Der andauernde „Dieselskandal“ böte die Chance, ein radikales Umdenken auch in Bezug auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu bewirken. Dieselfahrzeuge sind zunehmend von Fahrverboten betroffen. Dabei kann der Eindruck entstehen, als wären sie die einzigen motorisierten Fortbewegungsmittel, die Schadstoffe ausstoßen. Weit gefehlt! Dagegen hilft auch das Einsetzen von sauberer Technik – immerhin eine Möglichkeit, den gebeutelten Pkw-Besitzern entgegenzukommen – wenig.
Denn die Ursache unserer Verkehrs- und Verschmutzungsprobleme sitzt viel tiefer. Umso grundsätzlicher müsste auch eine Lösung sein. Allein, die Politik versucht sich weiter im Schattenboxen: Ihr Vorschlag etwa, Schadstoffbelastung durch die Anhebung der zulässigen Grenzwerte zu bekämpfen, ist ein Irrwitz.
Leise summet der Stau
Manch einer setzt seine Hoffnungen in die Elektromobilität. Nur: Wie wird uns die im täglichen Stau helfen? Leise summend wird er sein, der Stau, leiser noch als das Radio, das uns die Staumeldungen übermittelt. Oder man räumt einen „Nulltarif“ im ÖPNV ein und suggeriert die abstruse Hoffnung, dass man damit in ausgewählten Städten der „Dieselbedrohung“ Herr werden könne. In einigen Politikerohren klingt das sicherlich verheißungsvoll. Es ist aber auch nur ein schwaches Pflänzchen, das nicht überleben kann, weil es den Hebel am falschen Punkt ansetzt.
Wir wissen, Politik denkt vor allem kurzfristig, sie reagiert, anstatt zu versuchen, die Ursachen herauszufinden. Denn zu fragen wäre: Wo entstehen die Verkehrsbelastungen, die die Städte „bedrohen“? Die Antwort ist einfach: Immer dort, wo Menschen ihr Recht auf Mobilität wahrnehmen wollen und müssen.
Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass beinahe zwei Drittel der Bevölkerung in gering oder mitteldicht besiedelten Regionen leben. Es ist diesen Menschen nicht vorzuwerfen, dass sie ihr Auto benutzen, wenn nichts anderes vorhanden ist, um zur Arbeit oder zum Einkaufen zu gelangen.
Der Verkehrsdruck, der auf den Städten lastet, kommt hingegen hauptsächlich aus dem Umland, aus der Peripherie, dem „Speckgürtel“. Für Verkehrsplaner ist folgende Faustregel hilfreich: Binnenverkehre sind mit 40 Prozent zu gewichten, Quell-Ziel-Verkehre mit 50 Prozent, Durchgangsverkehre mit zehn. Die Quell-Ziel-Verkehre entstehen im ländlichen Raum, es sind Verkehre von Ein- und Auspendlern, das heißt Menschen, die Einkaufs- und Kulturangebote wahrnehmen wollen, die es im ländlichen Raum nicht mehr gibt. Nicht nur Großstädte, auch Klein- und Mittelstädte leiden unter dem Druck. Durchschnittlich stehen etwa 70 Prozent Einpendlern etwa 30 Prozent Auspendler gegenüber.
Folglich muss für die oft zitierte Verkehrswende dort angesetzt werden, wo der ÖPNV ein Schattendasein fristet. Also nicht in ausgewählten Städten, sondern eher im ausgewählten Umland einschließlich der Städte. Die räumlichen, siedlungsstrukturellen, ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen, die durch die Pkw-Zunahmen entstehen, sind vielfältig belegt. Doch sieht sich die „öffentliche Hand“ aus angeblich finanziellen Gründen immer weniger in der Lage, eine so starke infrastrukturelle wie organisationale Unterstützung für den ÖPNV zu leisten, damit konkurrenzfähige, attraktive und flächendeckende Systeme auf allen Maßstabsebenen entstehen können.
Die Selbstverpflichtung in den Nahverkehrsgesetzen der Länder zur „Daseinsvorsorge“ beziehungsweise für eine „ausreichende Bedienung“ der Bevölkerung mit Verkehrsleistung stellt eine „freiwillige“, am jeweiligen Budget („Wirtschaftlichkeit“) und der spezifischen ÖPNV-Tradition und -Priorität orientierte Aufgabe dar. Hier bräuchte es ein politisches Umdenken. Anstatt ein paar Städte mit etwas mehr Geld zu versorgen, gälte es, den ÖPNV auf eine rechtssichere, verbindliche Grundlage zu stellen. Sonst bleibt es dabei, dass Kommunen und Gebietskörperschaften nur unabdingbare „Notwendigkeiten“ in der ÖPNV-Bereitstellung, insbesondere in der Fläche, ableiten. Ein erster Schritt wäre es, mit den Kosten des ÖPNV ehrlich umzugehen und nicht gleich aufzuschreien, wenn der Kostendeckungsgrad bei circa 70 Prozent liegt, also der ÖPNV 70 Prozent seiner Kosten selber aufbringt und 30 Prozent bezuschusst werden müssen. Das springt den Haushältern gleich ins Gesicht, weil es in einem einzigen Haushaltsposten zusammengefasst ist. Dagegen steht der Kostendeckungsgrad des Pkw-Verkehrs, der jeden Rechnungshof zur Weißglut treiben müsste. Er bewegt sich zwischen 16 Prozent und 45 Prozent, wie eine Studie des Verbands Local Governments for Sustainability 2005 herausgefunden hat. Das fällt nicht weiter auf, weil die Kosten des Pkw-Verkehrs, die die Steuerzahler, darunter auch Nicht-Autofahrer, auf sich nehmen müssen, in vielen verschiedenen Haushaltstiteln „versteckt“ sind. Dabei besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem niedrigen Kostendeckungsgrad des Pkw-Verkehrs und einem geringen städtischen ÖPNV-Angebot. Würden Autofahrer auch nur annähernd kostendeckend zur Kasse gebeten, wäre die Finanzierung des ÖPNV gesichert.
Eine Verkehrswende ist notwendig. Nicht nur aus ökologisch-politischen Gründen, um endlich die Klimaziele zu erreichen. Es ist genauso eine sozialpolitische, eine demokratische Frage. Denn es ist die Erfahrung der eigenen Benachteiligung, das „Abgehängtsein“ im ländlichen Raum, das jenes „persönliche Entwertungsgefühl“ entstehen lässt, das den Rechtspopulisten den Weg öffnet. Johannes Hilljes Populismusstudie zeigt, dass in den Antworten auf Fragen nach dem eigenen Alltag im ländlichen Raum die mangelnde Verkehrsinfrastruktur an erster Stelle steht (der Freitag 18/2018). Somit diente eine Verkehrswende nicht nur besserer Mobilität, sondern auch der Stabilisierung unseres Gemeinwesens.
Kommentare 8
zum titel-bild:
in wenig-verdichteten räumen
sieht man zu oft pferde,
auf denen nur eine person transportiert wird.
geschickter gebrauch des internets
sollte die reit-tiere besser aus-lasten,
private reit-gemeinschaften könnten
den preis-pro-kilometer deutlich sinken lassen.
im ÖPNV(öffentlichen pferde-nutz-verkehr)
sollte auch die mitnahme von roll-stühlen
und fahrrädern mit-bedacht+gelöst werden!
>>Manch einer setzt seine Hoffnungen in die Elektromobilität.<<
"Elektromobilität": Ein von der Automobil creierter Neusprech. Dass elektrische Fortbewegung sich seit mehr als 100 Jahren auf Schienen bewährt hat soll damit nicht mehr wahrgenommen, "ausgerahmt" werden. Einzig zum zum Wohle des Aktienkurses.
Einen technisch oder volkswirtschaftlich vernünftigen Grund für Massenverkehr und -Transport auf der Strasse gibt es nicht, egal wie die Fuhrwerke angetrieben werden.
>>...private reit-gemeinschaften...<<
So wird das aber nichts: Es muss "horse sharing" heissen wenn jemand drauf anspringen soll.
Schönes Gedicht!
Vielleicht noch einen Hinweis darauf, dass die, die im "Speckgürtel" wohnen, nicht nur für Kultur und Einkauf in die Städte wollen. Tatsächlich wird ja der Teil der Bevölkerung, der von seiner Hände Arbeit leben muss, in den Speckgürtel und darüber hinaus verdrängt, weil in den Städten Wohnraum u. a. zu teurem Gewerberaum wird, in dem die im Speckgürtel lebenden Arbeitnehmer nun arbeiten statt wohnen.
In München ist das so:
Innenstadt: Kaufhäuser, teure Läden, Büros, sehr teure, gentrifizierte Wohnungen.
Angrenzende Gemeinden („Speckgürtel“): Fabriken und nicht ganz so teure Wohnungen, Discount- und „normale“ Läden.
Im Speckgürtel arbeiten zum Teil Leute, die ausserhalb des S-Bahnbereiches wohnen, weil dort die Miete noch so viel vom Lohn übrig lässt dass man nicht extrem sparen muss. Das dafür nötige Automobil wird nicht die Wohnortkosten einkalkuliert, weil man das „ja eh schon hat“.
"wir habens eh schon"
= die heimelige privat-karosse/ motorisierte sänfte auf pkk-/leasing-basis
oder als gehalts-bestandteil.
da ist ein funktionierender öffentlicher verkehr,
wie in vielen entwicklungs-ländern durchaus üblich,
= schwer zu machen.
tip: deutschlandfunk 27.2.: länderzeit:
"verkehrswende in den städten"
Ich finde den Artikel – auch wenn seine Zielrichtung, soweit mir erschließlich, nicht ganz verkehrt sein mag – grauslich. Inhaltlich setzt er am Ende an und offeriert für ein Problem (die Strukturbenachteiligung des ländlichen Raums) eine Rechnung, der soweit ich es überblicke zu entnehmen ist, dass für den ÖPNV schon ein paar mehr Investitionen drin sein müssten.
Doch stünde vor einer Lösung nicht erst mal eine Eingrenzung des Problems? Die strukturelle Benachteiligung des ländlichen Raums ist zwar AUCH eine verkehrtstechnische (salopp gesagt: ohne Auto am Arsch). Einher geht diese jedoch mit weiteren Formen der Ausdünnung: Ausdünnung der Informationen (Bücherei, Stadtbibliotheken inklusive Inventar, Kultur, Breitbandnetz), der Diversifizierung (Stichwort: mittelständische Intelligenz und Gewerbe – ade, Bäckerei oder sonstige kieznahe Einkaufsmöglichkeiten – ade, Multikulti und soziale Durchmischung – ebenfalls ade) und schließlich der ökonomischen Grundlage (bäuerlicher Betrieb – ade; womit dann auch die vielen Pendler*nnen erklärt sind). Die sonstige regionale Ausdünnung – Stichwort: Ebbe in der kommunalen Kasse, darum auch kein Schwimmbad – überspringen wir mal zugunsten des Ergebnisses: grundweg öde Gegenden, in denen der Hund begraben ist und die – der Fortschritt machts möglich – zusätzlich zersiedelt auf eine Weise, dass der sprichwörtliche Hund nur noch seinen Haufen (am besten einen großen) drauf setzen muß.
Die Linke hat das mit der ländlichen Ödnis nie richtig kapiert. Was logisch ist: Einerseits besteht sie selbst zum großen Teil aus Land-Geflüchteten. Andererseits hat ein nicht geringer Teil von ihnen seinen Frieden mit dem Land geschlossen und sich dort in existenzieller Form re-etabliert – als Heilpraktiker*n, mit einer Solartechnik-Firma, in der grünen Partei und so weiter. Mental jedoch setzt die Linke ausschließlich auf die Orte, wo sich die Informationen konzentrieren – die Metropolen. Das ist teils richtig; nur in Städten konzentrieren sich dauerhaft fortschrittliche Milieus – ergo auch Massen, die potenziell politisch eingreiffähig sind. Gesamtgesellschaftlich ist diese Fokussierung jedoch falsch bis fatal. Zum einen schon deswegen, weil das brach liegen gelassene Feld natürlich von der anderen Seite beackert wird – den Konservativen, die die ländlichen Räume zu Horten der Reaktion aufbauen (und dabei kräftig weiter veröden lassen) und den Rechten, die die Wut über die Vernachlässigung (und anderes) in Richtung hargesottener, sich verfestigender Ressentiments umleiten.
Frage so: Brauchen wir mehr ÖPNV? Antwort: Sicher. Allerdings nicht aus sozialtechnokratischen Gründen oder damit die Ökonomie des Exportweltmeisters besser flutscht (bzw. einen Nachstrich in der Farbe Grün erhält). Mehr ÖPNV wäre eigentlich ein Gebot der Menschenwürde und der demokratischen Teilhabe. Wobei es finanzierungstechnisch sicher die beste Lösung wäre, den nötigen Schotter dafür da abzugreifen, wo die Profiteure und Verursacher der ländlichen Ödnis sitzen – bei den wirtschaftlichen Eliten, den Banken und den stramm auf Neoliberalismus setzenden politischen Entscheidern.
Dazu wäre anzumerken, daß in vielen Städten die ö. Verkehrsmittel übervoll sind und die Grünen die Städte weiter "verdichten" wollen. Es wird also noch problematischer.
Gleichzeitig ziehen die Städte immer weiter Gewerbe an, Folge, mehr Publikumsverkehr, Pendler, Platzmangel, Umweltprobleme.