Der Spielverderber

Tschechiens EU-Präsidentschaft Bald sind eigensinnige Skeptiker um Zug

Am 1. Januar übernimmt Tschechien die EU-Ratspräsidentschaft, aber noch ist völlig offen, wer dann in Prag politisch den Ton angibt. Durch einen Einbruch der regierenden Demokratischen Bürgerpartei (ODS) bei den Senats- und Regionalwahlen im Oktober ist Premier Mirek Topolanek heftig unter Druck geraten - ein Zerfall seines Kabinetts ist nicht ausgeschlossen. Die Konsequenzen einer solchen Erosion wären von europäischem Zuschnitt, denn damit würde sich der EU-skeptische Präsident Václav Klaus in den Vordergrund schieben. In Brüssel löst das nicht unbedingt Euphorie aus.

An Ermahnungen und Belehrungen, wie sich Tschechien seiner EU-Mission zu stellen hat, herrscht daher kein Mangel. In den neunziger Jahren im Westen als radikaler Wirtschaftsreformer hoch gelobt, wird der tschechische Staatschef inzwischen als EU-Bremser gefürchtet. Ein schwacher Premier käme Klaus gelegen, selbst das Dirigat bei der Ratspräsidentschaft zu übernehmen.Dass er sich dabei für eine forcierte Ratifizierung des Lissabonner Vertrages nicht einmal ansatzweise so engagieren würde, wie das der jetzige Ratspräsident Nicolas Sarkozy getan hat - darüber muss nicht spekuliert werden.

Einige Europa-Politiker verlieren denn auch prompt die Contenance und bestreiten Tschechien glattweg Eignung und Qualifikation ab, den 27-Staaten-Bund in Zeiten von Finanzkrise, heraufziehender Rezession und Integrationsfrust zu führen.

Der sozialdemokratische Europa-Parlamentarier Jo Leinen etwa spricht von einem "Wackelkandidaten als EU-Präsident", der das Letzte sei, was Europa derzeit brauche. "Sollte das in Tschechien schiefgehen", so Leinen im Deutschlandradio Kultur, "wäre das wirklich der Beweis, dass dieser neue Reformvertrag kommen muss, wo nicht alle sechs Monate die Präsidentschaft rotiert, sondern ein EU-Präsident für zweieinhalb Jahre gewählt wird."

Unter dem Bruch von Gepflogenheiten und Normen wird also locker ins Gespräch gebracht, Nicolas Sarkozy könne doch ein halbes Jahr drauflegen. Ein Ansinnen, das einen kleinen Staat brüskiert, weil der nicht wie gewünscht hinter der großen EU-Kapelle Schritt aufnehmen will. Die Kerneuropäer geben den Zuchtmeister gegenüber einem mutmaßlich unsicheren Kantonisten, dem doch nie wieder das Schicksal eines Satelliten wie zu Zeiten des Warschauer Vertrages beschieden sein sollte. So jedenfalls das Versprechen, als Tschechien ab Mai 2004 in der EU debütierte. "Begrenzte Souveränität" nannte man seinerzeit im Westen, was im Osten den sowjetischen Verbündeten widerfuhr und unter dem Begriff "Breschnew-Doktrin" in die Geschichte eingehen sollte.

Václav Klaus kann sich angesichts mancher rhetorischer Fouls gegen sein Land nur bestätigt fühlen in seinen Ressentiments. Am 26. Oktober hat er im tschechischen Fernsehen mit Blick auf die EU erklärt: "Da wird doch nur Demokratie gespielt. Die EU-Präsidentschaft bedeutet kein Prestige für ein Land, sondern nur für ein paar Politiker. Für die Menschen in Tschechien, Frankreich, Spanien oder Finnland ist die Präsidentschaft nicht wesentlich." Im Übrigen halte er den Vertrag von Lissabon "für einen tragischen Irrtum".

In der Tat ist Tschechien neben Schweden das einzige Land, in dem der Ratifizierungsprozess quasi ruht. Noch vor der Ablehnung durch die Iren im Juni 2008 wurde der Lissabonner Vertrag vom Senat in Prag an das Oberste Gericht verwiesen, um zu überprüfen, ob die Landesverfassung über Gebühr tangiert wird. Mit dem EU-Beitritt hatte sich Tschechien zwar verpflichtet, "in vereinbarten Bereichen" die Überordnung des europäischen gegenüber dem tschechischen Recht zu respektieren, doch ob dies auch für ein so heikles Feld wie die konstitutionellen Rechte gilt, ist umstritten.

Die Vorbereitungen für die EU-Ratspräsidentschaft liefen auf Hochtouren, gibt jedenfalls Europaminister Vondra zu verstehen. Und sofort erinnert man sich des Slogans, mit dem die Regierung bisher für dieses Amt geworben hat: "Wir werden es Europa versüßen." Was versüßt werden soll, vielleicht tschechischer Eigensinn, der den EU-Gremien in Brüssel nicht gefällt, bleibt vorerst offen.

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