Der Sünde ins Maul schauen

Schweiz Eine Volksabstimmung stoppte den ausufernden Zweitwohnungsbau in einigen Kantonen. Nun muss sich der Bundesrat zu einem Sakrileg aufraffen und ins ­Privateigentum eingreifen

Es gibt Länder mit Problemen und solche mit Luxusproblemen. Zu letzteren gehört die Schweiz. Dort gibt es beachtliche 540.000 Zweit- oder Ferienwohnungen mit zusammen rund einer Million Betten. Nur ein Zehntel davon wird professionell vermietet – 90 Prozent hingegen nutzen nur die Besitzer, sie stehen bis zu 330 Tagen pro Jahr leer. Man spricht von 900.000 „kalten Betten“, darunter eine unbekannte Zahl „eingefrorener Betten“ in Ferienwohnungen, die über Jahre gar nicht benutzt werden. Insgesamt ist der Zweitwohnungsbestand seit 1990 um mehr als 50 Prozent gewachsen.

Daran stoßen sich nicht nur Natur- und Landschaftsschützer, die über zersiedelte Ferienregionen klagen. Betroffen davon sind besonders die Kantone Graubünden, Wallis und Tessin, wo es zahlreiche Gemeinden mit einem Ferienwohnungsanteil von 65 bis 85 Prozent gibt. Während viele dieser Appartements nur sporadisch belegt werden, finden einheimische Bürger keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Alle Versuche, den Ferienwohnungsbau zu bremsen, scheiterten an den Interessen von Landbesitzern, Banken, Bauunternehmern und Immobilienspekulanten. Der Unmut in der Bevölkerung über diese Zustände machte sich am 11. März in einer Volksabstimmung Luft, bei der die Initiative Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen mit 50,6 Prozent eine knappe, aber eben ausreichende Mehrheit fand. Das geschah gegen den Willen von Regierung, Parlament und allen Parteien außer den Grünen, den Sozialdemokraten und der kleinen evangelischen Volkspartei. Doch lässt sich das Votum nicht ignorieren, sodass nun Artikel 75 der Bundesverfassung durch einen Absatz ergänzt wird, der den „Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten einer Gemeinde auf höchstens 20 Prozent beschränkt“. Wie die neue Verfassungsnorm erfüllt wird, soll ein noch ausstehendes Gesetz regeln. Nur gleicht dies der Quadratur des Kreises: Wie soll die Nutzung einer Wohnung überwacht werden ohne Verletzung der Privatsphäre? Und wie kann das Privateigentum aufrechterhalten und zugleich die Vermietung einer Eigentumswohnung gesetzlich geregelt werden? Wie kann man verhindern, dass die Wohnungs- und Mietpreise stark steigen, falls man das Wohnungsangebot per Gesetz verknappt?

Aus der Portokasse

Sicher muss zunächst einmal der Gesetzgeber definieren, was „Zweitwohnung“ überhaupt bedeutet, denn jedes eingeschränkte Verfügungsrecht über Privateigentum muss gerichtlicher Überprüfung standhalten. Die Lobbyisten aus der Tourismusbranche, aus dem Baugewerbe und dem Immobilienhandel sind bereits heftig dabei, die Gesetzgebung zu beeinflussen. Auf jeden Fall vermeiden möchte man eine österreichische Lösung. Dort bestehen für den Zweitwohnungsbau gesetzliche Bestimmungen – vorerst freilich nur auf dem Papier, denn in der Praxis werden sie massenweise unterlaufen. Auch die Besteuerung von Zweitwohnungen – in Lech am Arlberg sind 7,84 Euro pro Quadratmeter und Jahr vorgesehen – erweist sich als wirkungslos, weil die Betroffenen so niedrige Beträge offenbar nicht stören. Die massive staatliche Förderung für den Hotelneubau konnte dem Boom beim Zweitwohnungsbau ebenfalls nichts anhaben.

Starkes Kopfzerbrechen bereitet den Schweizer Juristen die mit der Initiative in den Rang einer Verfassungsnorm gehobene „Übergangsbestimmung“. Sie lautet: „Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar des auf die Annahme des Artikel 75 folgenden Jahres und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden, sind nichtig.“ Im Klartext: Sofortiger Baustopp für Zweitwohnungen. Die Formulierung lässt keinen Spielraum. So warnt denn auch die Berner Regierung alle Gemeindebehörden, die für die Genehmigung zuständig sind, jetzt noch rasch Baubewilligungen auf Vorrat zu erteilen. Gerichte, die den angenommenen Verfassungsartikel anwenden, könnten sie spielend annullieren.

An Lösungsvorschlägen von zweifelhaftem Charme mangelt es nicht. Der exzen­trische Präsident des FC Sion und Bauunternehmer Christian Constantin zum Beispiel plädiert für den Austritt des Kantons Wallis aus der Eidgenossenschaft. Ziel wäre dann ein autonomer Freistaat.

Rudolf Walther schrieb zuletzt über das Attentat von Toulouse

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