Der Spätzünder

Nachruf Zum Tod des Theaterregisseurs, Schauspielerliebhabers und Heiner-Müller-Schülers Dimiter Gotscheff
Ausgabe 43/2013

Der Regisseur sei ein Penner, der von den Almosen der Schauspieler lebe. Ungewöhnliche Bescheidenheit war für ihn nicht bloße Koketterie – Dimiter Gotscheff liebte seine Schauspieler bis zur produktiven Selbstunterwerfung. Und so symbiotisch, dass man bei ihm mit Almut Zilcher, Margit Bendokat, Wolfram Koch und Samuel Finzi nicht von einer Truppe, sondern von einer Familie sprach. Interviewanfragen über den Werdegang aus der bulgarischen Provinz nach Ost-Berlin, durch die alte Bundesrepublik und schließlich triumphal zurück in die neue Hauptstadt vor zehn Jahren wehrte er mit dem Hinweis ab, dass seine Schauspieler mit dabei sein müssten. Als ob nur diese für ihn und über sein Leben sprechen könnten.

Dabei war Mitko, wie ihn im Theater alle nannten, eigentlich ein Spätzünder. Sein Vater war nach der Westflucht vieler Tierärzte Ende der fünfziger Jahre aus Bulgarien in die DDR geholt worden. Der Sohn ging mit, um zu Hause dem Militärdienst zu entgehen, schrieb sich für Veterinärmedizin an der Humboldt-Universität ein und träumte von einem Filmstudium an der berühmten Schule in Łódź.

Bis Heiner Müller ihm seinen gerade geschriebenen Philoktet zu lesen gab. Gotscheff, heißt es, sei damit auf der Kastanienallee buchstäblich gegen einen Baum gelaufen; vom Meister Müller blieb er sein Leben lang geprägt. Die zweite wichtige Begegnung war die mit Benno Besson, dem der Theaterwissenschaftsstudent, der statt im Seminar zu sitzen lieber auf den Proben zuschaute, 1970 an die Volksbühne folgte.

Gotscheff wurde eine Art Langzeitassistent. Dieses verzögerte Reifen hat sich künstlerisch in jeder Hinsicht ausgezahlt, als der Regisseur zuerst in Sofia – mit Müllers Philoktet – und dann in der Bundesrepublik – mit Müllers Quartett – die Bühne betrat. Denn der Probenprozess, für ihn die schönste Zeit überhaupt, war so etwas wie eine kollektive Werkerkundung, eine Forschung an den Versfüßen und Gewaltmetaphern, die mit den Schauspielern ins Zentrum des Theaters gelangen.

Der Bulgare Gotscheff sprach daher von seinem Agrartheater – halb ironisch die ländliche Herkunft bespöttelnd, dabei jedoch den physischen Kontakt mit der Antiken-Tradition betonend. Solche Hingabe führte tatsächlich immer wieder zu Heiner Müller zurück, der zitatweise auch in fast alle anderen Inszenierungen von Gotscheff eingebracht wurde.

Mit dieser bedingungslosen Haltung glückten auch bedeutsame Neuauffassungen von Stücken, die der Regisseur nicht einmal übermäßig schätzte – etwa Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden, das 2003 am Deutschen Theater in Berlin herauskam und am Anfang stand von Gotscheffs spätem Ruhm. Dejan Dukovskis Pulverfass als Reigen der Gewalt auf dem Balkan inszenierte er sogar zweimal, zuerst in Graz und dann noch einmal in Berlin. Zusammen mit den Persern am DT, vor allem aber den vielen Müller-Abenden wird diese Schauspielfeier seiner Familie wohl lange im Theatergedächtnis bleiben. Am Sonntag ist Dimiter Gotscheff im Alter von 70 Jahren in Berlin gestorben.

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