Blondinenwitze sind in letzter Zeit etwas aus der Mode gekommen. Dafür kriegt man jetzt häufiger Frauenwitze zu hören. Kennen Sie den? »Warum gucken Frauen Pornos immer bis zum Schluss? Weil sie auf die Hochzeit warten.« Nicht gerade zum Lachen. Aber etwas Wahres steckt noch in dem dümmsten Witz. In diesem Falle zum Beispiel die Zwangsläufigkeit des Happy Ends in den Produkten der Unterhaltungsindustrie. Die bekanntlich vor allem von einem weiblichen Publikum konsumiert werden. Schade, dass sich das Leben im Allgemeinen nicht an Trivial-Dramaturgien hält. Literarische Bestseller sind ebenfalls nach diesem Muster gestrickt. Siehe Hera Lind. Wenn allerdings Elfriede Jelinek ein Buch herausbringt, das in seinem Untertitel Ein Unterhaltungsroman heiß
heißt, dann kann man fast sicher gehen, dass es sich dabei um eine Parodie des gesamten Genres handelt.Die weibliche Hauptfigur in Jelineks neuem Roman Gier glaubt anfangs, dass sie in ihrer Doppelrolle als Pornodarstellerin und -regisseurin die Inszenierung ihres Liebesabenteuers mit dem feschen Landgendarm Kurt Janisch voll unter Kontrolle hat. Eigentlich hat sie den Zenit ihres sexuellen Marktwerts längst überschritten, da schickt sie ihren bereits im Vorruhestand befindlichen Körper noch einmal ins Rennen, denn der Weg durch ihr Schlafzimmer führt direkt in ein schönes Eigenheim, dass sie mit der Sexmaschine Kurt im Tausch gegen erwiesene Liebesdienste gerne teilen würde. Doch hat sie die Hochzeitsglocken zu früh läuten hören und verpasst ihrem aussichtslosen Unterfangen schließlich ein tragisches, bei Norma Jean abgeschautes Beverly-Hills-Finale, um wenigstens ihr Gesicht nicht ganz zu verlieren. »Es war ein Unfall« heißt es, in Anspielung auf den Schlusssatz aus Ingeborg Bachmanns Malina.Man muss sich noch einmal den Medienrummel ins Gedächtnis rufen, den Jelineks 1989 erschienener Roman Lust, den die Autorin als »weiblichen Porno« angekündigt hatte, auslöste, um zu begreifen, dass die Bezeichnung Unterhaltungsroman bei aller Selbstironie auch eine, wenn auch ohnmächtige Attacke gegen die Marktmechanismen der Kulturindustrie im Allgemeinen und des Literaturbetriebs im Besonderen darstellt. Heraus kam damals ein Anti-Porno, da sich die durch den männlichen Blick beherrschte Darstellung des Obszönen nicht umkehren lässt. Vielmehr parodiert Jelineks Text die pornografische Sprache und entlarvt so die im Geschlechterverhältnis wirksamen Machtstrukturen. Der Roman erzielte in kürzester Zeit aufgrund des Etikettenschwindels sehr hohe Auflagen. Ein Missverständnis, an dem die Autorin selbst nicht ganz unschuldig war, mit dessen Folgen sie jedoch nicht hatte rechnen können. Sie bezeichnete die öffentlichen Reaktion auf ihr Buch als »massenmediale Katastrophe«. Der Text sei in seiner sprachlichen Dichte das Äußerste, was sie könne, und sie beklagte, dass sich die Rezeption aufs Vordergründige beschränkt habe. Lust endet übrigens mit einem Kindsmord, während Gier mit einem Lustmord beginnt.Die Verhältnisse - weder zwischen den Klassen noch zwischen den Geschlechtern - haben sich im zurückliegenden Jahrzehnt nicht zum Besseren gewendet. Schon deshalb war es für eine Fortschreibung von Lust höchste Zeit. Gier bringt, wenn man so will, die Ausbeutungsverhältnisse in der Geschlechterökonomie auf ihren aktuellen, der Logik der Kleinanleger und des Shareholdervalues entsprechenden Stand. Hätte Marx gewusst, dass Raub und Mord eines Tages eine legitime Form der Kapitalvermehrung sein würden, er hätte »andres, Besseres verfaßt«, heisst es an einer Stelle lapidar. Auch das literarische Verfahren der Autorin hat eine weitere Steigerung ins Virtuose erfahren. Selbst wenn einem die meisten Motive in Gier aus dem Jelinekschen Werk bekannt vorkommen, so ist der Zusammenhang zwischen Austrofaschismus und weiblichem Opfer beziehungsweise Selbst-Opfer, Haider sei Dank, in dieser Radikalität bisher nicht zur Sprache gebracht worden.Der Landgendarm Kurt Janisch ist das Oberhaupt einer Familie von Staatsdienern und Ordnungshütern, die im Namen des Gesetzes dieses im besten eigennützigen Sinne zu missbrauchen wissen. Wenn der Serienmörder mit der Aufklärung seiner eigenen Taten beauftragt ist, braucht man sich nicht zu wundern, dass der Täter nicht gefasst wird. Abstrahiert man diese Ungeheuerlichkeit von der Kriminalstory, landet man bei einem schwerwiegenden Vorwurf, den Jelinek mit diesem Roman dem österreichischen Staat macht, der es zu einer Regierungsbeteiligung der FPÖ hat kommen lassen. Im kleinbürgerlichen Traum von Macht und Größe aktualisieren »Janisch Co« nichts anderes als rechte Blut-und-Boden-Ideologie. Während es für Kurts Schwiegertochter nur noch eine Frage des richtigen Zeitpunkts ist, die Schneeglöckchenblätter unter den Bärlauchtopfen zu mischen, um endlich den lästigen Pflegefall, der sie noch vom Eigenheim trennt, ins Jenseits zu befördern, hat Kurt Janisch mit seinen Opfern weit mehr Mühe. Um seine Raffgier zu befriedigen, muss der latent homosexuelle Frauenheld nämlich zuerst die sexuelle Gier der reifen Witwe Gerti befriedigen. Dass sie seinen brutalen Missbrauch ihres Unterleibs möglicherweise falsch verstanden haben könnte, dämmert ihr erst, als sie ihn mit der 16-jährigen Gabi in flagranti in ihrem Schlafzimmer erwischt. Auch dass Gabi bald darauf als Wasserleiche wieder auftaucht, hindert sie nicht daran, an ihrer »Eroberung« festzuhalten.Dass ausgerechnet Frauen für Haiders Wahlerfolg gesorgt haben, nimmt Jelinek ihren Geschlechtsgenossinnen offenbar besonders übel. Nicht zuletzt ist es eine Frau, die als Vizekanzlerin die Akzeptanz der FPÖ befördert. Das ärgert Jelinek bei ihren Geschlechtsgenossinnen besonders: »Wir erheben uns heute wieder einmal recht deutlich über die Männer. Sehen Sie uns? Daß wir heute einen Beruf haben und unabhängig sind, versteht sich von selbst. Was habe ich alles darüber geschrieben, und es ist vollkommen unnötig gewesen.« Die besondere erotische Anziehungskraft, die Schwerverbrecher auf Frauen ausüben, ist ein weiteres Phänomen, das sie in den Themenkomplex weibliche Komplizenschaft eingearbeitet hat. Dazu zitiert sie außerdem aus Stasi-Protokollen, die dokumentieren, dass »weibliche Vorgänge« eine besondere »intime« Betreuung erfuhren.Krieg herrscht in diesem Roman nicht nur im Kosovo und zwischen den Geschlechtern, insbesondere das Verhältnis zwischen Mensch und Natur wird von Jelinek als kriegsähnlicher Zustand geschildert, exemplifiziert am Element Wasser in allen seinen Aggregatzuständen. Der ausführlichen Beschreibungen eines künstlich angelegten Bergsees, der zwar ein idyllisches Panorama bietet, in dem aber jegliches Leben abgestorben ist, stehen die flüssigen und gefrorenen Wassermassen gegenüber, mit denen sich »die Natur« an den Menschen rächt.Einer der wirklich komischen Höhepunkte des Romans ist eine Passage, in der der Ich-Erzähler wie in Zeitlupe den nächtlichen Zusammenprall des Gendarmen in seinem japanischen Mittelklassewagen mit einem Hirschen unter minuziöser Berechnung der Flugbahn schildert. Kurt Janisch betreibt eine obsessive Spurensuche und -beseitigung. Nicht nur am Tatort, sondern auch an all den Orten, an denen er mit Gabi Sex in freier Wildbahn hatte, sucht er nach achtlos weggeworfenen Papiertaschentüchern. Wie durch ein Wunder überlebt das Tier. Dem Bild des sich auf der Pirsch befindenden Jägers gesellen sich die von der Piste abgekommenen Raver hinzu, die Jelinek als »süße Mäuse« aus Rainald Goetz' Techno-Roman - »unsere schreibende und fernsehende Jugend (bis 50)« - hier kurzerhand als Frischfleisch über die Klinge springen lässt.Nicht zuletzt als Kampfansage an die Adresse des schreibenden Fräuleinwunders und die boomende Tristesse-Royal-Fraktion in der deutschsprachigen Literatur bietet Jelineks Roman allerhöchsten Unterhaltungswert.Elfriede Jelinek: Gier. Ein Unterhaltungsroman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000, 462 Seiten, 45.-DM
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