Der Süden bleibt am Tropf

HAUSHALTSMITTEL FÜR ENTWICKLUNGSHILFE BESCHNITTEN Ein Anachronismus im Zeitalter der Globalisierung

Alle reden von der Globalisierung und der immer enger zusammenwachsenden Welt, doch der Etat für Entwicklungszusammenarbeit sinkt für das Jahr 2000 um mehr als acht Prozent und das unter einer rot-grünen Bundesregierung. Sieht so eine zukunftsfähige Antwort auf die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aus? Kann es unter diesen Umständen gelingen, Entwicklungspolitik aus ihrem Nischendasein herauszuführen?

Es gibt keineswegs nur schlechte Nachrichten aus dem "Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit" (BMZ). Nachdem über viele Jahre aufgrund ungeschriebener Proporzregeln immer wieder Hinterbänkler die Leitung des BMZ übernahmen, lenkt mit Heidemarie Wieczorek-Zeul eine außenpolitisch versierte und streitbare Politikerin aus der ersten Reihe der SPD die Geschicke der Entwicklungspolitik. Das hat zumindest symbolische Wirkung. Die Ministerin konnte bei einigen wichtigen Entscheidungen des vergangenen Jahres durchaus punkten: für die Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer - kein Durchbruch, aber immerhin ein wichtiger Schritt - hat sie erfolgreich in der eigenen Partei sowie gegen den Finanzminister gestritten. In die Debatte über die Neuorientierung der Weltbank und die sozialen Kurskorrekturen der Strukturanpassungsprogramme warb sie engagiert für ein Leitbild jenseits neoliberaler Platitüden.

All das Gejammer über die Dominanz der USA in den internationalen Finanzinstitutionen darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Deutschland als wichtige Gebernation über ein beachtliches Gewicht in Weltbank und IWF verfügen könnte. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung diese Einfluss möglichkeit künftig aktiver nutzt, versteht doch Rot-Grün Entwicklungspolitik vor allem als "globale Struktur- und Friedenspolitik". Damit soll nicht zuletzt unterstrichen werden, dass Ausgaben innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit keine Almosen, sondern Investitionen in globale Zukunftssicherung sind. Eine einleuchtende Orientierung: Armut und Unterentwicklung sind wesentliche Ursachen für Umweltzerstörung, Bevölkerungswachstum, Bürgerkriege, Staatszerfall und Migration - Entwicklungen mit grenzüberschreitenden und globalen Bumerangeffekten, vor denen sich auch die Industrieländer nicht schützen können. In einer immer dichter vernetzten Weltgesellschaft wirken sich nationale Entwicklungen destabilisierend auf das gesamte System aus: Würde China mit dem Energiekonsum des Westens gleichziehen, hätte dies verheerende Folgen für das Weltklima - zerfielen Teile Afrikas in Bürgerkriegen, wären grenzüberschreitende Migrationsbewegungen die Folge. Zudem sind viele Weltprobleme ohne oder gar gegen die Entwicklungsländer nicht zu lösen - ob es sich nun um internationale Finanzmärkte oder Atomproliferation handelt. Mit anderen Worten, Entwicklungspolitik sollte daher aktive Krisenvermeidungspolitik sein, ein Baustein zum Aufbau einer Global Governance - einer Architektur, um Globalisierung gestalten zu können.

Eine entsprechende Orientierung würde die Überwindung der auf diesem Politikfeld noch immer vorherrschenden Belehrungskultur und den Aufbau einer internationalen Kooperationskultur sowie steigende Investitionen in die globale Zusammenarbeit voraussetzen. Statt dessen muss das BMZ für das Jahr 2000 eine signifikante Kürzung hinnehmen. Ein wichtiger Grund dafür dürfte sein, dass es besonders in der SPD kaum mehr profilierte Entwicklungs- und Außenpolitiker gibt. Die wichtigsten Entscheidungsträger der Regierung verfügen über wenig internationale Erfahrung - das fängt schon mit dem Kanzler an. So wird zwar viel über Globalisierung gesprochen, aber die wichtigste Konsequenz aus der Beschleunigung globaler Vernetzung nicht gezogen: der Ausbau der internationalen Kooperation. Die Reduzierung des BMZ-Haushaltes ist vor diesem Hintergrund erklärbar, aber anachronistisch und den Zukunftsinteressen der drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt abträglich. Hinzu kommt, dass mit dem neuen entwicklungspolitischen Leitbild der "globalen Struktur- und Friedenspolitik" in der Öffentlichkeit hohe Erwartungen erzeugt wurden, die dann angesichts der sinkenden Haushaltsmittel nicht einmal im Ansatz erfüllt werden können. So sind Enttäuschung und Frustration programmiert, die zu einer weiteren Diskreditierung der Entwicklungspolitik beitragen dürften. Die Folgen wären schmerzhaft - für Entwicklungsländer, aber auch die bundesdeutsche Politik. Denn in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts werden die Gesellschaften am erfolgreichsten sein, die in dichte Netze internationaler Kooperation eingebunden sind sowie aktiv und prägend zur globaler Politik und Gestaltung der Globalisierung beitragen.

Unser Autor ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Entwicklung und Frieden Duisburg.

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