Der Stunt als gefährliche Attraktion

Medientagebuch Nach dem "Wetten, dass...?"-Unfall war vom Quotendruck die Rede. Tatsächlich ist die Idee zu der riskanten Wette von der Konkurrenz zum Kino beeinflusst

Für kurze Zeit entspann sich nach dem schweren Sturz eines Wettkandidaten in der jüngsten Sendung von Wetten, dass..? (ZDF) in der Öffentlichkeit eine Diskussion um die auf den ersten Blick einleuchtende Frage, ob die riskante Wette des jungen Mannes nicht eine Folge des Quotendrucks sei, der auf der von Thomas Gottschalk moderierten Show laste. Die Diskussion war spätestens dann beendet, als das heute-journal ähnlich spektakuläre und tendenziell sturzgefährdete Wetten aus der Geschichte der Show zeigte. Tatsächlich bargen manche Wetten immer schon die Gefahr, dass die Kandidaten und das Vermögen ihrer Körper überschätzten. Aber viele Male ging gut, was nun schief ging.

Interessanter als die moralische Frage nach dem Quotendruck, der an allen Stellen des Programms auch des ZDF deutlich zu spüren ist und also nicht an diesem Unfall festgemacht werden muss, bleibt die nach der Ästhetik der Wette, die der junge Mann mit und in der Sendung abgeschlossen hatte. Denn bei seinem Versuch, mit einer Art von Sprungfedern an den Füßen über fahrende Wagen zu springen, wirkte er wie eine Mischung aus Spiderman und Cyborg, halb Maschine, halb Mensch; kein Sprung schien zu weit zu sein. Ein katastrophaler Irrtum. Technisch gesprochen war der Auftritt damit ein Stunt, mit dem Actionthriller und ­Science-Fiction-Filme Aufmerksamkeit erheischen. Das ist kein Zufall. Denn so wie das Fernsehen insgesamt verstärkt versucht, in der Konkurrenz mit dem Internet die Besonderheiten des Kinos für sich zu gewinnen, indem es erst auf den Surround-Sound, dann auf das Breitbild, nun schon auf 3-D-Abbildungsverfahren setzt, haben eine Reihe von Fernsehshows den Filmstunt als Attraktion für sich entdeckt.

Role Model Raab

Stefan Raab wirbt in seinen Shows geradezu damit, dass er sich und seinen Körper selbst einsetzt, wenn es gilt, vom Turm zu springen oder mit einer Profiboxerin im Ring zu stehen. Ein Einsatz, den er mit mancher live zugezogenen Verletzung bezahlt hat. Raab entspricht jenen Schauspielern, die stolz darauf sind, dass sie sich nie von Stuntmen haben doubeln lassen. Zum Filmstunt gehört das Risiko wie der Verkehrsunfall zum Verkehr. Und viele Stuntmen haben für Darstellungen von hohem visuellen Reiz ihr Leben gelassen oder mit schweren Verletzungen bezahlt. Das hat die Filmbranche, das haben aber auch die Zuschauer, die solche Filme begeistert sehen, verdrängt. Nicht zuletzt, weil aus den Kinofilmen die Unfälle stets heraus­geschnitten worden sind.

Der Schock, den die Live-Bilder vom Unfall bei Wetten, dass..? auslösten, ist damit nichts anderes als ein Ergebnis dieser latenten Verdrängung. Die schaulustigen Zuschauer wie die Veranstalter tragen eine Mitschuld am hohen Risiko, die der Wettkandidat auf sich genommen hat. Das ZDF handelte also folgerichtig, als es die Live-Sendung erst unterbrach und dann beendete. So wie es für den Sender nun notwendig erscheint, die Sicherheitsstandards und die Wetten noch genauer zu prüfen.


Dietrich Leder ist Professor für Fernsehkultur an der Kunsthochschule für Medien Köln

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