mangelhafte Brandschutzkonzept und die offenen Änderungen beim Grundwassermanagement. Beide Fehler liegen in ihrem Ermessen und damit auch die damit verbundenen Kosten.
Ob die Bahn ihre Genehmigung für das Grundwassermanagement bekommt, liegt am Eisenbahnbundesamt (EBA). Und ob sie auf Grund des Gutachtens ihre Genehmigung des Brandschutzes behält, liegt auch beim EBA, da dieses genehmigende Behörde ist. Ministerpräsident Kretschmann hat das Thema Brandschutz auf die Tagesordnung des nächsten Lenkungskreises gesetzt, wo es nun auch hingehört. Die Bahn muss ihre Partner informieren, was Sache ist. Das hat sie bisher nicht getan. Und genau das wird auch die Aufgabe für mich als OB sein, die Bahn in die Pflicht zu nehmen und Antworten auf die vielen Fragen einzufordern.
Bei den Gleisflächen hat der Gemeinderat einen klaren Beschluss gefasst. Bis 2020 wurde der Bahn leider der Verzugszins erlassen. Ich bin der Auffassung, dass man nach Eröffnung des neuen Tiefbahnhofs die Kopfbahnhofgleise noch mindestens einen Fahrplanwechsel lang liegen lassen muss, um überhaupt festzustellen, ob der Tiefbahnhof die versprochene Kapazität hat. Dies macht man bei jedem Projekt so.
Sollten die Gleisflächen nicht frei werden oder Stuttgart 21 beendet werden, so ist die vertragliche Regelung zwischen Stadt und Bahn ganz klar. Die Flächen gehen zurück an die Bahn und die Stadt erhält den verzinsten Kaufpreis zurück. Sollte die Netz AG Recht bekommen und die Gleise somit nicht entwidmet werden, so bekommt die Stadt das Geld für diesen Teil der Flächen von der Bahn verzinst zurück. Dies gilt auch für die Gäubahntrasse, welche die Stadt ja noch besitzt, die aber die Bahn ja nach der Schlichtung als Notfallstrecke zugesichert hat. Eine Rückabwicklung hier steht also noch an.
Die Flächen C1 und C2 bleiben aber auf jedem Fall bei der Stadt, denn diese sind von den Gleisen unberührt und können als Baufläche genutzt werden. Dies ist beim Konzept K21 ja auch vorgesehen. Ich werde die Bahn daran erinnern, dass sie die gegebenen Zusagen einhält. Ebenso wird es meine Aufgabe als OB sein, die Bürgerschaft vor den schlimmsten Auswirkungen des Projekts Stuttgart 21 zu schützen, so gut mir das möglich ist.
Sie haben am Sonntag die Wahl zwischen einem Oberbürgermeister, der Bahn blind hinterher dackelt oder einem Oberbürgermeister, der der Bahn kritisch auf der Finger schaut.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Kuhn
Wer sich in den Themenkomplex S21 (der eine Art Laboranordnung Neoliberalismus en miniature ist - und somit hochinteressant und eine Bedeutung weit über Stuttgart hinaus hat), kann sich in diesem S21-Freitag-Dossier mit inzwischen 577 Beiträgen vertiefend & bis ins letzte Detail informieren.
Das ist aber ein feiner Deutsch, sorry. Ich denke jedoch, der Sinn ergibt sich trotzdem?..