Der Teufel hüpft von Ast zu Ast

Literatur Erhard Schütz möchte kein Resonanzraum sein, gern aber entschleunigt den Eichhörnchen zusehen
Ausgabe 46/2019
Mühsam ernährt sich freilich auch das Grauhörnchen, wie hier in London
Mühsam ernährt sich freilich auch das Grauhörnchen, wie hier in London

Foto: Imago Images/CTK Photo

Bei den alten Griechen war alles ordentlich eingeteilt: unterirdisch das Totenreich, aufirdisch die Welt der Menschen, überirdisch die der Götter. Doch selbst das Totenreich war komplex. Hinein gab es einen Zugang für alle: das Gericht. Danach: suum cuique. Biblisch ging es, bei etwas anderem Personal, ähnlich vertikal zu: Jahwe delegierte an seine Söhne, hinzu kamen etwa Chokmah, die Tochter Weisheit, und Satan, der Saboteur, dann die Erzengel und allerlei dienstbare Geister. Der Islam hätte als Späterkömmling die Chance gehabt, das Ganze neu zu strukturieren, beschied sich aber mit sieben Himmeln, die die Menschenwelt einkreisen, wobei das Paradies irgendwie oben ist. Zugleich wurde das Feuer der Hölle ordentlich angeheizt. Daran hat sich so gut wie nichts geändert, während die Antike dahinsank und Himmelszelt wie Höllenhöhle des Christentums via Augustinus, Dante oder auch den seltsamen Swedenborg fein ausgearbeitet, von den Aufklärern, Naturwissenschaftlern oder auch Pantheisten ruiniert wurden. Das ist natürlich alles viel komplexer, wie man im schmalen Bändchen von Bernhard Lang erfahren kann.

Der Teufel ist ein Eichhörnchen und steckt im Detail. Eins konnte ich nicht klären. Von wem das stammt: „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, hüpfend von Ast zu Ast.“ Ich dachte, von Johann Heinrich Voß. Doch das Internet bietet alles Mögliche an, von Skatbrüdern bis zu irgendwelchen Omas. Sei’s drum. Hier gibt es hinreichend Details, vor allem aber profund ausgezogene Linien zu dem possierlichen Wesen, das weniger durch die Menschen direkt als durch sie verschleppte Artgenossen bedroht wird. 1876 wurden die robusten Grauhörnchen aus Nordamerika nach England gebracht und vermehrten sich – im Gegensatz zu Oberitalien, wo ihnen das nicht recht gelang – prächtig. Da sie ein Virus mitbrachten, das die Roten nicht vertrugen, wurden die dezimiert. Doch wurde, erläutert Josef H. Reichholf, dem man in tierischen Angelegenheiten gern folgt, dadurch auch das Lepra-Virus dezimiert, das die Roten verbreiteten. Nachdem die Grauen auf eine schwarze Liste gesetzt sind, könnte sich das wieder ändern. Nicht nur deshalb sind Eichhörnchen als Haustiere ungeeignet. Umso mehr wollen wir uns der quirligen Teufelchen in Wäldern und Parks freuen. Dazu nützt, was Reichholf über sie erzählt, über Nestbau, Nahrung, Vermehrung, ihre Verwandten und so fort. Eine feine Lektüre – für die reifere Jugend und die jugendlich Reifen.

Die Infrastruktur (oder, so Wolfgang Streeck, unser „alltäglicher Kommunismus“) – man nimmt sie nur bei Implementierung oder Störung wahr. Wenn die Chinesen ihre „Neue Seidenstraße“ angehen oder man sich sorgt, dass die Rechten auf dem Lande die Infrastruktur unterwandern. Wenn kommunal Wohnungen teuer wiedergekauft werden sollen, die man vorher billig vertickte. Flächendeckendes Internet. Pünktliche Bahn. Zugang zu sauberem Wasser und gesunden Lebensmitteln. Alles – und noch mehr – Fragen der „Fundamentalökonomie“, der des Alltagslebens. Wer die Bücher von Dirk van Laak oder Steffen Richter kennt, dem sagt dies Plädoyer für eine neue Infrastrukturpolitik in den Grundlagen nicht viel Neues. Aber es ist wichtig für Anstöße zu einer Umakzentuierung der Politik: Sie soll hauptsächlich Sorge tragen, dass alle Bürger mit basalen Gütern und Dienstleistungen versorgt sind. Mithin soll das Fundament des sozialen Alltagslebens, von Mobilität bis Wohnen, von Energie- bis Gesundheitsversorgung, das in der Vergangenheit fahrlässig dem Kapital neoliberalistisch überlassen oder gar angetragen wurde, unter Kuratel zwar nicht unbedingt des Staates, aber zwingend der Gesellschaft gestellt werden – ob nun privat, genossenschaftlich oder staatlich organisiert. Gewinne ja, doch in einem je gesellschaftlich ausgehandelten und vorgegebenen Rahmen. Allerdings – wohl die größte Herausforderung – reichte ein nationaler Rahmen längst nicht mehr hin.

Klimawandel – nur ganz kurz: Seine fatalen Folgen ließen sich bändigen, so der Nachhaltigkeits-Forscher Reheis, „wenn es gelänge, das Tempo der Veränderung des Klimas an das Tempo der Veränderbarkeit der kulturell-sozialen Verhältnisse und dieses Tempo wiederum an das Tempo der Ausbildung körperlicher und psychischer Widerstandskräfte (Resilienz) anzupassen“. Gut gesagt. Aberrr … alles eine Frage der Zeit. Zeit ist nicht nur Geld, sondern auch trotz aller nicht mehr fliegenden Gretas dieser Welt knapp. Dennoch gehört zu Nachhaltigkeit und Resilienz elementar die Fähigkeit zur Entschleunigung. Vor allem der Blick auf die komplexen natur- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge. Reheis ist, wie er selbst sagt, kein dazu nötiges „Universalgenie“, nicht einmal ein mitreißender Zusammenhangserzähler wie die angloamerikanischen Sachbüchner, zudem hat er stets die scientific community im Blick. Aber er ist ein geduldig und ehrlich makelnder Entfalter und Prüfer von Zusammenhängen, die zu begreifen wichtig ist – selbst wenn man am Ende nicht beim „Ich als Resonanzraum“ ankommen will.

Info

Himmel, Hölle, Paradies. Jenseitswelten von der Antike bis heute Bernhard Lang C. H. Beck 2019, 128 S., 9,95 €

Das Leben der Eichhörnchen Josef H. Reichholf Hanser 2019, 176 S., 20 €

Die Ökonomie des Alltagslebens. Für eine neue Infrastrukturpolitik Foundational Economy Collective edition suhrkamp 2019, 263 S., 18 €

Die Resonanzstrategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen Fritz Reheis oekom 2019, 416 S., 26 €

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